Standortpolitik | Mobilität

Mehr Fairness im Straßengüterverkehr

Antonia Mattheis ©
Logistikberater Christian Schober

Der Logistikberater Christian Schober erklärt, was das EU-Mobilitätspaket für deutsche Speditionen und Transportunternehmen bedeutet und was nötig ist, damit sich die geplanten positiven Effekte tatsächlich einstellen.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 09/20

Herr Schober, welche Aspekte des EU-Mobilitätspakets werden sich auf hiesige Speditionen und Transportunternehmen am stärksten auswirken?

Stark betroffen sind Transportunternehmen, die Niederlassungen in ausländischen EU-Staaten unterhalten, um dort von den niedrigeren Kosten – insbesondere im Hinblick auf die Löhne – zu profitieren. Für sie wird das Transportgeschäft künftig wohl teurer, weil es schwieriger wird, mit den im Ausland gemeldeten Fahrzeugen und Fahrern in Deutschland Transporte durchzuführen. Allerdings werden sich auch alle anderen Unternehmen, die grenzüberschreitende Straßentransporte durchführen, auf einen höheren administrativen Aufwand einstellen müssen. Wer eigene Fahrzeuge betreibt, muss zudem bis spätestens 2025 in smarte Tachografen investieren.

Steigen die Kosten, weil Fahrer nun nicht mehr im Fahrerhaus übernachten dürfen?

Das Kabinenverbot gilt für die Wochenruhezeit, also grob gesagt für die Pause nach einer Arbeitswoche im Lkw. Dafür muss der Unternehmer nun eine Übernachtung in einem Hotel oder einer Pension bezahlen. Das wird schwierig, weil es zumindest bei uns kaum bezahlbare Unterkünfte mit Lkw-Parkplätzen gibt. Auch hier werden Firmen mit Sitz in Deutschland eher kaum Probleme haben, weil die wenigsten ihre Fahrer über Wochen hinweg im Ausland fahren lassen.

Welche Unternehmen werden vom EU-Mobilitätspaket profitieren?

Die Regularien erzeugen grundsätzlich eine höhere Gerechtigkeit beim internationalen Straßentransport. Die meisten deutschen Firmen arbeiten nicht im Segment der Billigtransporte. Sie dürften davon profitieren, dass die Transportpreise künftig stabiler werden. Dass der Warentransport unterm Strich teurer wird, ist meiner Meinung nach gut und wichtig: Dadurch bleiben uns und der Umwelt vielleicht unnötige Transporte erspart. Damit die neuen Regeln nach den zum Teil jahrelangen Übergangsfristen aber tatsächlich wirken, muss ihre Einhaltung überwacht werden. Aktuell wird im Straßengüterverkehr noch viel zu wenig kontrolliert.

Wie wirkt sich das EU-Mobilitätspaket auf den Fahrermangel aus?

Es soll vor allem osteuropäische Fahrer vor Ausbeutung schützen. In Deutschland werden Lkw-Fahrer meist ohnehin schon gehegt und gepflegt. Auf den Fahrermangel hierzulande wird es kaum Einfluss haben.

Welche Maßnahmen sollten Speditionen und Transportunternehmen nun umgehend in die Wege leiten?

Die Leistungen von Transportunternehmen aus EU-Mitgliedsstaaten mit niedrigerem Lohnniveau werden sich verteuern. Wer mit diesen Firmen zusammenarbeitet oder dort eine Niederlassung unterhält, sollte seine Preise neu kalkulieren. Zudem muss überlegt werden, welche Touren und Routen durch die Beschränkungen bei den internationalen Einsatzzeiten der Fahrer und Fahrzeuge nun nicht mehr wie gewohnt bedient werden können. Gerade bei komplexen Lieferketten und Rundläufen sowie Just-in-time-Belieferungen ist das nicht trivial.

Welche Auswirkungen hat das EU-Mobilitätspaket auf die Verlader?

Auch sie müssen ihre Logistik mitunter neu ausrichten und sich auf Preissteigerungen einstellen. Dafür haben sie den Vorteil, dass die Qualität bei Fuhrunternehmern aus dem europäischen Ausland steigt, weil die nun gezwungen sind, professioneller zu arbeiten. Ich gehe nicht davon aus, dass sich das Laderaumangebot aufgrund der neuen Regelungen mittelfristig verkleinern wird.

Zur Person

Christian Schober (57), Speditionskaufmann und Verkehrsfachwirt, gründete nach mehreren beruflichen Stationen in Speditionen 1998 die Schober Beratung für Logistik in Germering bei München. Das Unternehmen berät Mittelständler und Großunternehmen.

IHK-Service: Das EU-Mobilitätspaket

Anfang Juli 2020 verabschiedete das EU-Parlament im sogenannten EU-Mobilitätspaket Änderungen in vier Verordnungen und zwei Richtlinien. »Damit sollen die Arbeits- und
Sozialbedingungen für Arbeitnehmer im Transportgewerbe verbessert werden«, erklärt IHK-Expertin Kerstin Swoboda. »Außerdem soll es gerechtere Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen in der EU gewährleisten.«

Die wichtigsten Punkte:

  • Bei internationalen Transporten muss das Fahrpersonal mindestens einmal in vier Wochen zum Betriebssitz des Arbeitgebers oder an seinen Wohnort zurückkehren. Wochenruhezeiten von mehr als 45 Stunden Dauer dürfen nicht mehr in der Fahrerkabine verbracht werden.
  • Im grenzüberschreitenden Güterverkehr können unter besonderen Voraussetzungen zwei verkürzte Wochenruhezeiten hintereinander im Fahrzeug verbracht werden.
  • Das Fahrzeug muss spätestens nach acht Wochen im internationalen Einsatz an den Betriebssitz zurückkehren.
  • Nach Kabotagebeförderungen, also Transportdienstleistungen, die innerhalb eines Landes durch ein ausländisches Transportunternehmen erbracht werden, gilt eine viertägige Sperrfrist. In dieser Zeit dürfen mit dem Fahrzeug keine weiteren Transporte in demselben Land durchgeführt werden.
  • International eingesetzte Lkws und Omnibusse müssen spätestens bis 2025 mit der Nachfolgeversion intelligenter Tachografen nachgerüstet werden, Neufahrzeuge werden ab Sommer 2023 damit ausgestattet. Diese Geräte zeichnen unter anderem den Ort des Arbeitsbeginns, Grenzüberquerungen innerhalb der EU sowie Be- und Entladeorte auf.
  • Die Tätigkeitsnachweise der Fahrer sind ab 31. Dezember 2024 mindestens 56 Tage lang mitzuführen.
  • Kleintransporter mit über 2,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht unterliegen im grenzüberschreitenden Verkehr ab 21. Mai 2022 ebenfalls der Genehmigungspflicht. Ab dem 1. Juli 2026 sind in diesen Fahrzeugen die Lenk- und Ruhezeiten über intelligente Fahrtenschreiber aufzuzeichnen.
    Weitere Informationen auf der IHK-Website.

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