Standortpolitik

»Paradoxe Situation«

Creditreform München Ganzmüller, Groher & Kollegen KG ©
Banken werden künftig bei Kreditvergaben noch genauer hinsehen, erwartet der Finanzexperte Philipp Ganzmüller

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen schrumpft weiterhin. Warum Philipp Ganzmüller, geschäftsführender Gesellschafter von drei Creditreform-Geschäftsstellen, auch nach Auslaufen der Coronahilfen nicht mit einem sprunghaften Anstieg rechnet.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 10/2021

Herr Ganzmüller, warum ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland trotz der Coronapandemie rückläufig?
Die paradoxe Situation, dass trotz Rezession die Zahl der Insolvenzen von Unternehmen sinkt, lässt sich durch die staatlichen Coronahilfsmaßnahmen erklären. Die sprichwörtliche Bazooka hat sich als probate Waffe gegen Unternehmenszusammenbrüche erwiesen: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, das bis Ende 2021 ausgeweitete Kurzarbeitergeld und nicht zuletzt die Flutung des Markts mit Geld in Form von Coronahilfspaketen haben gewirkt. Daher ist das normale Insolvenzgeschehen, das ja auch immer eine natürliche Reinigung des Markts darstellt, derzeit nicht intakt.

Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die staatlichen Coronasubventionen haben auch vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen geholfen, deren Geschäftsmodell schon vor Corona nicht mehr intakt war. Die Bazooka hatte quasi die Treffsicherheit einer Schrotflinte, da nicht geprüft wurde, ob es auch betriebswirtschaftlich sinnvoll war, ein Unternehmen zu retten. Psychologisch wa die Flutung des Markts nach dem Gießkannenprinzip meiner Meinung nach jedoch wichtig und hat die richtigen Signale gesendet. Nämlich, dass der Wirtschaft schnell und möglichst unbürokratisch geholfen wird.

»Keine riesige branchenübergreifende Pleitewelle«

Erwarten Sie nach dem Auslaufen der Hilfsmaßnahmen nun einen rasanten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen?
Wir gehen nicht davon aus, dass eine riesige branchenübergreifende Pleitewelle auf uns zurollt, auch wenn viele Unternehmen derzeit unter Materialknappheit und Schwierigkeiten in ihren Lieferketten leiden. Die aktuelle Delle bei den Unternehmensinsolvenzen wird wohl zum Jahresende wieder ausgeglichen – wenn die Coronahilfen auslaufen und Unternehmen nach wie vor zukunftsfähige Geschäftsmodelle fehlen.

Wie stark dieser Effekt wird, hängt natürlich auch vom Pandemiegeschehen ab. Mit einem Tsunami an Insolvenzen, wie wir ihn in der Frühphase der Pandemie befürchtet haben, rechnen wir jedoch nicht mehr. In unserer aktuellen Mittelstandsanalyse, in der wir auch die Stimmung in der Wirtschaft abgefragt haben, zeigten die Unternehmen, die von der Pandemie nicht direkt negativ betroffen waren, sogar ein großes Maß an Optimismus: Schließlich konnten sie grundsätzlich weiterhin wirtschaftlich erfolgreich arbeiten. Diese Unternehmen sind investitionswillig und sehen lediglich die Herausforderung, sich mit Liquidität jenseits der Coronahilfen zu versorgen.

Wie sieht es in den von Corona besonders stark betroffenen Branchen aus?
Da ist die Situation deutlich schlechter, vor allem wenn man nicht nur die Insolvenzzahlen betrachtet, sondern auch die sogenannten stillen Heimgänge: Viele Gastronomen, Einzelhändler und Dienstleister im Bereich Event und Kultur haben ihr Gewerbe aufgrund der Lockdowns abgemeldet. Leider werden die Gründe für Gewerbeabmeldungen nicht abgefragt, sodass hierzu keine Zahlen vorliegen.

Welche Auswirkungen wird die nun beginnende Tilgungsphase für die Coronadarlehen nach sich ziehen?
Die Unternehmen, die Coronadarlehen in Anspruch genommen haben, werden durch die Annuität sowie die Einschränkungen der unternehmerischen Souveränität aufgrund der Restriktionen der KfW-Darlehen belastet. Im Hinblick auf das Insolvenzgeschehen sehe ich hier allerdings ein geringeres Problem, weil die Unternehmen bei der Antragstellung ihrem Finanzierungspartner, in der Regel der Hausbank, eine ausreichende Bonität nachweisen mussten. Hier wurde also durchaus genauer gesiebt.

»Quote der älteren, insolventen Unternehmen steigt seit Jahren«

Warum sind mehr als die Hälfte der Unternehmen, die im ersten Halbjahr 2021 Insolvenz angemeldet haben, älter als zehn Jahre?
Die Quote der älteren Unternehmen bei den Unternehmensinsolvenzen steigt seit Jahren. Dieser Effekt ist daher nicht auf die Pandemie, sondern vielmehr auf den Strukturwandel der Wirtschaft und nicht mehr wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle zurückzuführen. Allerdings ist durch Corona die Gesamtmenge junger Unternehmen gesunken, da es seit 2020 mit Ausnahme des Hightech-Bereichs deutlich weniger Neugründungen gab.

Worauf sollten Unternehmer im Hinblick auf ihre finanzielle Stabilität derzeit besonders achten?
Eine professionelle und transparente Finanzkommunikation wird in den nächsten Monaten wichtiger denn je: Denn die Banken werden künftig bei Kreditvergaben, aber auch bei den Konditionen und Sicherheiten für laufende Kredite noch genauer hinsehen. Unternehmer sollten ihre Banken nicht nur möglichst gut über ihre aktuellen Zahlen, ihre Strategien und Planungen informieren, sondern diese Zahlen quasi auf dem Silbertablett servieren. Corona hat die Transformation im Bankensektor beschleunigt.

»Noch keine Kreditklemme«

Auch wenn in der Branche ein gewisser Vertriebsdruck herrscht: Wir beobachten, dass Banken den Aufwand bei der Selektion ihrer Kunden verstärken und in ihren Augen riskante Engagements aussondern. Viele unserer Kunden berichten bereits von Schwierigkeiten, Geld für neue Investitionen zu erhalten. Von einer Kreditklemme würde ich allerdings noch nicht sprechen. Und natürlich ist ein stringentes Forderungsmanagement immer unerlässlich, um Zahlungsausfällen vorzubeugen.

Was hat sich hier durch Corona verändert?
In den Coronamonaten waren die Inkasso-Dienstleistungen bei Creditreform rückläufig. Offenbar wollten viele Unternehmen in dieser Zeit ihre Geschäftspartner schonen. Doch im eigenen Interesse sollten sie ihre Außenstände konsequent eintreiben und nicht zu lange warten. Denn Forderungen sind wie frischer Fisch: Je älter, desto wertloser werden sie.

Zur Person Philipp Ganzmüller

Philipp Ganzmüller (45) ist geschäftsführender Gesellschafter der Creditreform München Ganzmüller, Groher & Kollegen KG, der Creditreform Bayreuth Ganzmüller & Groher KG und der Creditreform Rosenheim Ganzmüller & Groher KG. Der Volljurist absolvierte sein Studium mit Schwerpunkt Steuerrecht an der Universität Bayreuth sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Creditreform ist einer der großen Anbieter von Wirtschaftsinformationen, Marketingdaten und Lösungen zum Forderungsmanagement
und schützt Unternehmen seit 1879 vor Zahlungsausfällen. In Deutschland gibt es 128 selbstständige Geschäftsstellen, die rund 130.000 Mitgliedsunternehmen aller Größen und Branchen betreuen.

Verwandte Themen