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»Leute, wacht endlich auf!«

Thorsten Jochim ©
Will das Umdenken beschleunigen – Einzelhändler Hans Conrad

Der Sportfachhändler Hans Conrad erklärt, warum er sein Unternehmen auf Nachhaltigkeit ausrichtet, wie er vorgeht und welche Rolle die Initiative »Wir denken um« dabei spielt.

Martin Armbruster, Ausgabe 01/2022

Herr Conrad, Ihr Familienunternehmen gibt es seit 1897. Ist das, für sich genommen, nicht schon nachhaltig genug?
Es zeigt zumindest, dass Familienunternehmen sehr langfristig denken. Aber der Nachhaltigkeitsgedanke war nicht immer da. Wir haben jahrzehntelang rein wirtschaftliche Interessen verfolgt. Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir viele Dinge ändern und bestimmte Limits einhalten müssen. Sonst werden wir die Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen. Das ist für alle eine Riesenaufgabe.

Wie sind Sie in das Thema eingestiegen?
Vor drei Jahren gingen wir das Projekt »Wir denken um« an. Nach vielen Diskussionen hier im Betrieb kam das Thema auf. Die Grundüberlegung war: Es reicht nicht, darauf zu warten, bis die Industrie uns nachhaltige Produkte liefert. Wir haben gemerkt, wie groß die Kluft zwischen dem Sagen und dem Machen häufig ist.

Haben Sie Ihren Lieferanten nicht mehr vertraut?
Man hatte einfach das Gefühl, es ändert sich nichts oder zu wenig. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel. Die hat schon seit 2010 immer mal wieder Nachhaltigkeit versprochen. Dann gab es Fortschritte, aber die richtige Umsetzung fand nicht statt. Ich wollte einen Hebel haben, um mit der Industrie ins Gespräch zu kommen. Nach dem Motto: Hey Leute, so können wir nicht weitermachen.

Dieser Hebel ist nun »Wir denken um«.
Ja, genau. Unternehmen, die sehr viel für Nachhaltigkeit tun, werden mit dem Label ausgezeichnet. Sie müssen bestimmte Kriterien erfüllen, die industrieweit abgefragt werden. Das ist ein einheitlicher Standard.

Handelspartner, die Daumenschrauben ein wenig anziehen

Wie hat die Industrie darauf reagiert?
Das wurde schon sehr stark beachtet – bei vielen Firmen bis in die Chefetage hinauf. Weil die Industrie sehr wohl registriert hat: Da gibt es jetzt Handelspartner, die die Daumenschrauben ein wenig anziehen. Wir waren damit auch nicht allein. Globetrotter und Bergzeit haben in unserer Branche ähnliche Initiativen gestartet.

Wie viele Hersteller haben Ihre Vorgaben erfüllt?
Von unseren 300 Lieferanten haben knapp 40 im ersten Jahr unser Siegel bekommen, aktuell sind es 60. Das Schöne für uns war, mit der Industrie in einen Dialog zu kommen, der anders aussah als »Was kosten 100 Skibindungen?« und »Was kosten 1.000 Skibindungen?«. Heute diskutieren wir die Fragen: »Wie wird das produziert? Wie kann man in der Herstellung besser werden?« Viele Industriepartner fragen uns um Rat: »Wie sollen wir da weitermachen? Welche Initiativen können wir machen? Wie können wir Prozesse verändern?« Das ist sehr angenehm geworden.

Erlebten Sie auch Proteste?
Nein, zum Glück nicht. Es gab und gibt Firmen, bei denen man merkt, die sind da wahnsinnig schlecht aufgestellt. Das betrifft vor allem kleinere Hersteller. Für die ist der Aufwand zu groß.

Aber noch einmal die Frage: Was ist Ihre Motivation? Was treibt Sie an?
Ganz einfach: Ich habe drei Kinder. Das ist meine Motivation. Ich hoffe, dass sie nach mir den Betrieb übernehmen. Ich bin selbst viel in den Bergen unterwegs. Ich hoffe, dass das meine Kinder auch noch können. Das ist meine ureigene Motivation. Wir wissen doch alle: So wie bisher können wir nicht weiterwirtschaften.

Wie haben Sie den Prozess in Ihrem Unternehmen organisiert?
Wir haben ein Wir-denken-um-Team zusammengestellt aus sieben, acht Personen, die diese Prozesse angeschoben haben. Es ging um Klimaneutralität, aber auch um viele kleine Schritte: Mülltrennung, weniger Verpackung, solche Sachen. Dieses Team war wahnsinnig hilfreich. Wir sind alle Abteilungen durchgegangen, um zu sehen, was wir verbessern können. Nach einem Jahr haben wir aber gemerkt, dass das die Leute teilweise überfordert hat. Für die Teammitglieder war das eine Zusatzbelastung zu ihren normalen Aufgaben im Geschäft.

Eigens CSR-Beauftragte eingestellt

Wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben eine Beauftragte für Corporate Social Responsibility (CSR) eingestellt, Stefanie Buchacher. Sie hatte das seit zehn Jahren für verschiedene Industrieunternehmen gemacht. Mit ihr hat das jetzt einen professionellen Charakter bekommen. Sie beschäftigt sich sehr stark mit diesen Themen und treibt im engen Austausch mit der Industrie alle Prozesse voran.

Wir motivieren Sie Ihre übrigen Mitarbeiter zum Mitmachen?
Wir veranstalten einmal im Jahr einen Wir-denken-um-Tag. Wir haben gemeinsam mit den Bayerischen Staatsforsten Aktionen gemacht wie die Freilegung von Almflächen. Und wir organisieren ein Mobilitätslotto nach dem Motto »Lasst mal euer Auto daheim«. Wer mindestens fünfmal im Monat zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV in die Arbeit kommt, kann bei diesem Lotto mitmachen und kleine Preise gewinnen. Das hat sehr viele Mitarbeiter dazu motiviert, tatsächlich das Auto stehen zu lassen.

Nutzen Sie die sozialen Medien, um Ihr Handeln transparent zu machen?
Ja, die nutzen wir natürlich, um dem Thema mehr Schwung zu geben. Ein großes Ziel ist, klimaneutral zu werden. Die ersten Schritte dazu haben wir erst einmal durch Kompensation erreicht. Wir investieren in Aufforstungsprojekte in Peru und in ein Windkraftwerk in Indien. Wir machen das gemeinsam mit der Firma Fokus Zukunft aus Starnberg. Zunächst ermittelten wir, wie hoch unser CO2-Ausstoß 2019 gewesen ist, jetzt schauen wir, wie wir davon runterkommen.

Firmenleitung mit festem Willen

Von Mittelständlern kommt häufig der Einwand, der Aufwand für Nachhaltigkeit sei einfach zu groß. Wie bekommen Sie das mit Ihren 250 Mitarbeitern hin?
Nachhaltigkeit ist auch für Familienbetriebe machbar, weil oft schon kleine Dinge Wirkung bringen. Es funktioniert aber nur, wenn die Firmenleitung den festen Willen hat: Wir müssen das Thema stemmen. Wenn Sie in unser Zentrallager schauen, wenn da im Winter 60.000 Paar Ski angeliefert werden, wie die verpackt sind, was das für Berge von Müll sind, das ist unbeschreiblich. Solche Probleme kann man nicht auf die Mitarbeiter abschieben. Da muss man als Chef Entscheidungen treffen. Und man muss Vorbild sein. Dann fahre ich halt nicht mit meinem SUV zum Geschäft. Man muss das selbst leben.

Wie wirkt sich das auf Ihren Umsatz aus?
Wir haben sehr schöne Läden, aber das eigentliche Geschäft wird online gemacht. Unser Onlineshop sorgt für 70 Prozent des Umsatzes. Dort merken wir schon, dass »Wir denken um« Wirkung hat. Marken mit diesem Label haben eine deutlich höhere Sichtbarkeit, in unseren Social-Media-Kanälen, auf unserer Website und in unseren Newslettern. Folglich werden diese Marken stärker gekauft. In den vergangenen drei Jahren haben die ein exorbitantes Wachstum hingelegt. Wir verschieben unser Sortiment deutlich in diese Richtung.

Das beweist doch, wie gut sich Nachhaltigkeit rechnet.
Das rechnet sich absolut. Gerade wenn sich der Verbraucher nur latent damit beschäftigt, hilft so ein Label. Viele Kunden wollen nachhaltig einkaufen, sich aber nicht zu sehr damit beschäftigen. Es ist unglaublich komplex und diffizil, in die Produktionsprozesse der Firmen reinzuschauen.

Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung?
Natürlich muss die Politik jetzt die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Ansonsten werden wir mit noch so gut gemeinten Einzelinitiativen die nötige Wende nicht hinbekommen. Das Problem ist doch: Die Masse der Bevölkerung weiß grundsätzlich, wie wichtig Nachhaltigkeit ist, nur gelebt wird das nicht. Deshalb müssen wir an den großen Stellschrauben drehen. Natürlich brauchen wir endlich saubere Energie und mehr ÖPNV. Hier in Garmisch-Partenkirchen ist in den vergangenen zehn Jahren kein einziger Kilometer Radweg gebaut worden. Das sagt viel aus. Wir sind hier eine Tourismusregion, aber versuchen Sie mal, bei uns einen Radweg zu finden. Da sage ich mir dann auch: Leute, wacht endlich auf!

Veränderungen im Skitourismus

Wie steht es mit dem Skitourismus?
Das gleiche Thema. Hier wird immer noch ganz stark auf den Skitourismus gesetzt. Aus der Historie heraus ist das auch verständlich. Der Tourismus und die Gemeinde müssten jetzt aber umdenken. Die große Frage ist doch: Macht es noch Sinn, dass weiter viele Millionen Euro in diesen Skibetrieb gesteckt werden?

Was halten Sie von der Imagekampagne »Dein Winter. Dein Sport«, an der sich Skiorte, Skihersteller und Bergbahnbetreiber beteiligen?
Das ist von vorgestern. Ich kenne diese Diskussionen und muss leider sagen: Die Skiindustrie bekleckert sich da nicht mit Ruhm. Das tut mir persönlich weh, weil wir auch mit Leib und Seele Skihändler sind. Wir machen 60 Prozent unseres Geschäfts mit Wintersport und verkaufen pro Jahr etwa 40.000 Paar Ski – Langlaufski, Tourenski und Alpinski. Ich will den Skisport auch überhaupt nicht verteufeln. Aber natürlich muss sich auch der Alpin-Skisport fragen: Wie wollen wir denn ins nächste Jahrzehnt gehen? Wie wollen wir mit Nachhaltigkeit umgehen?

Auf dem Titel Ihres Winterkatalogs geben Sie eine Antwort. Da sieht man einen E-Biker, der seine Ski mit aufs Rad gepackt hat.
Ja, das Foto haben wir bewusst gewählt. Das stammt aus dem Coronawinter, in dem die meisten Skigebiete geschlossen waren. Die haben uns die Türen eingerannt wegen der letzten E-Bikes. Die Leute sind damit zum Skifahren gefahren. Bis Mai und Anfang Juni sind die hier hochgeradelt und haben ihre Skitouren gemacht. Das war der erfolgreichste Winter, den wir als Skihändler je hatten.

Hat der Wintersport überhaupt Zukunft?
Es wird immer Wintersport geben. Aber der Alpin-Skisport wird sicher neue Wege gehen müssen. Ist es in der heutigen Zeit noch richtig, Pisten für Hunderttausende von Euro und mit einem unsäglichen Energieaufwand künstlich zu beschneien? Darüber sollte zumindest diskutiert werden.

Auf Entscheiderseite »sehr viel Herz und Mut«

Macht Ihnen das Unternehmersein mit Nachhaltigkeit mehr Spaß?
Es hat mir schon immer Spaß gemacht, jedem in unserer Familie. Aber bei Nachhaltigkeit geht es ja nicht nur um Spaß. Man spürt schon auch, wie sehr man da auf Entscheiderseite gefordert ist. Da gibt es keine gelernten Prozesse wie beim Einkauf oder Marketing. Da braucht es sehr viel Herz und Mut, weil manche Entscheidungen natürlich auch wehtun. Da geht es als letzte Konsequenz darum, auf bestimmte Umsatzteile zu verzichten.

Haben Sie deswegen schon Umsatzverluste hinnehmen müssen?
Wir hatten bislang keine Umsatzverluste, aber die werden kommen. Das liegt nicht am Thema Nachhaltigkeit, sondern am Klimawandel. Wir leben sehr stark vom Wintergeschäft. Wenn die Winter noch milder werden, wird uns das treffen. Das ist unvermeidlich. Darauf müssen wir uns einstellen und unser Geschäftsmodell entsprechend anpassen.

Zur Person: Hans Conrad

Hans Conrad ist Geschäftsführer des Familienunternehmens Conrad GmbH in Penzberg. Unter dem Slogan »Wir denken um« setzt er konsequent auf Nachhaltigkeit im Sportfachhandel. Das Konzept stellte er auch auf dem 8. Bayerischen CSR-Tag vor.

Mehr Informationen auf der CSR-Website der IHK.

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