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Regio-Delivery GmbH ©
Umsatz verdreifacht im ersten Lockdown – Patrick Eichler, Geschäftsführer von Regio-Delivery

Vor Corona besetzte der Lebensmittelhandel im Internet in Deutschland eine wachsende, aber kleine Nische. Durch die Pandemie hat sich das Einkaufsverhalten jedoch verändert. Kommt der Durchbruch für den Online-Foodhandel?

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 01/21

Mit der Entwicklung seiner Regio-Delivery GmbH ist Gründer und Geschäftsführer Patrick Eichler von Anfang an zufrieden. Das Start-up hat sich auf den Onlineverkauf regional erzeugter Lebensmittel spezialisiert. »Unsere Lieferanten sind hauptsächlich kleine, familiengeführte Betriebe mit hohem Anspruch an Qualität und Ökologie«, erklärt der 34-Jährige.

»Wir halten die Lieferwege kurz und können ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis sowie einen kleinen CO₂-Fußabdruck garantieren.« Die Logistik inklusive Auslieferung im gesamten Münchner Stadtgebiet übernimmt Regio-Delivery mit eigenen Fahrzeugen selbst.

Corona-Schub: Verdreifachter Umsatz binnen Tagen

Nach der Gründung 2019 wuchs die Kundenzahl kontinuierlich. Dann kam Corona – und binnen weniger Tage verdreifachte sich der Umsatz. Nicht nur die Zahl der Neubestellungen stieg sprunghaft an, auch die Warenkörbe wurden größer.

Der Kundenansturm brachte durchaus gewisse Herausforderungen mit sich. »Bei einigen Produkten wie etwa Eiern wurde die Warenbeschaffung schwierig. Manche Kunden haben dann mitunter etwas verschnupft auf Lieferengpässe reagiert«, erinnert sich Eichler. »Zudem mussten wir ein Hygienekonzept ausarbeiten und neue Mitarbeiter finden und einlernen. Um die Lieferkapazitäten zu erhöhen, haben wir weitere Fahrzeuge angemietet.« Dass selbst in der Hochphase im April 2020 grundsätzlich alles gut geklappt hat, freut ihn nach wie vor. »Das war schon eine stressige Zeit, in der wir alle am Limit gearbeitet haben.«

Studie: Gesamtmarktvolumen sehr hoch

Mit dieser Einschätzung steht der junge Unternehmer nicht allein da. Die Coronapandemie hat den Anbietern von Lebensmitteln im Internet einen Schub gebracht. Immer mehr Verbraucher ordern Getränke, Gemüse und andere Nahrungsmittel online, bestätigt eine Studie der Unternehmensberatung Bain & Company, die Anfang September 2020 veröffentlicht wurde. Demnach fällt der Onlineanteil bei Lebensmitteln in Deutschland mit 2,9 Prozent zwar immer noch niedrig aus. Aber das Gesamtmarktvolumen bei Lebensmitteln ist sehr hoch. So kommt es, dass sich selbst die mageren 1,5 Prozent Onlineanteil im Jahr 2019 auf rund zwei Milliarden Euro Umsatz summierten. Die Bain-Experten rechnen außerdem damit, dass bis zu 45 Prozent des aktuellen Umsatzzuwachses in diesem Kanal erhalten bleiben.

Auch ohne Abomodell treue Kunden

Die Praxis liefert dafür einige Belege. Bei Regio-Delivery etwa haben sich die Bestellungen auf hohem Niveau stabilisiert: Im Vergleich zum Spitzenmonat April lag der Umsatz ein halbes Jahr später lediglich zehn Prozent niedriger, was vor allem auf kleinere Warenkörbe zurückzuführen ist.

Obwohl das Unternehmen kein Abomodell anbietet, ordert der Großteil der Neukunden nach wie vor bei Regio-Delivery. Geschäftsführer Eichler geht davon aus, dass sich die Einstellung vieler Konsumenten zum Onlineeinkauf von Lebensmitteln gewandelt hat. »In den Wochen des Lockdowns haben das viele Menschen zum ersten Mal ausprobiert. Offenbar sind sie von Qualität und Service überzeugt und bleiben dabei.«

»Den Markt um zwei bis drei Jahre vorgespult«

Oliver Lucas (48), Geschäftsführer der Digitalisierungsberatung ecom consulting GmbH, erwartet ebenfalls, dass der coronabedingte Wachstumssprung beim Onlinehandel mit Lebensmitteln nachhaltig sein wird. »Die Pandemie hat den Markt um zwei bis drei Jahre vorgespult«, sagt er. »Die Kunden haben Berührungsängste abgebaut und gemerkt, dass sie auch ihren Wocheneinkauf problemlos online tätigen können.«

Kosequent klar umrissene Nischen bedienen

Zudem sei die Kundenbindung in diesem Segment hoch, weil die Konsumenten tendenziell immer wieder die gleichen Lebensmittel kaufen, was Onlinebestellungen erleichtere.
Große Handelsketten und Onlinehändler bemühen sich seit Jahren darum, dem Lebensmitteleinkauf im Internet zum Durchbruch zu verhelfen. »Dabei müssen nicht nur die Verbraucher überzeugt werden, auch die für Lebensmittel höchst anspruchsvolle Logistik bildet eine gewisse Markteintrittshürde«, sagt Lucas. Er betont jedoch, dass selbst kleinere Anbieter, die sich konsequent auf klar umrissene Nischen konzentrieren, im Onlinelebensmittelhandel gute Chancen haben. »Der Gesamtmarkt ist schließlich riesig.«

Überregionale Player

Schon vor Corona gab es überregionale Player, die diese Hürden erfolgreich überwanden, darunter zum Beispiel der Lieferdienst der REWE Markt GmbH oder der niederländische Anbieter Picnic GmbH, der sein Liefergebiet in Deutschland nach und nach ausweitet. Auch große Lebensmittelhändler und Discounter, die über ihre Onlineshops zunächst lediglich ihre Non-Food-Sortimente verkauft haben, bieten dort immer mehr Lebensmittel an. »Amazon erwirtschaftet ebenfalls marktrelevante Umsätze mit Lebensmitteln«, sagt Experte Lucas.

Auch Nischen-Anbieter mit signifikanten Umsatzanteilen

Daneben gibt es noch weitere Anbieter in diesem Segment. Klassische Lieferdienste, die sich auf tiefgekühlte Lebensmittel oder Getränke spezialisieren, bieten ihren Kunden ebenfalls die Möglichkeit, online zu bestellen, und erzielen damit in der Regel signifikante Umsatzanteile.
Ein Beispiel ist die 2006 gegründete Bienenfleiss Getränke-Lieferservice GmbH. Ihr Internetshop ging erst vor einem Jahr online. Rund zehn Prozent der Kunden bestellen mittlerweile auf diesem Kanal. Um Mitarbeiter und Kunden bestmöglich zu schützen, stellte Bienenfleiss Getränke bereits frühzeitig Mund-Nasen-Bedeckungen, Handschuhe und Desinfektionsmittel zur Verfügung. Die Räumlichkeiten wurden abgeteilt, sodass jeder Bereich für sich war, die Abläufe aber dennoch wie vor der Pandemie koordiniert werden konnten.

»Zudem bieten wir unseren Kunden die kontakt- und bargeldlose Zustellung an, die gut angenommen wird«, sagt Geschäftsführer Matthias Hirschfeld (25). »Ansonsten achten unsere Auslieferungsfahrer auf den nötigen Sicherheitsabstand und die Einhaltung der allgemeinen Hygienemaßnahmen.«

Weniger Bestellungen von Geschäftskunden

Die Coronabeschränkungen beeinflussen die Nachfrage allerdings nicht nur in eine Richtung. So steigerte der Münchner Getränke-Lieferdienst während des Lockdowns zwar den Umsatz mit Privatkunden um rund 20 Prozent, aber bei den Geschäftskunden zeigte sich eine gegenläufige Entwicklung. »Wir konnten nicht von der Coronalage profitieren, da ein Großteil unserer Bestellungen auf die Büro- und Firmenversorgung entfällt«, bedauert Hirschfeld. »Durch die Schließungen und Notbesetzungen in vielen Betrieben verzeichnen wir in diesem Bereich große Umsatzeinbußen.«

Schnelleres Wachstum als vorhergesagt

Den grundlegenden Trend zu mehr Onlinekäufen können solche Effekte wohl nicht bremsen. Die Experten von Bain & Company stellten in ihrer Studie fest, dass der Internethandel mit Lebensmitteln schneller wächst als vor der Pandemie prognostiziert. Im Falle eines erneuten Lockdowns halten sie es für durchaus möglich, dass in Deutschland der Onlineanteil in diesem Segment bis zum Jahr 2025 auf vier Prozent steigen könnte.

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