Standortpolitik

Grüner Aufbruch

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Die EU-Kommission konkretisiert den im Dezember 2019 präsentierten Green Deal nun mit einem ambitionierten Gesetzespaket zum Klimaschutz – mit gravierenden Auswirkungen auf die bayerische Wirtschaft.

Gabriele Lüke, Ausgabe 10/2021

Seit diesem Jahr ist der 14. Juli nicht mehr nur als Jahrestag der Französischen Revolution im kollektiven Gedächtnis der Europäer verankert. Wirtschaft und Verbraucher werden diesen Tag wohl künftig mit einem weiteren revolutionär anmutenden Ereignis in Verbindung bringen: Am 14. Juli 2021 leitete die EU-Kommission mit ihrem Klimagesetzespaket »Fit for 55« das Aus für Verbrennerfahrzeuge ein – und damit für Automobile, die Europa seit mehr als 130 Jahren erfolgreich produziert.

»Ab 2035 werden neue Benzin- und Dieselfahrzeuge die dann gültigen CO2-Normen des Fit-for-55-Pakets nicht mehr erfüllen können, sie fallen aus dem Markt«, erläutert Till Bullmann (39), Referatsleiter Wärmemarkt und Kraftstoffe beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin.

Zugleich will Bullmann, der die europäische Klimapolitik für die IHK-Organisation und damit aus Sicht der Unternehmen beobachtet, das Gesetzespaket nicht auf diesen Punkt begrenzt wissen: »Fit for 55 enthält eine Reihe von Vorgaben zum Klimaschutz, von denen die deutsche Wirtschaft profitieren kann – etwa zur Energieeffizienz oder zu erneuerbaren Energien.«

Was Unternehmen je nach Branche zu »Fit for 55« wissen sollten: 6 Kernmaßnahmen im Überblick

Ziel: 55 statt 40 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 in der EU

Seit Beginn der aktuellen Legislatur machen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Kommissare beim Klimaschutz Tempo: Bereits im Dezember 2019, kurz nach ihrem Amtsantritt, präsentierten sie den »Green Deal für mehr Klimaschutz in Europa« und setzten ambitionierte Ziele: Bis 2030 will die Kommission den europaweiten Treibhausgasausstoß gegenüber 1990 um 55 Prozent statt wie bisher geplant um 40 Prozent senken. Ab 2050 soll Europa dann der erste klimaneutrale Kontinent überhaupt sein. Insgesamt 1,8 Billionen Euro investiert die EU in den klimafreundlichen Umbau und betont darüber hinaus dessen wirtschaftliches Potenzial: Der Green Deal soll Europa auch aus der Coronakrise führen.

Die Konkretisierung des Green Deal ließ nicht lange auf sich warten. Gleich im Frühjahr 2020 wurde ein europäisches Klimagesetz auf den Weg gebracht. Mit dem Fit-for-55-Paket (mehr in diesem Beitrag) folgten nun die Rechtsinstrumente für die Verwirklichung der in diesem Gesetz vereinbarten Ziele. Industrie und Gewerbe sind hier im Wesentlichen betroffen durch

  • den Umbau des Europäischen Emissionshandels,
  • einen neuen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude,
  • einen CO2-Grenzausgleich (CBAM),
  • die Stärkung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz sowie
  • die Null-CO2-Emissionen-Vorgabe für Automobile.

Weitere Bestandteile des Green Deal sind teilweise noch zu konkretisierende Initiativen wie der Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft, die Wasserstoffstrategie, die Chemikalienstrategie für eine schadstofffreie Umwelt, die Renovierungswelle, die die energieeffiziente und damit CO2-sparende Sanierung von Gebäuden vorsieht, oder der Null-Schadstoff-Aktionsplan für Luft, Wasser und Boden.

»Einer der weltweit ambitioniertesten Fahrpläne«

Nicht zuletzt gehört für die EU-Kommission die Sustainable-Finance-Strategie zum grünen Gesamtpaket: Wenn die EU klimaschutztauglich umgebaut werden soll, wird damit auch eine Reform der Finanzwelt einhergehen. Finanziert werden sollen nur noch klimaschutzgerechte Projekte.

»Mit dem Green Deal und dem Gesetzespaket Fit for 55 hat die EU einen der weltweit ambitioniertesten Fahrpläne für eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft auf den Weg gebracht«, sagt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. Wichtig sei jedoch, dass die Politik in Brüssel, Berlin oder München die Klimapolitik nicht mit noch mehr Vorschriften und Bürokratie überfrachtet und damit die Wirtschaft ausbremst. Die EU müsse die Klimapolitik wettbewerbsfähig gestalten – dann könne aus dem Green Deal ein Wachstumsmotor werden.

1.320 Betriebe im Umwelt- und Klimapakt Bayern

Grundsätzlich habe die bayerische Wirtschaft den Weg zu mehr Klimaschutz bereits eingeschlagen, beobachtet Julia Goebel, IHK-Referentin für Klima- und Energiepolitik. Laut des IHK-Energiewende-Barometers stehen gut 90 Prozent der befragten bayerischen Unternehmen zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen positiv gegenüber. 80 Prozent haben Energieeffizienzmaßnahmen umgesetzt oder planen dies; in der Industrie sind es sogar 93 Prozent.

Mehr als die Hälfte arbeiten an der eigenen Klimaneutralität oder der klimaschonenden Ausrichtung ihrer Produkte und Dienstleistungen. Gut 1.320 Betriebe sind Mitglied im neuen Umwelt- und Klimapakt Bayern, rund 450 Unternehmen arbeiten in Energieeffizienznetzwerken mit, 15 Konzerne sparen über den Klimapakt2 Münchner Wirtschaft gezielt Kohlendioxid ein. Goebel: »Das sind wichtige Schritte, um auch den Green Deal zu meistern.«

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