Standortpolitik

"Kein Plan": Scharfe Kritik an der Energiepolitik in Berlin

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Plenum – Klartext zur Energiepolitik

Auf der Vollversammlung kritisieren die IHK-Spitzen die Energiepolitik. Außerdem: Die IHK wird Bewilligungsstelle für Energie-Härtefallhilfen Bayerns und der IHK-Mitgliedsbeitrag für 2023 wird gesenkt.

MARTIN ARMBRUSTER, Ausgabe 01/2023

Die Szene zeigte, wie sehr es derzeit in der Wirtschaft brennt: Die Vollversammlung hatte noch nicht offiziell begonnen, IHK-Präsident Klaus Josef Lutz hatte gerade erst zwei, drei Schritte in den Börsensaal der IHK gemacht, da wurde er schon von Unternehmern umringt. Der Gesprächsbedarf war offenbar akut. Die Vollversammlungsmitglieder bedankten sich für zwei Interviews, die Lutz wenige Tage zuvor als BayWa-Chef dem »Münchner Merkur« und der »BILD« gegeben und dabei mit klaren Worten die Energiepolitik der Bundesregierung kritisiert hatte.

Negativrekord bei Geschäftserwartungen

In seinem Bericht als IHK-Präsident erklärte Lutz, es gehe darum, angesichts eines konfusen politischen Agierens Haltung zu zeigen und das Prinzip einer nachhaltig-sozialen Marktwirtschaft gegen zunehmenden staatlichen Dirigismus zu verteidigen. Er verwies zudem auf die jüngste BIHK-Konjunkturumfrage mit dem größten jemals gemessenen Einbruch der Geschäftserwartungen. Darin nannten 78 Prozent der Unternehmen die Energie- und Rohstoffpreise als größtes Risiko – ebenfalls ein Negativrekord. Diese Ergebnisse, berichtete Lutz, hätten auch die Bayerische Staatsregierung alarmiert.

 »Weiter klare Kante«

Dies führte zur Frage: Wie soll die IHK darauf reagieren – mit sanfter Überzeugungsarbeit oder mit offener Kritik an Fehlern der Wirtschaftspolitik? Vollversammlungsmitglied Ingo Schwarz sprach sich für »Biss« und »weiter klare Kante« aus und erhielt dafür Applaus aus dem Gremium.

Klartext gab es auf dieser Sitzung reichlich. Fasst man die Aussagen von IHK-Präsident Lutz und IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl zusammen, ergibt sich ein bedrückendes Bild: Demnach taumelt die Ampel-Koalition ohne Leitplanken durch die Krise. Sie habe kein überzeugendes Konzept, wie sie Versorgungsengpässe vermeiden will. Statt den richtigen Grundsatz, »jede Kilowattstunde zählt«, umzusetzen, werde die Kernkraft dogmatisch tabuisiert und abgeschaltet.

»Stupid German money«

Auf heimische Gasförderung wird verzichtet und lieber für viel Geld (»stupid German money«) und unter hohen Effizienzverlusten Flüssiggas, vor allem Fracking-Gas aus den USA, zu Spotmarktpreisen eingekauft. Statt Lösungen melde Berlin Scheinerfolge: einen Gasdeal mit Katar etwa, dessen Laufzeit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zwar »super« findet, der aber erst von 2026 an wirkt und nur knapp drei Prozent des deutschen Gasverbrauchs deckt. Die Gasspeicher sind zwar voll, die Industrie hat 20 Prozent ihres Gasverbrauchs eingespart. Aber dies wurde etwa zur Hälfte auch mit dem Herunterfahren von Produktion und neuen Abhängigkeiten vom Ausland teuer bezahlt.

Unklar ist ferner, wie die Versorgungslücke langfristig geschlossen werden soll. Die für 2030 gesteckten Ausbauziele für die erneuerbaren Energien sind angesichts weiterhin überlanger Genehmigungsverfahren, Material- und Arbeitskräftemangel kaum noch zu schaffen. Es gibt nach dem Abschalten der Kernkraft keine Lösung für die zwingend nötige Grundlast ohne Einsatz fossiler Energien. Windräder und Wasserkraft werden von Artenschützern geblockt, die geplante »Erlösabschöpfung« zur Finanzierung der Strompreisbremse könnte sich als massive Investitionsbremse für die Energiewende erweisen.

»Geostrategische Blindheit«

Lutz und Gößl warfen Berlin geostrategische Blindheit vor. Mit »wertegeleiteter Außenpolitik« komme man in der Realität der Interessenkonflikte zwischen Staaten nicht weit. Bei wichtigen Rohstoffen sei man von China viel abhängiger, als man es bei russischem Gas je war. Ein subventionsbedingter Handelskrieg mit den USA dürfe nicht herbeigeredet, sondern müsse vielmehr unbedingt vermieden werden. »Der Industriestandort Europa ist ein Verlierer dieses Kriegs«, stellte Gößl fest, »und Deutschland droht erneut zum kranken Mann Europas zu werden.«

Gaspreise in Amerika nur ein Sechstel

Großer Profiteur seien die USA – dank eines hochlaufenden Rüstungsgeschäfts und unschlagbar günstiger Energiepreise. Der Gaspreis in den USA betrug im Sommer ein Achtel, jetzt ein Sechstel des deutschen Preises. Gößl hält es für sicher, dass der Heimatstandort unter diesen Bedingungen zumindest energieintensive Wertschöpfung verlieren wird: »Wir erkennen in Berlin und Brüssel keinen Plan für einen wirtschaftlichen Aufbruch. Stattdessen wächst die Bürokratieflut.«

Kurzfristige Energie-Härtefallhilfen geplant

Kurzfristig bräuchten jetzt die Unternehmen Hilfe, die existenziell von explodierenden Energiekosten bedroht seien. Gößl erklärte, auf Bitte der Staatsregierung werde die IHK als Bewilligungsstelle für Energie-Härtefallhilfen wirken. Nach den Vorstellungen der Staatsregierung sollen noch Ende Januar 2023 Anträge gestellt werden können von kleinen und mittleren Betrieben, die nachweislich wegen der überhöhten Energiekosten in die Verlustzone kommen. Das Bayerische Wirtschaftsministerium rechnet grob mit einer mittleren vierstelligen Zahl von Antragstellern aus dem Freistaat.

Aufwärtstrend bei Ausbildung

Beim Thema Fachkräfte bewegt sich die Bundesregierung aus IHK-Sicht in die richtige Richtung. Das Bundeskabinett hat ein Eckpunktepapier beschlossen, das die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten erleichtern soll. Das Plenum verabschiedete eine Position, die über diese Pläne hinausgeht. Ein Kernpunkt: Die Unternehmer sollen selbst entscheiden, ob sprachliche und berufliche Qualifikation eines Bewerbers für den Job ausreichen.

Hubert Schöffmann, neuer IHK-Bereichsleiter Berufsbildung, nannte die Ausbildung ein entscheidendes Instrument gegen den Fachkräftemangel. Daher sei der jüngste Aufwärtstrend besonders erfreulich: Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge sei in Bayern um mehr als zwei Prozent gestiegen. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage sei das als Top-Ausbildungsleistung bayerischer Unternehmen zu werten.

Für 2023 kündigte Schöffmann eine bundesweite Ausbildungskampagne an. Zudem arbeite man daran, neue Ausbildungspotenziale zu erschließen: Die bayerischen IHKs wollen gemeinsam Studienzweifler für die Berufsbildung gewinnen.

Der Punkt »Aktuelles aus den Regionen« stand erstmals auf der Agenda. Zum Auftakt stellte Ingrid Obermeier-Osl, IHK-Vizepräsidentin und Vorsitzende des Regionalausschusses Altötting-Mühldorf, ein bundesweit einmaliges Projekt vor: den IHK-Bildungsexpress. In dem Sonderzug von Mühldorf nach Salzburg lernen sich Chefs, Ausbilder, Schüler und Eltern kennen. An Bord sind 30 bis 35 Ausbildungsbetriebe, rund 100 Berufe werden vorgestellt. Der Zug ist beliebt. Für Firmen gibt es eine Warteliste.

Franz Schabmüller, Vorsitzender des Regionalausschusses Ingolstadt, berichtete über die Ausbildungsmesse IHKjobfit! in Ingolstadt, die nach einer Coronapause im Oktober wieder stattfand (siehe auch Artikel zu Berufsbildung, »So klappt`s mit Azubis«). Die Zahlen sprechen für sich: Gut 100 Aussteller und 2.000 Besucher, eine Top-Empfehlungsquote mit 9,2 von maximal zehn Punkten.

Start-up Szene fördern

Weshalb die IHK sich als künftiges Mitglied des Trägervereins für das Gründerzentrum Dachau engagiert, erklärte Stefan Fichtl, stellvertretender Vorsitzender des Regionalausschusses Dachau: Das Projekt trage dazu bei, die Start-up-Szene zu beleben und in seinem Heimatlandkreis die IHK sichtbarer zu machen.

Senkung der IHK Beiträge für 2023

Die Vollversammlung beschloss mit überwältigender Mehrheit auch die Wirtschaftsplanung 2023. Damit geht eine Senkung der Mitgliedsbeiträge einher: Der ertragsabhängige Umlagesatz sinkt von 0,129 auf 0,100 Prozent. Die gestaffelten Grundbeiträge werden um zehn bis 60 Euro reduziert. Ingesamt beträgt die Entlastung der IHK-Mitgliedsunternehmen in Oberbayern für die Jahre 2023 und 2024 rund 21 Millionen Euro.

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