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Zahnpflege vom Start-up

VOX/Bernd-Michael Maurer ©
Bekanntheitsschub – Florian Kiener (l.) und Stefan Walter präsentierten in der Gründersendung »Höhle der Löwen«

Wie können junge Unternehmen gegen etablierte Konzerne bestehen? Dem Start-up happybrush gelang es mit starkem Fokus auf Nachhaltigkeit, sich auf dem Markt für elektrische Zahnbürsten durchzusetzen.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 10/2021

Für ein Unternehmen, das sich auf Mundpflege spezialisiert hat, ist Johny Rotten, der einstige Frontmann der legendären Punkrock-Band Sex Pistols, ein eher ungewöhnliches Testimonial. Schließlich ist sein Künstlername darauf zurückzuführen, dass seine Zähne Ende der 1970er-Jahre vollkommen verrottet waren.

Dennoch engagierte ihn die happybrush GmbH 2017 für ein Video, in dem er nicht nur über Aufwand und Kosten seiner Gebisssanierung spricht, sondern auch darauf hinweist, wie wichtig Zahnpflege ist. »Das war eine super Aktion für unsere Social-Media-Kampagne, die viel zur Bekanntheit von happybrush beigetragen hat«, freuen sich die Gründer Florian Kiener (36) und Stefan Walter (39) noch heute.

Erfolgsfaktoren

Doch nicht allein bei den Kommunikationsmaßnahmen geht das Münchner Start-up neue Wege. Auch die Produkte heben sich durch hohe Funktionalität, schickes Design und Fokus auf Nachhaltigkeit von den klassischen Zahnpflegesortimenten der etablierten Anbieter ab. So werden die elektrischen Zahnbürsten klimaneutral produziert und bieten unter anderem USB-Ladeanschluss, Timer und extrem lange Akkulaufzeiten. Beim jüngsten Modell wird das Handstück zu hundert Prozent aus recyceltem Kunststoff hergestellt.

Die Aufsteckzahnbürsten werden künftig komplett aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt. Der Griff der Interdentalbürstchen besteht aus Bambus. Zahnpasta und Mundspülungen sind vegan. »Auch bei den Verpackungen legen wir großen Wert darauf, dass sie kompakt, plastikfrei und, soweit möglich, aus nachwachsenden Rohstoffen oder Recyclat bestehen«, sagt Geschäftsführer Walter.

B-Corp-Zertifizierung

Zudem spendet das Unternehmen für jedes verkaufte Produkt einen festen Betrag an das Kinderhilfswerk Plan International und unterstützt ein Trinkwasserprojekt in Ghana. Mit ihrem Engagement für gesellschaftlichen Mehrwert und ökologische Nachhaltigkeit gelang der happybrush GmbH die B-Corp-Zertifizierung: ein strenges Assessment für Unternehmen, die privatwirtschaftlichen Nutzen und Gemeinwohl vereinbaren.

Herzensangelegenheit

Zur Gründung von happybrush im März 2016 motivierte Kiener und Walter der Wunsch, selbst etwas zu gestalten. Sie lernten sich beim US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble kennen, bei dem Walter im Marketing für die Zahnbürsten der Marke Oral-B und Kiener im Vertrieb für die Zahnpasta Blend-a-med tätig war. »Unser Herz schlug eigentlich schon immer für Start-ups und die Möglichkeit, neue Produkte und Marken zu etablieren«, sagt Walter. Dass rund 60 Prozent der Menschen in Deutschland ihre Zähne noch mit einer Handzahnbürste putzen, ermutigte sie, in diesen Markt einzusteigen – mit der Vision, mehr Menschen für das elektrische Putzen zu begeistern, wie Walter betont. »Wir waren überzeugt, dass wir mit einer modernen, innovativen Marke weitere Zielgruppen ansprechen können.«

Beiden Gründern war von Anfang an klar, dass sie zur Realisierung ihrer eher größer dimensionierten Pläne Kapital von Investoren benötigen. Bereits zwei Monate nach der Gründung konnten sie die erste Finanzierungsrunde abschließen. Sieben Monate danach, im Oktober 2016, präsentierten sie ihre erste elektrische Zahnbürste und eine Zahnpasta, die sie zunächst über Amazon sowie ihren eigenen Onlineshop verkauften.

Mix wirkungsvoll

Die Produkte machten sie mit originellen Kampagnen über Social Media, allen voran Facebook und Instagram, bekannt. Darüber hinaus investierten sie in Suchmaschinenmarketing und Google-Ads. »Aber auch klassische PR hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen«, sagt Kiener. Einen großen Bekanntheitsschub und zwei kleinere Kapitalspritzen brachte zudem der Auftritt der beiden Firmengründer bei der VOX-Sendung »Die Höhle der Löwen« im Oktober 2017.

Nahezu zeitgleich gelang happybrush der Sprung in die Regale der Drogeriemarktkette dm. »Beim Qualifizierungsprozess für die ›Höhle der Löwen‹ hat es uns durchaus geholfen, dass wir berichten konnten, dass wir mit dm über eine Listung verhandeln«, erinnert sich Kiener. Andererseits fanden es wohl auch die Einkäufer der Drogeriemarktkette interessant, dass die beiden Gründer ihr Unternehmenskonzept und die Produkte bei der TV-Sendung vorstellen werden.

»Für ein junges Unternehmen ist es wirklich sehr schwierig, von großen Handelsunternehmen wahrgenommen zu werden und einen Termin für Gespräche zu bekommen«, berichtet Walter. »Wenn wir die Gelegenheit hatten, unsere Produkte zu präsentieren, ist es uns jedoch meistens gelungen, die Verantwortlichen zu überzeugen.«

»Eigenentwicklungen mit viel Arbeit, Energie und Liebe«

Mittlerweile ist happybrush bei rund zwanzig Handelsunternehmen in Deutschland und der Schweiz gelistet, darunter Media Markt, real, Globus und der Drogeriemarktkette Budni, die vor allem in Norddeutschland vertreten ist. Den Sprung in die Regale des Handels zu schaffen, gehörte von Anfang an zu den Zie len der beiden Unternehmer. Aktuell erwirtschaftet happybrush 60 Prozent des Umsatzes im klassischen Einzelhandel, ein Viertel über den eigenen Onlineshop und die restlichen 15 Prozent über Amazon. Hergestellt werden die rund 25 Artikel des Sortiments von etwa zwei Dutzend sorgfältig ausgewählten Produktionspartnern. »Es handelt sich dabei immer um Eigenentwicklungen, in die wir viel Arbeit, Energie und Liebe investieren«, betont Walter.

Internationalisierung vorantreiben

2020 arbeitete happybrush erstmals operativ profitabel, für dieses Jahr rechnen Kiener und Walter mit Umsätzen im achtstelligen Bereich. Dennoch schloss das Start-up im Frühjahr 2021 noch eine vierte Finanzierungsrunde ab. Rund vier Millionen Euro investierten Lead-Investor BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft mbH und die Haniel-Gruppe gemeinsam mit den Altgesellschaftern, zu denen die Gründer von Emma Matratzen und des einstigen Fintech-Start-ups 360T zählen.

Damit will happybrush das hohe Wachstumstempo weiter steigern und die Internationalisierung vorantreiben. Nach Deutschland, Österreich und der Schweiz startet das Unternehmen aktuell mit der Erschließung des französischen Markts. Weitere Länder sollen folgen.

Das frische Kapital wird jedoch auch für die Konzeption und Einführung neuer Produkte genutzt. Erst im Sommer 2021 stellte happybrush Zahnpflegeprodukte für Kinder vor. »Wir haben noch viele weitere Ideen in der Pipeline«, sagt Kiener. »Und wir freuen uns schon darauf, all die Innovationen zu zeigen, die wir noch in unserer Schatzkiste haben.«

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