Digitalisierung | Betrieb + Praxis
Schneller und bequemer

Das Pilotprojekt zur Digitalisierung des Carnet ATA, des Zollpassierscheins für Waren, ist im Dezember 2021 gestartet. Der erste Schritt sorgt schon jetzt für eine raschere und flexiblere Antragstellung.
Mechthilde Gruber, Ausgabe 01/2022
Seit Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte: Das Carnet ATA macht den Grenzübertritt für Waren deutlich einfacher. Wer Messegut, Berufsausrüstung oder Warenmuster in Länder außerhalb Europas mitnehmen will, müsste sie dort eigentlich entweder teuer und mit großem Aufwand verzollen oder aber eine hohe Zollkaution hinterlegen. Ob Maschinen für die Präsentation auf Messen, Pferde für den olympischen Wettkampf oder Kamera-Equipment für Dreharbeiten: Ausgerüstet mit dem Carnet ATA, lassen sich Geld, Zeit und Mühe sparen.
Das Zollpassierscheinheft – bislang eine umfangreiche Blättersammlung – dokumentiert lückenlos, wo die Ware unverändert ein- und ausgeführt wird. Sicherheiten oder Einfuhrzoll werden damit nicht fällig. Dieses Papierverfahren wird nun auf Initiative der Internationalen Handelskammer (ICC) schrittweise digitalisiert.
QR-Code statt Carnet
»Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer Infrastruktur, mit der alle Prozesse rund um das Carnet ATA über eine App auf dem Smartphone abgewickelt werden können«, erklärt Johanna Wegner, Referatsleiterin Zoll- und Außenwirtschaftsrecht bei der IHK für München und Oberbayern. »Das Carnet liegt beim Grenzübertritt dann auf dem Smartphone als QR-Code vor.« Der gesamte Prozess soll in etwa drei bis fünf Jahren abgeschlossen sein. Deutschland ist eines der Pilotländer für dieses Digitalisierungsprojekt.
Die IHK für München und Oberbayern, die jedes Jahr deutschlandweit die größte Anzahl von Carnets ausstellt, nimmt auf Wunsch der ICC bei dem Projekt eine Vorreiterrolle ein. Die gesammelten Erfahrungen werden ausgewertet und fließen in eine weltweite Lösung ein.
Pilotphase startet
Mit der elektronischen Antragstellung durch den Kunden und der digitalen Bearbeitung durch die IHK startete Ende Dezember die Pilotphase für das E-Carnet in der IHK für München und Oberbayern. Bis das gesamte Carnet-Verfahren vollständig digitalisiert ist und dafür die Zollbehörden der rund 80 beteiligten Länder miteinbezogen sind, bleibt die Papierform noch erhalten.
Bislang aufwendige Antragsstellung
Was sich jedoch jetzt schon ändert: Bisher müssen Kunden die Carnet-Formulare bei sich im Unternehmen ausdrucken, sie unterschreiben und entweder per Post oder mit einem Boten zur IHK schicken. Dort werden sie bearbeitet und bei Fehlern zur Korrektur zurückgeschickt. »Manchmal dauert es aufgrund der Postzeiten so mehrere Tage, bis wir schließlich ein Carnet ausstellen können«, sagt Zollexpertin Wegner. Der Kunde muss obendrein für das Carnet einen Antrag unterschreiben, da es sich beim Carnet letztlich um eine Kautionsversicherung handelt.
Antrag mit Mausklick
Dieser Prozess für Antrag und Bearbeitung des E-Carnets ist seit Dezember 2021 in der IHK nun vollständig digitalisiert: Bei der webbasierten Lösung erhalten die Firmen über einen Link mittels Nutzernamen und Passwort Zugriff auf das System, geben die benötigten Angaben und Daten online ein und schicken sie dann per Mausklick zur IHK. Keine langen Wege zur IHK mehr, tagelange Post- und Transportwege entfallen. In der IHK werden die Anträge digital bearbeitet. Fehler können so ohne großen Aufwand korrigiert werden, der Antragsteller kann den Antrag bequem digital von zu Hause aus nachbessern.
Wird dem Antrag stattgegeben, wird der vollständige Formularsatz von der IHK nur noch ausgedruckt, vorne gesiegelt und unterschrieben. Das Carnet erhalten die Unternehmen dann per Post oder sie holen es selbst ab.
Digitale Rahmenvereinbarung
Künftig müssen Antragsteller auch nicht mehr für jedes Carnet einen Antrag einreichen: Die IHK hat hier nach intensiven Gesprächen mit dem Bürgen und dem Rückversicherer erreichen können, dass künftig eine Rahmenvereinbarung für alle Anträge gelten soll. Selbstverständlich wird der Abschluss dieser Rahmenvereinbarung digital über das elektronische Antragssystem abgewickelt. »Dass wir den Rückversicherer hier überzeugen konnten, nach über drei Jahrzehnten auf einen Antrag für jedes Carnet zu verzichten und stattdessen einer digitalen Rahmenvereinbarung zuzustimmen«, so Wegner, »darauf sind wir wirklich stolz!« Damit ist der gesamte Antrags- und Ausstellungsprozess vollständig digitalisiert.
»Wenn jetzt noch die Zollverwaltungen weltweit zustimmen, das Papier-Carnet durch die bereits erwähnten Barcodes auf dem Smartphone zu ersetzen, dann werden wir uns wahrscheinlich einen neuen Namen für das Carnet überlegen müssen«, sagt Wegner schmunzelnd. Ein »Heft«, was Carnet auf Deutsch übersetzt heißt, sei es ja dann nicht mehr.
Praxistest bei der Audi AG
Erster Partner der IHK für das Pilotprojekt E-Carnet ist die Audi AG. Der Ingolstädter Automobilhersteller beantragt jedes Jahr mehrere Hundert Carnets für Messen und Erprobungsfahrten und ist damit Deutschlands größter Nutzer dieses Zollpassierscheins. »Wenn wir unsere Autos auf Messen ins Ausland schicken, müssten wir ohne Carnets hohe Geldbeträge als Zollkaution hinterlegen und dafür nicht unerhebliche Gebühren bezahlen«, sagt Andreas Forstner (45), Leiter Europäisches Zollrecht und Exportkontrolle bei Audi. Zudem sorge das Carnet für eine zügige Grenzabfertigung, was vor allem in den Zielländern sehr hilfreich sei.
Von der Digitalisierung der Antragstellung verspricht sich das Unternehmen in Zukunft weitere Vorteile, so Audi-Manager Forstner: »Wir erwarten, dass wir beim Erstellen eines Carnets deutlich flexibler werden und uns mindestens einen Tag Vorlaufzeit sparen.« In Zukunft ersetzt ein Knopfdruck, durch den die Formulare elektronisch übermittelt werden, die Fahrt nach München, um unterschriebene Anträge in die IHK zu bringen. Damit lassen sich hohe Folgekosten vermeiden, die beispielsweise dann entstehen, wenn Carnets nicht rechtzeitig zum Versand der Autos zur Verfügung stehen und der Spediteur stattdessen über andere Zollverfahren abwickeln muss.
Die erste Phase des internationalen Pilotprojekts, in dem das Unternehmen noch Wünsche und Verbesserungsvorschläge einbringen kann, ist für Forstner ein Schritt in die richtige Richtung. Er hofft, dass in einer nächsten Phase auch die Zollverwaltung in den Prozess integriert wird. »Wir können damit alle nur gewinnen«, ist der Audi-Manager überzeugt.
Zeitnahe Vorteile
»Unternehmen können aber schon jetzt von diesem ersten Schritt der Digitalisierung profitieren«, erklärt IHK-Expertin Wegner. Für die Nutzung des jetzt bereits verfügbaren E-Carnet-Systems muss der Antragsteller keinen Formularsatz mehr kaufen, An- und Abfahrt sowie Postwege bei der Beantragung entfallen; das System ist als webbasierte Anwendung einfach und bequem sogar vom Homeoffice aus bedienbar. Entwürfe und Vorlagen können kopiert, CSV-Dateien hochgeladen werden. Das System verfügt über eine Archiv- und Statistikfunktion, sodass für Auswertungen die Zielländer und Warenwerte auf Tastendruck zur Verfügung stehen und ausstehende Carnets überwacht werden können. Auch eine Anbindung an Warenwirtschaftssysteme ist grundsätzlich möglich.
Ab Jahresanfang 2022 wird das System sukzessive allen IHK-Unternehmen zur Verfügung gestellt. »Unser Ziel ist es, unsere Kunden zeitsparend, effizient und kostengünstig mit dem Dokument zu versorgen, damit sie die Zollstellen problemlos passieren können«, sagt IHK-Fachfrau Wegner. »In ein paar Jahren wird das noch schneller und einfacher gehen, wenn das Carnet dann als QR-Code auf dem Smartphone zur Verfügung steht.«
Informationen zu Carnet ATA auf der IHK-Website.