Digitalisierung | Standortpolitik

Die Welt positiv verändern

Hans Sauer Stiftung/social design lab ©
Wie können Stoffkreisläufe geschlossen werden? Circular-Society-Projekt »Mehrwerthof« in Markt Schwaben

Stiftungen wollen etwas bewegen und sich gesellschaftlich einbringen. Digitalisierung und Kooperationen eröffnen ihnen dabei neue Chancen soziale Innovationsprozesse voranzutreiben.

Harriet Austin, Ausgabe 03/21

Die Blockchain – auf dieser Technologie beruht etwa die Cyberwährung Bitcoin – und Spenden sammeln? Wie passt das denn zusammen? »Sehr gut sogar«, sagt Michael Reuter (51), Mitgründer und Geschäftsführer der Münchner Datarella GmbH. Das Unternehmen bietet seit 2015 Blockchain-Software-Lösungen für Firmen, aber auch für die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen an. Die Blockchain ermöglicht es, mithilfe einer dezentral auf verschiedenen Servern abgespeicherten Datenbank Informationen fälschungssicher abzulegen.

Die Idee, die neuartige IT-Technologie für Spenden zu nutzen, kam Reuter bei einem Einsatz für die Düsseldorfer YOU-Stiftung in Dakar im Senegal. In einem modernisierten Slum führte Reuter die sichere Blockchain zum Bezahlen der Wohngebühren ein. Das funktionierte so gut, dass Stifterin Ute-Henriette Ohoven ihn fragte, ob das auch für Spenden möglich sei.

Reuter und sein Team entwickelten daraufhin ein Angebot, das sie SmartAid nennen – eine digitale Spendenplattform, die finanzielle Unterstützung für soziale Projekte mithilfe der Blockchain einfach, effizient und sicher gestalten will. »Man kann seine Spende jederzeit transparent nachverfolgen und weiß, wann sie angekommen ist«, erklärt Reuter. Derzeit sind fünf Projekte der YOU-Stiftung auf der Website präsent, die sich dadurch auch den Zugang zu einer jüngeren Zielgruppe erhofft. Der Unternehmer ist auch offen für weitere Projektpartner.

Immer mehr digitale Tools

Keine Frage: Stiftungen helfen, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Allein in Bayern setzen sich aktuell mehr als 4.000 rechtsfähige Stiftungen für das Gemeinwohl ein. Dabei verfügen viele über ein bemerkenswertes kreatives Potenzial und wenden zunehmend digitale Tools an, »die ihnen ermöglichen, in ganz anderer Art und Weise zusammenzuarbeiten«, sagt Philipp Hof, Geschäftsführer der Haus des Stiftens gGmbH in München.

»Es sind Personen, die Innovationen vorantreiben.«

Er ist seit 25 Jahren in diesem Metier tätig und betreut derzeit circa 1.500 Stiftungen und 100 Unternehmen bei ihrem gesellschaftlichen Engagement. Hof macht auf eine wesentliche Voraussetzung innovativer Stiftungsarbeit aufmerksam: »Neben den richtigen Rahmenbedingungen und Strukturen sind es vor allem Personen, die Innovationen vorantreiben.«

Ralph Boch ist einer dieser kreativen Stiftungsköpfe, für den »Innovationen der Haupttreiber der Arbeit sind«. Er ist Vorstand der Hans Sauer Stiftung in München, die unter anderem bei sozialen Design- und Bauprojekten technische und soziale Innovationen anstößt, sie bis zur Umsetzung begleitet und so »den Stifterwillen mit neuem Leben und neuen Inhalten füllt«, sagt Boch. Wobei er hervorhebt, dass eine Innovation ihren Ursprung in einem wirklichen gesellschaftlichen Bedarf haben und nicht technikgetrieben sein sollte. »Die Technik kann aber unterstützend wirken«, ergänzt er.

»Mehrwerthof«

Ein aktuelles Projekt ist die »Circular Society«, bei der es um die Frage geht, wie in unserer Gesellschaft Material- und Stoffkreisläufe geschlossen werden können. »Wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie gesucht, die Potenzial hat«, sagt Boch. Ein Wettbewerb 2019 führte schließlich zu einem ersten Praxisprojekt in Markt Schwaben. »Wir stellten allen Akteuren die Frage, ob ihr Wertstoffhof seinen Charakter verändern und ein neuartiger Ort der Zirkularität, des Austauschs und des kommunalen Lebens werden könne«, erklärt der Stiftungsvorstand.

Innovationen partizipativ

Das Ergebnis: das Projekt »Mehrwerthof«, das vorsieht, dort Elektrogeräte zu reparieren, Bauteile wiederzuverwenden, Möbel zu produzieren und vieles mehr. Das Projekt musste wegen Corona zwar eine Pause einlegen, doch das bremst Bochs Kreativität keineswegs. Jetzt plant er, die Erfahrungen auf ein Münchner Quartier zu übertragen. »Wir sind bereits dabei, eine Partnerstruktur aufzubauen«, so der 52-Jährige. Der Pilot in Markt Schwaben habe gezeigt, »wie gut die Entwicklung von Innovationen im partizipativen Modus gelingt«.

Komplexe Themen im Zusammenschluß bewältigen

Eine Erkenntnis, die Stiftungsexperte Hof bestätigt: »Die Themen sind so komplex geworden, dass Innovationen nicht mehr von Einzelnen bewältigt werden können.« Vielmehr müssten sich Akteure wie Kommunen, Unternehmen, Stiftungen und Zivilgesellschaft zusammenschließen.

Diesem Konzept folgt auch das Innovations- und Gründungszentrum UnternehmerTUM. »Wir kooperieren seit vielen Jahren mit Stiftungen, die gesellschaftliche Innovationen vorantreiben«, sagt Andrea Lödler, die als Fundraising Managerin bei UnternehmerTUM für dieses Projekt zuständig ist. Die Zusammenarbeit mit Stiftungen werde gezielt im Bereich der Bildung und Qualifizierung genutzt, um Talente und Gründergeist der TUM-Studierenden zu fördern. »Sie sollen aber nicht nur technologisch und wirtschaftlich erfolgreich sein, sondern auch einen sinnvollen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen«, so Lödler.

Themen, die sie mit Stiftungen verhandelt, sind vor allem digitale Bildung, Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung, Nachhaltigkeit und Leadership. Mit dabei sind zum Beispiel die Hans Sauer Stiftung mit Stipendien für die Prototypen-Werkstatt MakerSpace, die BMW Foundation Herbert Quandt mit dem Acceleratorprogramm Respond für Start-ups oder die Rid Stiftung, bei der Studierende und Startups im Rahmen des Innovationswettbewerbs »Handel im Wandel« Ideen für den stationären Einzelhandel entwickeln.

Blick auf die Zivilgesellschaft durch technologische Brille

UnternehmerTUM-Managerin Lödler ist vom konkreten Nutzen der Bildungskooperationen zwischen dem Innovationszentrum und den Stiftungen überzeugt: »Wir haben alle die technologische Brille auf. Durch die Stiftungen nehmen wir den Blickwinkel der Zivilgesellschaft ein und lernen gesellschaftliche Herausforderungen kennen.« Gemeinsam und mit Technologie die Welt nachhaltig positiv verändern – das würden auch Studierende immer stärker einfordern.

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