Klimaschutz | Standortpolitik

Wald retten auf Europäisch

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Intakter Wald – an vielen Orten nicht mehr selbstverständlich

Die EU-Entwaldungsverordnung nimmt verschiedenste Branchen in die Pflicht. Hersteller von Reifen etwa müssen ebenso entwaldungsfreie Lieferketten garantieren wie Schokoladenhändler und Kaffeeröster.

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 04/2024

Wälder binden CO2. Sie sind unverzichtbar, um das Klima zu retten. Zugleich sind sie selbst in Gefahr. Allein 2022 verschwanden weltweit rund 6,6 Millionen Hektar Waldfläche, insbesondere tropische Regenwälder. Dies meldet die Umweltstiftung WWF. Bis 2030 soll die Entwaldung der Erde jedoch gestoppt sein. Darauf einigten sich Ende 2021 bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow mehr als 100 Staaten.

Ein bedeutender Teil der Tropenwaldabholzung ging und geht auf das Konto Europas. Ende 2021 legte die Kommission daher den ersten Entwurf der EU-Entwaldungsverordnung (European Union Deforestation-free Regulation, EUDR) vor, Mitte 2023 setzte sie diese in Kraft. Angewandt werden müssen die Regeln ab Ende 2024.

Wie 3 Firmen vorangehen, berichten hier Ratzinger Großhandel, Alois Dallmayr und PIRELLI.

„Ziel der EUDR ist, die Lieferketten komplett entwaldungsfrei zu halten“, erklärt IHK-Fachfrau Henrike Purtik. „Dafür legt sie den Unternehmen weitreichende Sorgfaltspflichten auf. Die Vorschriften sind komplex, die Umsetzung aufwendig, die Strafen bei Nichterfüllung erheblich“, warnt sie. „Und die angekündigten Unterstützungsangebote seitens der Behörden sind gerade erst in der Entwicklung.“

Insgesamt 7 Rohstoffe betroffen

Dies sind die wesentlichen Vorgaben der EUDR: Für die sieben Rohstoffe Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Naturkautschuk, Soja und Holz – und ebenso für bestimmte Erzeugnisse, die diese Rohstoffe enthalten – dürfen seit Ende 2020 keine Wälder mehr zerstört oder geschädigt werden, sowohl in- als auch außerhalb der EU und auf jeder noch so kleinen Landparzelle. Die Nachweise dafür sind vor allem von Unternehmen zu erbringen, die die oben genannten Rohstoffe oder Erzeugnisse innerhalb der EU in Verkehr bringen, bereitstellen oder aus der EU ausführen.

Die Verordnung bezieht auch “Marktteilnehmer der nachgelagerten Lieferkette“ mit ein, also Unternehmen, die ein in der Verordnung erfasstes Erzeugnis (z.B. Kakaobutter) zu einem anderen erfassten Erzeugnis (z.B. Schokolade) verarbeiten. Dabei können Weiterverarbeiter und Händler auf bereits durchgeführten Prüfungen aufbauen. Für kleine und mittlere Unternehmen gelten teilweise Erleichterungen.

EUDR fordert Risikominimierung

Außer der Entwaldungsfreiheit müssen die Akteure untersuchen, ob in den Anbaugebieten die relevanten nationalen Gesetze eingehalten, die Menschenrechte beachtet, die indigene Bevölkerung geschützt und die Biodiversität erhalten wurden. Bestehen Risiken und sind diese nicht zu vernachlässigen, haben die Unternehmen Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen oder die Lieferbeziehungen zu beenden. Über Geodaten müssen Firmen zudem die exakten Herkunftsparzellen der Rohstoffe lokalisieren.

Abschließend sind die Ergebnisse der Sorgfaltsprüfung mit den Geodaten in eine EU-weite digitale Datenbank einzupflegen. Bei Zuwiderhandeln können hohe Geldstrafen oder auch Produktrückrufe die Folge sein. Zur Unterstützung der Betroffenen erarbeitet die EU einen Leitfaden zur Umsetzung und eine Risikoländerliste.

„Eine Art Erfolgspflicht“

Mit diesen Vorgaben und Sanktionen greift die EU hart durch. „Die EUDR ist bei Weitem schärfer als das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz LkSG“, sagen André Depping und Daniel Walden, Rechtsanwälte bei der Kanzlei Advant Beiten in München. Nach dem LkSG haben die Betroffenen eine Bemühens- beziehungsweise Verfahrenspflicht. Sie müssen zeigen, dass sie sich um menschenrechtskonforme und ökologisch saubere Lieferketten bemühen. „Die EUDR geht hingegen mit einer Art Erfolgspflicht einher.“

Was das bedeutet, erklären die Juristen folgendermaßen: „Das Produkt darf nicht eingeführt oder zur Weiterverarbeitung genutzt werden, wenn die Unternehmen nicht nachweisen können, dass mit den Produkten kein oder lediglich ein vernachlässigbares Risiko eines Verstoßes gegen die Regelungen der Entwaldungsverordnung verbunden ist.“

Können von nationaler Seite noch Erleichterungen eingebracht werden? „Die EUDR muss nicht in nationales Recht umgesetzt werden, sie gilt also direkt.“ Die Nationalstaaten könnten noch über die Durchführungsbestimmungen Einfluss nehmen. „Ob und wie Deutschland dies nutzt, ist aber derzeit noch unklar.“

Lieferketten zügig prüfen

Der Rat der Experten: „Die Lage vor Ort kann intransparent sein, das Sammeln der Nachweise schwierig. Die Unternehmen sollten zügig ihre Lieferketten und Risiken prüfen und Maßnahmen ergreifen.“ Unternehmen sollten insbesondere für eine separate, entwaldungsfreie Lieferkette sorgen, die Lieferanten gegebenenfalls wechseln, die Geodaten beschaffen – „und die EUDR auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen“.

Unmut in den Erzeugerländern

In den Erzeuger- und Lieferländern sowie in der Wirtschaft hat die EU-Entwaldungsverordnung viele Diskussionen ausgelöst. Indonesien und Malaysia, die weltweit führenden Palmölexporteure, reagierten zunächst sehr verärgert. Sie beklagten, dass die EUDR diskriminierend sei, ihre Kleinbauern benachteilige. Diese könnten die verlangten Nachweise, dass ihre Parzellen entwaldungsfrei sind, in der Regel nicht vorlegen.

Der Streit schwelt noch, zugleich aber startete ein Dialog. Malaysia organisiert Schulungen und Weiterbildungen für die Kleinbauern. Indonesien hat eine digitale Clearingstelle für Palmölproduzenten eingerichtet, die die Umsetzung der EUDR unterstützt.

In der Schweiz sieht sich unter anderem die Schokoladenindustrie durch die Verordnung bedroht und macht Druck auf die Politik: Sie solle klären, wie die Unternehmen ihre Daten in das Informationssystem der EU einfließen lassen können. Die Mercosur-Staaten wünschen sich Erleichterungen im Rahmen des Freihandelsabkommens, über das sie derzeit mit der EU verhandeln. Die USA und Großbritannien wiederum entwickeln eigene Vorschriften gegen die Entwaldung.

Zu wenig Zeit, kein ausgereiftes IT-System

Hierzulande äußert der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e.V. (OVID) Kritik. Er spricht für 16 weitere Verbände und Institute, darunter der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Kaffeeverband, der Milchindustrieverband oder das Deutsche Tiefkühlinstitut, und argumentiert vor allem aus der Praxis: „Wir halten die EUDR in weiten Teilen und in der Kürze der Zeit für nicht umsetzbar.“

Es fehlten zudem die konkrete Auflistung der zu liefernden Informationen sowie ein ausgereiftes IT-System für die Millionen von Datensätzen. „Die notwendige staatliche Kooperation mit den wichtigsten Herkunftsländern liegt ebenfalls in weiter Ferne“, so der Verband.

Knackpunkt: Erhalt von Nachweisen

Außerdem ist die Beschaffung der erforderlichen Nachweise nach Ansicht des Verbands bei den bestehenden Lieferstrukturen für einige Produkte äußerst problematisch. Beispiel Soja: Das Lebens- und Futtermittel wird als Massenschüttgut importiert. Die Ernten vieler Kleinstbauern vor Ort werden zu Handelsgesellschaften gebracht, die sie dann nach Qualität, aber nicht nach Herkunft zusammenschütten und verschiffen.

„Wir können also gar nicht mehr erkennen, von welchen einzelnen Grundstücken die Ware jeweils kommt. Zumal Grundstücksdaten von Land zu Land sehr unterschiedlich erfasst werden. Wie sollen wir unter diesen Bedingungen unseren Sorgfaltspflichten umfassend nachkommen?“, fragt OVID-Chef Momme Matthiesen. „Wenn wir Waren ohne Nachweise aber nicht mehr einführen und verarbeiten dürfen, müssen wir mit immensem Aufwand kurzfristig neue Lieferketten aufbauen oder eine Verknappung von Gütern hinnehmen.“

Folgen zu wenig durchdacht

Gerade kleine Produzenten und ganze Lieferländer würden so zunächst Abnehmer verlieren und müssten sich neue Kunden suchen. Matthiesen: „Das Ziel der EUDR ist sicherlich richtig, aber die Folgen und die Umsetzung sind zu wenig durchdacht.“  

Konkrete Umsetzungstipps

Wie betroffene Unternehmen konkret auf die neuen Vorgaben reagieren, zeigen die 3 Unternehmensbeispiele Hermann Ratzinger Großhandel, Alois Dallmayr und PIRELLI.

IHK-Info zu EUDR:

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