Standortpolitik

Streben nach Höherem

Simulation: Herzog & de Meuron ©

Bebaubare Flächen sind knapp, platzsparende Bauten mit einer Höhe von über 100 Metern umstritten. Wie sich dennoch kluge Lösungen finden lassen, darüber wird in München heftig diskutiert.

Mechthilde Gruber, Ausgabe 10/2021

Von anderen Metropolen Deutschlands hebt sich München deutlich ab, schon aus der Ferne. Denn hier ragen nur wenige Hochhaustürme aus der Stadtsilhouette heraus. Anders als in Frankfurt, Hamburg oder Berlin ist Hochhausbau in München seit Jahrzehnten ein viel diskutiertes und stark umstrittenes Thema. Ein Bürgerentscheid von 2004 regelte, dass kein Neubau höher sein darf als die Türme der Frauenkirche. Inzwischen hat sich in München eine neue Offenheit für herausragende »Leuchtturm«-Projekte entwickelt. Außerhalb des Mittleren Rings wachsen bereits markante hohe Gebäude nach oben – nicht alles jedoch gilt als geglückt.

Zerstörung der traditionellen Sichtachsen

So haben die Hochhausgegner auch heute eine starke Stimme und viele Argumente. Sie wollen vor allem das unverwechselbare Stadtbild bewahren und fürchten eine Zerstörung der traditionellen Sichtachsen in der Innenstadt ebenso wie die Beeinträchtigung der freien Sicht auf die Alpenkette. Kritisiert werden bei der Planung hoher Türme vor allem die mögliche Verschattung angrenzender Viertel, das dort steigende Verkehrsaufkommen und das weitere Verschwinden von bezahlbarem Wohnraum.

Doch seit der Abstimmung vor 17 Jahren, als sich die Münchner denkbar knapp gegen höhere Bauwerke entschieden haben, haben sich die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an Hochhäuser stark verändert. München wächst und wächst, was die Stadt vor eine schwer lösbare Herausforderung stellt: Die Einwohnerzahl steigt rasant, gleichzeitig gibt es immer weniger bebaubare Flächen. »Die Möglichkeiten für Wohnen und Gewerbe im Stadtgebiet sind begrenzt, dieser Situation muss man sich stellen«, sagt Annette Hilpert, Referatsleiterin Stadt- und Regionalentwicklung bei der IHK für München und Oberbayern. Ihr Fazit: »Wenn es in der Breite nicht mehr geht, muss in die Höhe gebaut werden.«

Beschlüsse noch im Herbst im Stadtrat

Bisher waren die herausragenden Hochhäuser in München entweder reine Bürotürme oder – wie in Neuperlach – reine Wohntürme. Das soll sich ändern. Denn jetzt ist der Markt für eine urbane Mischung da. Wie künftig mit Hochhäusern im Stadtgebiet umgegangen werden soll, wird gerade in einer Fortschreibung der Hochhausstudie von 1995 erarbeitet. Einen Entwurf der vom Stadtrat in Auftrag gegebenen Studie stellten die Autoren des Büros 03 Architekten GmbH Anfang 2020 vor. Die Diskussion darüber dauert – mit vielfältiger Bürgerbeteiligung – noch an. Alle Anregungen werden ausgewertet und fließen in die Beschlussvorlage ein, die noch in diesem Herbst in den Stadtrat eingebracht werden soll.

Kontinuität der sogenannten Münchner Linie

»Die Studie will mit ökologischen, gestalterischen und funktionalen Qualitätskriterien eine Orientierung für die vorgeschriebenen Planungsverfahren geben«, sagt Stadtbaurätin Elisabeth Merk (58). Dabei stehe die Studie ausdrücklich in der Kontinuität der sogenannten Münchner Linie. Das heißt, sie soll für einen Ausgleich sorgen zwischen dem Bewahren des traditionellen Stadtbilds und der Förderung von zeitgemäßem Bauen an geeigneten Standorten. »An der richtigen Stelle und mit guter Gestaltung können Hochhäuser in München einen besonderen Beitrag leisten. Aber nicht um jeden Preis«, betont die Stadtbaurätin.

In einem Zonenplan skizziert die Studie genau, in welchen Gebieten Hochhäuser mit unterschiedlichen Höhenkategorien denkbar wären. Für Bauten von über 80 Metern Höhe sind demnach nur wenige Bereiche geeignet: etwa entlang der Bahngleise zwischen Hauptbahnhof und Pasing, im Gewerbeband entlang des DB-Nordrings sowie in den Gewerbegebieten am östlichen Stadteingang.

Material entscheidend

Doch die Höhe allein ist selbst beim Hochhausbau nicht entscheidend. Um mit herausragenden Bauten tatsächlich städtebauliche Highlights setzen zu können, spielt neben der Architektur das Material eine wichtige Rolle. Stahl-Glas-Konstruktionen gelten schon nicht mehr als zeitgemäß, Steinverkleidung spricht für Modernität, eine Holzhybridbauweise gilt heute da, wo machbar, als erste Wahl. Die Studie soll auch mit ökologischen und gestalterischen Kriterien eine Orientierung geben.

Zum brisanten Thema Wohnungsbau führen die Autoren der Studie aus, dass Potenziale für preisgünstiges Wohnen nur in Bauten mit moderater Höhe realistisch seien. Bei Hochhaustürmen fielen die technischen Baukosten dafür zu hoch aus.

»Mehrwert schaffen für die Allgemeinheit«

Die Münchner Wohnungsnot mit Hochhausbau zu beenden, werde nicht gelingen, meint auch Stadtbaurätin Merk. Sie betont aber: »In der Studie wird – und das ist neu – bewusst postuliert: Ein Hochhaus soll Mehrwert schaffen für die Allgemeinheit, mit Angeboten an das Stadtquartier und die Bevölkerung.« Öffentlicher Raum für Läden, Restaurants, soziale Einrichtungen, Kultur und Freizeit soll in der Planung stärker berücksichtigt werden. Merks großes Anliegen ist in diesem Zusammenhang die Bürgerbeteiligung. Sie liefere Politik und Architekten die Informationen dafür, was für einen bestimmten Ort die richtige Nutzungsmischung sein kann.

Gelände rund um die ehemalige Paketposthalle

Ein anschauliches und zugleich viel diskutiertes Beispiel, wie der Ausgleich zwischen Wirtschaftlichkeit und Nutzen für die Stadtgemeinschaft funktionieren könnte, ist ein Bauvorhaben der Büschl-Unternehmensgruppe – das größte, das derzeit in München in Planung ist. Im Westen der Stadt, auf einem rund 20.000 Quadratmeter großen Gelände rund um die ehemalige Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke, soll ein neues, unverwechselbares Stadtquartier mit rund 1.100 Wohnungen und Büros für 3.000 Arbeitsplätze entstehen.

Anfang Juni wurde dafür vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron Basel Ltd. ein zweiter, überarbeiteter Masterplan vorgestellt. Zwar steht die Sanierung der denkmalgeschützten Paketposthalle mit ihrem charakteristischnen Dach im Zentrum des Vorhabens. Sie soll sich in einen neuen Kultur-Hotspot der Landeshauptstadt verwandeln, mit einem vielseitig nutzbaren öffentlichen Freiraum und einer Konzerthalle im Untergeschoss. Rund 300 Millionen Ausbau- und Sanierungskosten sind dafür veranschlagt.

In obersten Etagen öffentliche Nutzung?

Die Aufmerksamkeit aber richtet sich auf zwei Hochhaustürme, die mit ihrer filigran wirkenden Architektur und der geplanten Höhe von 155 Metern im Stadtbild einen ganz besonderen Akzent setzen könnten. Ob sie sich mit dem Stadtbild tatsächlich vertragen würden, wird derzeit in einem Gutachten geprüft. Wie in der Hochhausstudie gefordert, ist in den Erdgeschossen und den obersten Etagen eine öffentliche Nutzung geplant. Münchens Bürger sollen nicht ausgeschlossen sein. So soll auf einem der Türme ein Biergarten mit außergewöhnlicher Aussicht entstehen, der für alle Nichtbewohner des Hauses über Schrägaufzüge entlang der Außenfassade direkt zu erreichen ist.

Geplant nach Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN)

Das gesamte Quartier mit überwiegend sechsgeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern wird nach den Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) geplant. In den Türmen, in denen ein Nutzungsmix von Wohnen, Büro und Hotel vorgesehen ist, will der Investor auch für Fachkräfte bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen.

Wie gefordert, legen die Planer besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. So soll beim Bau beispielsweise ein hoher Anteil von Holz verwendet werden, dazu innovative Baumaterialien mit möglichst geringen CO2-Emissionen. Auf den gemeinschaftlich nutzbaren grünen Dachflächen der niedrigeren Gebäude sind Photovoltaikanlagen geplant. Autoverkehr ist auf dem gesamten Areal nicht vorgesehen, Parkplätze gibt es im Untergeschoss. Dank bereits vorhandener S-Bahn-, U-Bahn-, Trambahn- und Busanschlüsse muss in eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr kaum investiert werden.

Bürgergutachten von 100 repräsentativ ausgewählten Münchnern

Wie das Paketpost-Areal tatsächlich bebaut wird, entscheidet am Ende der Stadtrat. In dessen Beschlussfassung werden auch Anregungen der Bürger mit einfließen. Zu diesem Zweck wird im Oktober von 100 repräsentativ ausgewählten Münchnern ein Bürgergutachten mit Empfehlungen erstellt, was ein neues urbanes Zentrum leisten soll und wie hoch die Türme werden sollten. Investor Ralf Büschl (64) will für die vorliegende Planung und damit auch für den neuen Akzent in der Münchner Skyline kämpfen. Er betont, dass er nicht den einfachen Weg gehe und mehrere niedrige Gebäude errichten wolle, die in etwa die gleiche Nutzfläche bei geringeren Baukosten hätten: »Das wäre das so oft kritisierte langweilige Einerlei. Davon haben wir in München schon viel zu viel.«

Den Masterplan für das Paketpost-Areal sieht er als gut durchdachtes Gesamtkonzept und weist damit auch auf die wirtschaftlichen Zwänge hin, die den Spielraum einengen würden: »Ohne die urbane Dichte und die beiden Hochhäuser kann es keine Sanierung der denkmalgeschützten Paketposthalle geben.«

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