Digitalisierung | Betrieb + Praxis
Impulsgeber und Sparringspartner
Immer mehr Mittelständler leisten sich einen Beirat. In der richtigen Zusammensetzung liefert er wichtige Denkanstöße für Zukunftsthemen wie etwa die Digitalisierung.
Melanie Rübartsch, Ausgabe 09/2021
Die Hörmann Gruppe ist eine klassische Industrieholding. Von der Zentrale in Kirchseeon gesteuert, liefern die insgesamt 27 verbundenen Unternehmen Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Automotive, Engineering, Communication und Industrieservices. Die Kinder des Firmengründers Hans Hörmann sind heute im Unternehmen tätig oder als Gesellschafter beteiligt. Die Leitung liegt in der Hand von zwei familienexternen Geschäftsführern.
Kontrollorgan schon vor 15 Jahren installiert
Aus diesem Grund hat das Familienunternehmen bereits vor über 15 Jahren einen Beirat als Kontrollorgan installiert, dem Hans Hörmann bis vor Kurzem noch selbst vorsaß. Im Lauf der Zeit wuchs in Kirchseeon die Überzeugung, dass so ein Beirat noch viel mehr kann, als Aufsicht zu führen. In der richtigen Zusammensetzung ist er ein wertvoller Ratgeber bei Zukunftsfragen, bei denen im eigenen Unternehmen die Kompetenz teilweise fehlt – vor allem bei der Digitalisierung.
»Sie verändert unser Geschäft von Grund auf. Wir sind vor allem Experten in unserer Industrienische, aber noch keine Digitalspezialisten«, sagt Anna Hörmann, Tochter des Firmengründers und Leiterin der Strategieabteilung. Die 30-Jährige weiß, dass eine nachhaltige Digitalisierungsstrategie alle Unternehmensbereiche betrifft und am besten von ganz oben kommen sollte. Aus diesem Grund verstärkt seit 2020 mit dem Business Angel Andreas Albath, vormals unter anderem Chef der Onlinejobplattform Stepstone und des Multichannel-Suchspezialisten Telegate, ein ausgewiesener Digitalexperte den sechsköpfigen Beirat der Hörmann Gruppe.
Seit Anfang des Jahres ist zudem der Familienunternehmer Florian Schauenburg mit an Bord. Er hat unlängst selbst die digitale Transformation in seiner eigenen Firma angestoßen und kann wertvolle Erfahrungen beisteuern.
Entscheidend für den Mittelstand
Familienunternehmen in Deutschland nutzen zunehmend Beiräte, um die Geschäftsführung in Strategiefragen zu unterstützen. Inzwischen sind es nach einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Beratungsunternehmens PwC und der Intes Akademie für Familienunternehmen 83 Prozent. 2002 waren es gerade einmal erst 39 Prozent. »Die Unterstützung durch einen Beirat ist dabei umso effizienter, je vielfältiger die Expertise in diesem Gremium ist«, sagt Bernhard Kux, Referent für Informations- und Kommunikationswirtschaft bei der IHK für München und Oberbayern. Dabei spiele vor allem die Digitalkompetenz eine immer wichtigere Rolle. »Kein Mittelständler kommt an dem Thema mehr vorbei. Alles, was digital werden kann, wird früher oder später digital werden müssen«, so Kux.
Keine gesetzliche Regelung
Ein Beirat fungiert als Kontrollorgan, Mittler zwischen Geschäftsführung und Gesellschaftern, aber vor allem auch als Impulsgeber und Sparringspartner. Gesetzlich geregelt ist das Gremium nicht. In der Praxis besteht es – abhängig von der Größe des Unternehmens – aus drei bis sechs Mitgliedern, die meist für drei Jahre bestellt werden.
Bei Hörmann finden jährlich sechs Beiratssitzungen statt. »Aber auch in der Zwischenzeit stehen wir als Gesprächspartner zur Verfügung, um Ideen zu vertiefen, neue Gedanken zu besprechen oder Kontakte zu vermitteln«, sagt Albath. In den Beiratssitzungen gehe es in der Regel um die großen Fragen, den roten Faden für die Zukunft. Wie verändert die Digitalisierung den eigenen Markt? Gibt es die notwendigen Fähigkeiten im Unternehmen? Wo sollte investiert werden? Welche Kooperationen können hilfreich sein?
Vorteil: Kontinuität
»Der digitale Beirat sondiert und identifiziert gemeinsam mit der Geschäftsführung mögliche Projekte, die konkret umgesetzt werden sollen, und beschließt den Investitionsrahmen, der dafür zur Verfügung steht«, erklärt der 62-Jährige. Die Experten bringen ihre Erfahrungen und den Blick von außen ein. »Als dauerhaft installiertes Organ entsteht zugleich eine feste Bindung zu dem Unternehmen und damit eine Identifikation«, so Albath.
Fragen stellen, zuhören, Anknüpfungspunkte finden
Melanie Stütz sieht sich als Beiratsmitglied in der Rolle des Advocatus Diaboli. »Vor Antritt einer Beiratsposition sage ich der Geschäftsführung ganz klar, dass ich bewusst die Position der ›Gegenseite‹ einnehmen werde, um sie voranzubringen«, sagt die Chefin der digitalen Strategieberatung Ideascanner. Die 42-Jährige ist seit Kurzem Beirätin eines jungen Münchner Familienunternehmens aus dem Bereich Internet of Things. »Bei meinen ersten Treffen habe ich vor allem Fragen gestellt und zugehört«, berichtet die Digitalexpertin. Was macht die Firma? Wer ist der größte Konkurrent? Wie schätzt sich die Geschäftsführung selbst ein? Wo will sie hin? »Daraus ergaben sich sofort Anknüpfungspunkte, ergänzend zu meinem ersten Eindruck aus der Außenperspektive.«
In der Folge lieferte Stütz konkrete Hinweise zur Wahrnehmung und Verbesserung der Webseite, gab Denkanstöße, wie sich das Geschäftsmodell des Unternehmens weiterentwickeln lässt, und vermittelte wichtige Kontakte aus ihrem Global-Digital-Women-Netzwerk.
Kritische Fragen stellen, ehe die Kunden dies tun
Offenheit ist ihr besonders wichtig: »Als ich der Geschäftsführung vor dem Antritt meiner Beiratstätigkeit mitteilte, dass ich meine Rolle darin sehe, kritische Fragen zu stellen, bevor Kunden, Investoren oder Mitarbeiter diese stellen, meinte sie nur, dass sie sich genau das schon immer gewünscht habe.« Insofern sei ein Beirat für jedes Unternehmen sinnvoll, das eine kritische Begleitung sucht. Er könne der Firma aber auch zusätzliches Renommee verleihen. Stütz: »Ein gut ausgesuchter Beirat im Bereich Digitalisierung zeigt Partnern und Investoren zudem, dass sie die Digitalisierung ernst nimmt.«
Kooperationen anstoßen
Anna Hörmann schätzt den Austausch mit Beirat Andreas Albath sehr. Für sie ist es echte Teamarbeit. Ganz konkret hat er unter anderem bei der Vermittlung von Kontakten zu Start-ups geholfen, um mögliche Kooperationen anzustoßen. Auch beim Aufbau der neuen Tochter Hörmann Digital, die gruppenübergreifend mit den Tochtergesellschaften an Digitalisierungsinitiativen arbeitet, fungiert der Beirat als Sparringspartner und Ratgeber. Ein weiteres wichtiges Thema ist aktuell die Entwicklung einer Personalstrategie, die den Anforderungen einer zunehmend digitalen Welt standhält.
IHK-Service: Beiräte – Auswahl und Vergütung
Erster Ansatzpunkt bei der Suche nach digitalen Beiräten ist das eigene Netzwerk. Anregungen dafür kann auch die IHK-Initiative »Pack ma’s digital« geben: Zahlreiche Experten und Persönlichkeiten sind dort zum Beispiel in Videos zu sehen.
Direkt nach Experten mit Digitalkompetenz lässt sich kostenfrei über die Plattform
www.deutsche-digitale-beiraete.de suchen. Hier sind zertifizierte Kandidaten mit ihrer Expertise und Kontaktmöglichkeit aufgeführt.
Außerdem können Unternehmen recherchieren, welche Köpfe sich hierzulande als digitale Kenner hervortun – etwa über Auszeichnungen (z.B. Digital Leader Award, Digital Female Leader Award, Deutscher Digital Award), Publikationen oder Konferenzen.
Die Vergütung für Beiratsmitglieder orientiert sich meist an Tagessätzen, die in der Praxis aber oft pauschaliert werden. Diese liegen in der Regel zwischen 1.000 und 3.000 Euro. Nach einer Studie der intes Familienakademie beträgt das durchschnittliche Jahreshonorar für ein ordentliches Beiratsmitglied etwa 20.000 Euro. Die konkrete Vergütung hängt dabei stark von der Größe des Unternehmens und dem Umfang der Beiratstätigkeit ab.