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Naturland ©
Betriebsbegehung – Naturland-Mitarbeiterin mit Chia-Farmern im Nordosten Thailands

Siegel und Zertifikate können Unternehmen helfen, sich nachhaltig aufzustellen. Aber wie finden Firmen unter der Vielzahl der Angebote das für sie passende?

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 04/2023

Was für ein Dschungel! Diesen Ausruf kennt Yvonne Zwick (46), Vorsitzende des Netzwerks für nachhaltiges Wirtschaften B.A.U.M. e.V., nur zu gut. Er kommt stets als Erstes, wenn Unternehmer bei ihr anrufen und sich nach einem Gütesiegel oder Zertifikat erkundigen, das ihnen hilft, sich ökologisch und sozial nachhaltiger aufzustellen.

Nach durchaus noch aktuellen Arbeiten des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag von 2017 sind in Deutschland rund 1.000 verschiedene, von unabhängigen Institutionen vergebene Nachhaltigkeitssiegel registriert. Sie alle wollen den siegelnutzenden Unternehmen bestätigen, dass diese gesund, umweltschonend, biologisch, tierschutzgerecht, regional, CO2-neutral, fair oder nicht korrupt agieren.

Siegelvielfalt kann überfordern

„Die meisten Betriebe sehen die Vorteile, die positive Botschaft eines Siegels", beobachtet Zwick. „Sie fühlen sich von der Angebotsmenge zugleich komplett überfordert und tun sich schwer, zu beurteilen, welche Siegel jenseits der einschlägig bekannten seriös und aussagekräftig genug sind." Zumal auch immer wieder Kritik an der Qualität einzelner Siegel laut wird. Nicht zuletzt die Umweltorganisation Greenpeace hat einen strengen Blick darauf und meldet, wenn sie Siegel als irreführend oder als Greenwashing einstuft.

Mit seriösen Siegeln wirksam Zeichen setzen

„Solche Warnungen gilt es natürlich bei der Siegelwahl im Hinterkopf zu behalten", sagt Alexandra Scholz, CSR-Expertin bei der IHK für München und Oberbayern. „Grundsätzlich bleibt die Möglichkeit, sich eines Siegels oder Zertifikats zu bedienen, für Unternehmen aber eine interessante Option."

Denn durch den Green Deal der EU, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), die Ausweitung von Berichtspflichten und wachsende Anforderungen von Kunden, Auftraggebern und Investoren sind die Betriebe mehr und mehr in Zugzwang: Sie müssen belegen, dass sie ökologisch und sozial sorgfältig agieren. „Da sind seriöse Siegel und Zertifikate durchaus hilfreich und können wirksame Zeichen setzen", betont Scholz.

Kriterien für Siegelsuche

Aber wie finden Unternehmen das passende Siegel? Zunächst empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme:

  • Welche Standards sind im Betrieb schon etabliert?
  • Ist die Firma von gesetzlichen Sorgfaltspflichten betroffen?
  • Was erwarten die Kunden?
  • Was will ein Unternehmen aus Überzeugung leisten?
  • Wo gibt es eventuell Defizite?

Bei der Bestandsaufnahme kann zum Beispiel der Kriterienkatalog des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) helfen, rät B.A.U.M.-Expertin Zwick. Unternehmen können sich überdies an entsprechende gemeinnützige oder staatliche Institutionen wenden, über seriöse Plattformen wie das „Forum Fairer Handel" und „Siegelklarheit" recherchieren, private Beratungsunternehmen konsultieren oder in Branchenverbänden nachfragen.

Glaubwürdigkeit ist entscheidend

Ausschlaggebend für die finale Wahl eines Gütesiegels, so betont Zwick nachdrücklich, sei stets dessen Glaubwürdigkeit: „Die siegelvergebende Organisation muss die Methodik offenlegen und klar nachweisen, dass sie an die eigene Governance strenge Kriterien anlegt, sauber und transparent arbeitet, die Bedingungen vor Ort prüft, Siegel im Konfliktfall oder über die Jahre auch wieder aberkennt." Nur dann seien Siegel und Zertifikate ein echter Sorgfalts- und Qualitätsbeweis – und wirken dauerhaft positiv nach außen. Unternehmen müssten Siegel daher stets doppelt prüfen: Belegen sie erstens inhaltlich, was es zu belegen gilt, und sind sie zweitens glaubwürdig?

Neu: Standards-Kompass gibt Überblick

Bei der Siegelsuche hilft kostenlos und online der frisch veröffentlichte Standards-Kompass des bundeseigenen Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte in Berlin. Der Helpdesk WiMR unterstützt seit 2017 Unternehmen bei der Umsetzung der UN-Leitprinzipien „Wirtschaft und Menschenrechte" beziehungsweise des daraus entstandenen Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte" (NAP). Leitprinzipien und NAP wollen darauf hinwirken, dass Unternehmen freiwillig menschenrechtliche Sorgfalt in den internationalen Lieferketten walten lassen. Für große Betriebe ist dies durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz inzwischen bereits zur gesetzlichen Regel geworden. „Zielgruppe des Tools sind vor allem kleinere und mittlere Zulieferer, die nicht direkt gesetzlich betroffen sind, aber von ihren Auftraggebern in die Mitverantwortung für eine faire Lieferkette genommen werden", erläutert Helpdesk-Berater Malte Drewes.

Vergleich anhand von 40 Kriterien

Aktuell vergleicht der Standards-Kompass 20 Zertifikate und Mitgliedsinitiativen. Alle sind international im Einsatz und von der UN-Agentur International Trade Center (ITC) geprüft. Nutzer erhalten eine detaillierte Darstellung und Bewertung des jeweiligen Standards anhand von 40 Kriterien entlang der fünf Phasen des Sorgfaltsprozesses: Strategie und Politik, Risikoanalyse, Maßnahmen, Wirksamkeitskontrolle und Kommunikation sowie Beschwerden und Wiedergutmachung.

„Mit dem Tool finden die Nutzer leichter das Siegel, das ihren Anforderungen entspricht", sagt Drewes. „Dabei ist unser Standards-Kompass kein Compliance-Tool." Nur weil ein von ihm bewertetes Angebot genutzt werde, schütze dies nicht vor etwaigen Sanktionen oder Bußgeldern. Perspektivisch soll der Standards-Kompass wachsen und immer mehr Siegel aufnehmen.

Ökologische Ansprüche belegen durch Siegel

Bereits vor mehr als zehn Jahren hat die BTS Turbo GmbH, ein Betrieb der Bauer Unternehmensgruppe GmbH & Co. KG in Weilheim, begonnen, sich mit Siegeln und Zertifikaten auseinanderzusetzen. „Wir wollten aus unseren eigenen Ansprüchen heraus ökologisch und sozial vorbildlich sein, dazu wollten wir uns auch zertifizieren lassen – und fanden uns im Siegeldschungel wieder", sagt Qualitätsmanager Robert Wittig (42).

Das Unternehmen machte mit der Checkliste „Nachhaltigkeitsmanagement", die in Zusammenarbeit von BIHK und Bayerischem Landesamt für Umwelt entstanden ist, zunächst eine Bestandsaufnahme und definierte Ziele. „Anschließend fiel die Wahl des passenden Zertifikats viel leichter", sagt Wittig.

Aufwendiger Auswahlprozess

Das Unternehmen entschied sich für die ISO-Zertifikate 14001 und 50001. Es wurde zudem Mitglied im Umwelt- und Klimapakt Bayern sowie beim Kooperationsprojekt Ökoprofit, das auf die Senkung von Betriebskosten bei gleichzeitiger Schonung von Ressourcen abzielt. Auf Kundenwunsch ließ es sich noch nach EcoVadis zertifizieren, einem internationalen Nachhaltigkeitssiegel, das sich ebenfalls auf der Liste des Standards-Kompasses befindet. „Ein aussagekräftiges, seriöses Zertifikat zu erhalten, ist ein aufwendiger, zeitintensiver Prozess, insbesondere für ein mittleres Unternehmen wie unseres mit 250 Beschäftigten", fasst Wittig seine Erfahrungen zusammen.

Das Unternehmen sieht sich mit drei spezialisierten Mitarbeitern im Nachhaltigkeitsbereich bereits sehr gut aufgestellt. Dennoch habe es zum Beispiel bei EcoVadis zwei Wochen gebraucht, um den 38-seitigen Fragebogen sauber zu beantworten. „Wir haben 55 Dokumente beigelegt, fanden manche Frage für unseren Kontext überflüssig, andere, wie etwa ethische Aspekte, zu lasch", so Wittig. Den Standards-Kompass hält er für hilfreich. „Je schneller wir ein seriöses Siegel finden, umso eher können wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen."

Mit Siegelvergabe Qualität sichern

Auch aus Sicht der siegelvergebenden Institutionen ist es sinnvoll, wenn Firmen Unterstützung bei der Auswahl bekommen. „Fachlich gute Vergleichstools oder unabhängige Berater machen seriöse Siegel sichtbar und vergleichbar und stärken sie so auch", meint Christina Weber (51), Team Leader Fair Trade & Social Responsibility beim Naturland e.V. in Gräfelfing. „Der aktuelle Siegeldschungel konterkariert, was man mit einem Prüfsiegel eigentlich will – anstatt ein erkennbares Qualitätszeichen setzen zu können, läuft man Gefahr, unterzugehen."

Das Naturland-Siegel gibt es seit 1982. Damals taten sich Pioniere der biologischen Landwirtschaft bundesweit im Naturland e.V. zusammen; mit dem eigenen Naturland-Siegel bestätigen sie die Bioqualität ihrer Produkte. Seit 2010 gibt es zusätzlich das Siegel Naturland Fair, das auf ökologische und faire Geschäftsmodelle prüft und dabei hohe Sozialmaßstäbe anlegt. „Wir bieten also Bio plus Fair", betont Weber.

Kontinuierliche Optimierung verlangt

Inzwischen wird das Naturland-Siegel in mehr als 60 Ländern der Erde von staatlichen Partnern vor Ort geprüft. Produzenten und Verarbeiter müssen sich jährlich bestätigen lassen, dass sie die Bedingungen erfüllen. „Wir sind sehr streng, haben eine klar kommunizierte Sanktionsstrategie und erkennen unser Siegel auch notfalls wieder ab", so Weber. Das Siegel Naturland Fair wurde nun auch für den Standards-Kompass angefragt.

Eine Botschaft möchte Weber Firmen mitgeben: „Unternehmen sollten wissen, dass ihnen mit einem seriösen Siegel ein kontinuierlicher Arbeits- und Verbesserungsprozess bevorsteht. Wegen der regelmäßigen Evaluierung und auch, weil Siegel stets weiterentwickelt werden. Das bewahrt die Qualität der Siegel, fördert so aber natürlich auch die Siegelnutzer und Erzeuger selbst, ihre Performance – und die Nachhaltigkeit."

Für Yvonne Zwick von B.A.U.M. e.V. ist ein Siegel trotz des Suchaufwands auf jeden Fall ein gutes Mittel, um die wachsenden unternehmerischen Sorgfaltspflichten zu begleiten. Letztendlich werden Unternehmen damit noch wirksamer und resilienter gegenüber Gesetzesverschärfungen oder Kundenwünschen.     

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