Digitalisierung | Betrieb + Praxis
Mehr Zeit für die Gäste
Die Coronakrise hat die Digitalisierung im Tourismus beschleunigt. Höchste Zeit, dass auch mittelständische Anbieter nachziehen, sagen Branchenexperten.
EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 05/2022
Ein selbst entwickeltes Buchungsmodul auf der Hotel-Website, mit dem Zimmerauswahl und -buchung unkompliziert sind, eine App für iOS- und Android-Smartphones, ein digitales Kundenbindungsprogramm – bei der Motel One GmbH in München, die derzeit 79 Hotels mit 22.820 Zimmern betreibt, ist der Digitalisierungsgrad beachtlich. »Wir haben uns bei diesem Thema in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt und auch während der Pandemie viele Projekte vorantreiben können«, sagt Co-CEO Daniel Müller (43).
Eine halbe Million Downloads
Dazu zählt zum Beispiel das Loyalty-Programm beOne mit mehr als 800.000 Mitgliedern, die unter anderem ein kostenloses Frühstück bei Erstregistrierung und ein »Welcome Water« beim Check-in erhalten. Die App ist als »Personal Travel Companion« konzipiert, wurde bereits eine halbe Million Mal heruntergeladen und bietet Informationen zu Häusern und Angeboten des Unternehmens.
Viele Benefits durch Digitalisierung
Nutzer können zum Beispiel die günstigsten verfügbaren Buchungsoptionen abrufen. »Diese Benefits sowie Gewinnspiele via Newsletter kommen bei unseren Stammgästen gut an«, sagt Müller. Weitere Digitalisierungsprojekte sind in Arbeit. Noch 2022 will Motel One die Zahlung mittels Google Pay und Apple Pay ermöglichen und ein Loyalty-Programm für Geschäftskunden aufsetzen.
Viele Hoteliers und Gastronomen haben die vergangenen zwei Pandemiejahre und die damit verbundenen Einschränkungen dazu genutzt, die Digitalisierung voranzutreiben, beobachtet Alfred Bauer, Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT) und Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Kempten.
Gäste erwarten digitale Informationen
»Diese Entwicklung wurde und wird durch die Nachfrageseite beschleunigt: Denn die Gäste erwarten mittlerweile, rund um die Uhr schnelle Informationen zu erhalten«, sagt Bauer. Auch die Onlinebuchbarkeit werde immer wichtiger.
Hilfe beim Datenmanagement
Für ein weiteres wichtiges Digitalisierungsthema hält der Experte das Datenmanagement: Gäste- und Auslastungsdaten helfen den Betrieben bei Marketingaktionen, Kundenbindungsmaßnahmen und der Personal- und Ressourcenplanung. Auf überbetrieblicher Ebene ermöglichen zuverlässige Daten der touristischen Leistungsträger unter anderem die Besucherlenkung, wie etwa beim Ausflugsticker Bayern, mit dem das Besucheraufkommen an zentralen Ausflugszielen gesteuert werden soll.
Wichtigkeit für kleinere und mittelständische Tourismusbetriebe
Digitalisierung wird – neben Nachhaltigkeit – maßgeblich die Zukunft der Branche bestimmen. Davon geht das Projekt »Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040« aus, das im Auftrag des Bayerischen Wirtschaftsministeriums vom BZT erstellt wurde. Damit eines der positiven Szenarien Realität werden kann, empfiehlt Marco A. Gardini (57), Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Kempten und stellvertretender BZT-Leiter, auch kleineren und mittelständischen Tourismusbetrieben, sich intensiver mit dem Zukunftsthema Digitalisierung auseinanderzusetzen.
»Digitales Mindset« wichtig
»Manche Betriebe haben durchaus noch Schwierigkeiten, die Anforderungen der Gäste an moderne IT-Lösungen zu erfüllen«, stellt Gardini fest. Das liege größtenteils an einer Kombination aus mangelndem Fachwissen und fehlenden finanziellen Ressourcen. »Schließlich sind Hoteliers und Gastronomen in aller Regel professionelle Gastgeber und keine Technologieexperten«, so Gardini. »Professionelle IT-Unterstützung wiederum ist teuer.« Allerdings sei bei den Entscheidern auch eine gewisse kulturelle Anpassungsleistung in Form eines »digitalen Mindsets« wichtig.
»Digitalisierung und Gastfreundschaft passen sehr gut zusammen«, betont der Experte. »Moderne IT-Lösungen sorgen dafür, dass man den Gast besser versteht, und sie befreien von zeitfressenden Routineaufgaben. Die gewonnene Zeit kann dann in die Qualität der Begegnungen mit dem Gast investiert werden.«
»Manuelle Prozesse an der Rezeption sind ineffizient und teuer«
Juan Sanmiguel (34) sieht das naturgemäß ähnlich. Er hat 2015 die Hotelbird GmbH gegründet, die digitale Check-in/ -out-Lösungen anbietet. »Alle führenden deutschen Hotelketten setzen mittlerweile auf unsere Plattform«, sagt der Geschäftsführer selbstbewusst. »Denn die manuellen Prozesse an der Rezeption, so wie wir sie heute kennen, sind ineffizient und teuer.«
Hotelbird bietet auch Module für die digitale Zutrittskontrolle, bei der die Tür des Hotelzimmers per Smartphone oder Keycard geöffnet werden kann. »Beide Lösungen ermöglichen einen komplett kontaktlosen Check-in, was Gäste nach wie vor zu schätzen wissen«, sagt der Unternehmer.
»Seit Corona hat sich das Blatt extrem gewendet«
Zur Produktpalette gehören außerdem ein digitaler Covid-Check, ein rechtskonformer digitaler Meldeschein sowie eine digitale Gästemappe mit Hotelinformationen. Anfangs zeigten ausschließlich Hotelketten Interesse an den digitalen Angeboten. »Die Inhaber einzelner Häuser oder die Vermieter von Ferienwohnungen von unseren Lösungen zu überzeugen, war damals sehr schwierig«, erinnert sich Sanmiguel. »Doch seit Corona hat sich das Blatt extrem gewendet. Nicht zuletzt durch den grassierenden Fachkräftemangel in der Branche erkennen nun auch sie, wie wichtig es ist, wiederkehrende Prozesse zu optimieren.«
Die 2010 gegründete Hans im Glück Franchise GmbH hat ihre Prozesse gleich von Anfang an digitalisiert. Das sei ein großer Vorteil, sagt Geschäftsführer Johannes Bühler (38): »Gastronomiebetriebe, die jahrzehntelang gewohnte Arbeitsabläufe digital abbilden wollen, haben es deutlich schwerer.« Der hohe Digitalisierungsgrad helfe nicht nur bei der Steuerung der Gesamtorganisation, zu der in Deutschland 84 und im europäischen Ausland sechs Burger-Restaurants zählen. Auch in den einzelnen Restaurants sorgt sie für reibungslose Abläufe und den effizienten Umgang mit Ressourcen.
QR-Codes und Wetterbericht
Auf Basis von Daten der Vergangenheit und der prognostizierten Auslastung, bei der selbst der Wetterbericht eine Rolle spielt, werden etwa Schichtpläne und Bestellvorschläge für die Zutaten automatisiert erstellt. »Personal und Material sind schließlich die beiden größten Kostenblöcke eines Restaurants«, sagt Bühler. QR-Codes auf den Tischen der Restaurants führen nach dem Einscannen per Smartphone zur digitalen Speisekarte auf der Website. »Dadurch lässt sich zum Beispiel verfolgen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Speisen angeschaut werden – und unsere Servicekräfte können sich auf ihre Gastgeberrolle konzentrieren, anstatt gedruckte Speisekarten zu desinfizieren«, sagt Bühler.
Website als »digitaler Point of Sale«
Die digitalen Speisekarten waren ebenfalls für das Abhol- und Liefergeschäft während der Lockdowns wichtig. »Dass unser Essen über sämtliche Lieferdienste bestellbar ist, kommt sehr gut an«, sagt der Hans-im-Glück-Geschäftsführer. Er bezeichnet die Website mit Speisekarte als »digitalen Point of Sale«, der weiter an Bedeutung gewinnt: Obwohl die Umsätze mit Restaurantbesuchern wieder das Niveau der Jahre vor Corona erreicht haben, ist das Außer-Haus-Geschäft nach wie vor stark.
Muster erkennen
»Wir arbeiten daran, aus all den Daten, die wir selbstverständlich streng datenschutzkonform erheben und speichern, Muster zu erkennen, um unsere Planungen zu verbessern«, so Bühler. Das helfe unter anderem bei der Expansion: »Wir können mittlerweile ziemlich genau voraussagen, wie das Umsatzpotenzial an einem möglichen neuen Standort aussieht.« Daher will die Firma auch weiterhin in digitale Lösungen investieren. Bühler ist überzeugt: »Derzeit kratzen wir lediglich an der Oberfläche des heute bereits Möglichen.«
Die Studie »Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040« steht beim BZT online.
4 Tipps für die Digitalisierung
Wie gelingt die Digitalisierung in mittelständischen Tourismusbetrieben? Marco A. Gardini, Vizechef des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT), empfiehlt:
- Es gibt sehr viele Digitalisierungslösungen für verschiedenste Geschäftsfelder und Arbeitsbereiche. Vermeiden Sie angesichts all dieser Möglichkeiten Technikverliebtheit: Am wichtigsten sind derzeit die Themen digitale Buchbarkeit und Sichtbarkeit sowie das Management von Kundendaten.
- Bevor Sie sich für einzelne Lösungen entscheiden, sollten Sie eine Digitalisierungsstrategie entwickeln und überlegen, welche Ansätze Ihnen und Ihren Gästen den größten Mehrwert bieten. Die Entwicklung dieser Strategie ist Chefsache.
- Gehen Sie schrittweise vor: Identifizieren Sie ein bis zwei Lösungen, mit denen Sie Geld sparen können und/oder näher zum Gast kommen, und setzen Sie zunächst diese Projekte um. Das schont nicht nur finanzielle, sondern auch personelle Ressourcen.
- Setzen Sie auf Kooperationen: Es macht durchaus Sinn, dass mehrere Unternehmen gemeinsam Lösungen entwickeln und dabei jede Firma nur quasi die letzte »Abzweigung« für ihren Betrieb maßschneidert.