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Quantensprung in die Zukunft

Thorsten Jochim ©
Im Munich Quantum Valley – Max Werninghaus arbeitet im Walther-Meißner-Institut an der Entwicklung eines Quantencomputers

Beim Munich Quantum Valley (MQV) dreht sich alles ums Quantencomputing – Unternehmen und Start-ups sollen von der Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts profitieren.

Von Sebastian Schulke, IHK-Magazin 09/2023

Eine Eisentür öffnet sich. Dahinter ein schwerer, schwarzer Vorhang. Dann ist man auch schon mittendrin – in einem Raum, der von oben bis unten vollgestellt ist. Vollgestellt mit Apparaturen und Messgeräten, Kisten mit Schrauben und Werkzeugen sowie Monitoren, Bildschirmen und vor allem Kabeln. In der Mitte stehen zwei riesige Tische mit luftgedämpften Beinen, auf denen sich Optiken, Linsen, Laser, Mikroskope und kleine E-Motoren stapeln. Ein einziger Wirrwarr, könnte man meinen. Doch dieser Wirrwarr hat System und ein großes Ziel: Quantencomputing.

Darum dreht sich alles hier in dem Raum des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik im Forschungszentrum Garching. Im Labor der Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme entsteht ein spezieller Quantencomputer auf Basis neutraler Atome als Teil des Munich Quantum Valley (MQV). Nicht zu verwechseln mit dem Silicon Valley in Kalifornien. Denn wir befinden uns in Bayern, genauer gesagt am nördlichen Stadtrand von München. Hier wurde im Januar 2022 das MQV als eingetragener Verein gegründet. Er soll eine Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie sein.

„Wir katalysieren den effizienten Wissenstransfer von der Forschung in die Industrie – und andersherum“, sagt Sascha Mehlhase, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Munich Quantum Valley. „Beide Seiten, Wissenschaftler und Unternehmer, sollen ihre Stärken und Kompetenzen mit einbringen. Sie sollen sich austauschen und davon gegenseitig profitieren. Wir setzen da auf einen Full-Stack-Ansatz.“

Bisher haben sich mehr als 40 universitäre Einrichtungen, Forschungsinstitute und Unternehmen unter dem Dach des MQV zusammengefunden. 300 Millionen Euro investiert der Freistaat Bayern bis 2027 in dieses Zukunfts- und Prestigeprojekt. Bis dahin soll ein marktreifer Quantencomputer entstanden sein – sowie eben ein Zentrum für Quantencomputing und Quantentechnologie. „Bei uns geht es vor allem um drei der vielversprechendsten Technologien in diesem Bereich“, erklärt Mehlhase, „Zunächst auf Basis von supraleitenden Qubits sowie in Form von Qubit-Systemen, die auf Neutralatomen und gefangenen Ionen basieren.“

Quantenbits bringen Leistung

Das Neue daran: Prozessoren herkömmlicher Computer speichern und verarbeiten Informationen in Bits – das steht für „binary digits“. Ein Bit kann dabei genau zwei Zustände annehmen: null oder eins. Diese sind also wie ein elektrischer Lichtschalter – entweder an oder aus. Ein Quantencomputer nutzt sogenannte Quantenbits – also Qubits. Diese sind ebenfalls an oder aus, können sich allerdings zusätzlich noch überlagern. Das nennt man dann „Superposition“, die es dem Quantensystem erlaubt, viele Rechnungen parallel auszuführen. Das macht Quantencomputer um ein Vielfaches schneller und effizienter.

Allerdings: Aufgrund der neuen Arbeitslogik lassen sich herkömmliche Computerprogramme nicht übertragen. Neuartige Quantenalgorithmen müssen entwickelt werden. Daran wird im Munich Quantum Valley unter anderem gearbeitet und geforscht.

Offenes Netzwerk für Quantencomputing

Das Valley ist kein zusammenhängender Gebäudekomplex im Forschungszentrum von Garching. Die einzelnen Labore befinden sich in verschiedenen Instituten und Forschungsanstalten in und um München. Die Geschäftsstelle, in der Mehlhase sitzt und arbeitet, liegt im Stadtbezirk Schwabing in einem größeren Bürokomplex, nicht weit von der Münchner Freiheit entfernt.

„Wir sind alle gut miteinander vernetzt“, meint Mehlhase. „Und wir sind offen für jedes interessierte Unternehmen, das uns mit seinem Know-how unterstützen möchte oder das wir mit unserer Quantentechnologie weiterbringen können.“ Ein Partnernetzwerk wurde dafür bereits aufgezogen, für das man sich kostenlos über die Webseite anmelden kann. Netzwerktreffen, Konferenzen und Arbeitsgruppen stehen auf dem Programm.

Das MQV bietet auch Aus- und Weiterbildungsprogramme zu allen Aspekten der Quantentechnologie für Ingenieure sowie Führungskräfte aus der Industrie an. Start-ups werden gefördert – mit Beratung, Büro- und Laborflächen sowie Anschubfinanzierungen. „Unser Ziel ist es, eine möglichst große Schnittstelle zwischen Spitzenforschung und Produktentwicklung zu schaffen“, so Mehlhase.

Schlüsseltechnologie Quantencomputer

Weltweit investieren Regierungen und Forschungsinstitute sowie Computer- und Technologiefirmen seit etwa 2018 sehr viel Geld in die Entwicklung des Quantencomputings, das als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts gilt. Denn dort, wo klassische Supercomputer an der Komplexität bestimmter Aufgaben scheitern, sollen Quantencomputer eine Lösung finden. Beispielsweise bei Simulationen neuer chemischer Stoffe für Medikamente oder Biotechnologie. Oder bei Optimierungen in Finanzwirtschaft und Logistik. „Quantencomputer können da in Zukunft möglicherweise sehr viel Zeit, Aufwand und Energie einsparen“, sagt Mehlhase.

Momentan sind diese Quantencomputer-Modelle allerdings noch sehr groß. Der gesamte Aufbau von planqc würde gerade noch auf eine Tischtennisplatte passen. Normalerweise ist er umschlossen von schwarzen Wänden, die heute allerdings teilweise entfernt wurden. „Es fallen immer wieder Wartungsarbeiten an“, erklärt Mitarbeiter Maximilian Ammenwerth. „Dann stoppen wir unsere Messreihen und öffnen das Ganze.“ Er ist Doktorand im Team von Immanuel Bloch und Johannes Zeiher, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Neben ihm arbeiten zwei weitere Mitarbeiter in dem vollgestopften Labor, checken die Mikroskope und Laser, schauen auf ihre Bildschirme und machen sich handschriftliche Notizen auf Papier. Mit zwei weiteren Kollegen und Sebastian Blatt, ebenfalls Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, gründete Zeiher das Startup planqc, welches als erstes Unternehmen aus dem Munich Quantum Valley heraus entstanden ist.

Grundlagenforschung direkt verwerten

„Mit planqc wollen wir durch die enge Anbindung an die interdisziplinäre Forschung im MQV und insbesondere durch die Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik dafür sorgen, dass die Ergebnisse der Grundlagenforschung direkt verwertet werden“, sagt Gründer Zeiher. „Damit die in Deutschland oft aufklaffende Lücke zwischen Grundlagenforschung und wirtschaftlicher Verwertung gar nicht erst entsteht.“ Soll heißen: Forschung und Industrie arbeiten eng zusammen. So verliere man im internationalen Vergleich auch nicht den Anschluss.

Neutrale Atome beim Quantencomputing sind Thema des Start-ups. Diese werden freigesetzt, indem das Metall Strontium erhitzt wird. In einer Vakuumkammer werden die Atome mithilfe von Laserlicht gekühlt und wie in einem Gitter festgehalten. Durch ein großes Mikroskopobjektiv kann man nun mit Laserstrahlen die Atome einzeln adressieren und manipulieren. Jedes kann in einen Überlagerungszustand gebracht werden oder man kann sie miteinander verschränken.

Wie verhalten sich Qubits?

Über das Mikroskopobjektiv kann man nun die Atome mit einer Kamera sichtbar machen und beobachten. Ammenwerth zeigt im Labor auf einen Bildschirm. Ein Rastergitter ist dort zu sehen – wie ein Schachbrett. Darauf sind helle Punkte. „In jedem Raster befindet sich ein Atom, das leuchtet – oder eben nicht leuchtet“, erklärt er. Daraus ergebe sich ein Muster, wie sich die Qubits verhalten würden. Und daraus wiederum ließe sich mit der Zeit ein Programm beziehungsweise ein Algorithmus für einen Quantencomputer schreiben. Das Schachbrett ist in der Versuchsapparatur gerade einmal so groß wie der Querschnitt eines Haares. In diesem Gitter können jedoch Tausende von Atomen eingefangen werden – irgendwann sollen diese kontrolliert in Überlagerung gebracht werden. Dabei kommt es vor allem auf die Qualität der Qubits an. Denn je mehr vorhanden sind, desto schwieriger ist es, diese perfekt zu kontrollieren.

Simulationen bei Raumtemperatur

Bei den neutralen Atomen ist das laut planqc-Mitgründer Blatt allerdings einfacher als bei den anderen Quantencomputing-Modellen. „Die supraleitenden Schaltkreise haben das Problem, dass auf dem Festkörperchip jedes Quantenteilchen ein bisschen anders ist. Bei uns schwebt jedes einzelne Atom in einem luftleeren Raum und ist von Grund auf gleich.“ Außerdem sei planqc in der Lage, seine Simulationen ohne großen Aufwand bei Raumtemperatur durchzuführen. Das könnte einmal die Anwendung erleichtern.

Techriesen wie Google oder IBM stellen Quantencomputer-Modelle her, bei denen supraleitende Schaltkreise zum Einsatz kommen, über die beispielsweise Mikrowellen auf Qubits geschossen werden, die sich auf einem Computerchip befinden. Dieses gesamte Konstrukt muss mit hohem Aufwand bis auf fast minus 273 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Große graue Kühlschränke umschließen die Apparatur und müssen für entsprechende Temperaturen sorgen.

Die dritte Technologie dreht sich um gefangene Ionen. Da bilden elektrisch geladene Atome, die mit elektromagnetischen Feldern im Vakuum festgehalten werden, die Qubits. Doch Ionen, also elektrisch geladene Atome, stoßen sich gegenseitig ab. Möchte man viele Ionen in einem Quantenrechner nutzen, kann das die Fehlerrate erhöhen.

Etappenziel 100 Quantenbits

Die Quantencomputer-Modelle im Garchinger Walther-Meißner-Institut stecken in hellgrauen Tonnen. Hier, nicht weit vom Max-Planck-Institut entfernt, befindet sich ein weiteres Labor, das zum Munich Quantum Valley gehört. Neben den recht schmalen, zwei Meter langen Tonnen sind hier Apparaturen, Messgeräte und nicht ganz so viele Kabel fein säuberlich aufgebaut. Es brummt und zischt.

„Das sind die Pumpen, die den Kühlkreislauf für die Experimente antreiben“, erklärt Max Werninghaus (im ersten Bild oben), der mit einem Team an der Entwicklung eines Quantencomputers mit supraleitenden Schaltkreisen arbeitet. Einer dieser Kühlschränke ist gerade offen. Sein Inneres besteht aus verschiedenen Ebenen, die durch filigran gebogene und goldleuchtende Kupferdrähte und Verschraubungen miteinander verbunden sind. Ganz unten ist der Unterbau mit den Qubit-Chips. „Im Moment gilt diese Technologie als führend“, so Werninghaus. IBM verkündete bereits Ende 2022, solch einen Quantencomputer mit über 400 Qubits zu haben. „Beim Munich Quantum Valley setzen wir auf Klasse, nicht auf Masse“, sagt Mehlhase und betont: „Unser erstes Etappenziel sind zunächst 20 bis 30 Qubits und später dann die 100er-Marke.“

29 Millionen Euro für einen Quantencomputer

Die 100er-Marke peilt auch planqc an – und zwar in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das DLR hat das Start-up damit beauftragt, innerhalb von 3,5 Jahren einen Quantencomputer mit mehr als 100 Qubits im DLR-Innovationszentrum in Ulm zu bauen. „Wir kümmern uns um die Entwicklung einer digitalen Hardware- und Softwareplattform für Quantencomputing auf Basis neutraler Atome“, sagt Blatt. „Das ist ein großer Schritt nach vorn.“ Und es ist der erste Kundenauftrag für einen digitalen Quantencomputer dieser Art in Europa – dotiert mit 29 Millionen Euro. Mehlhase lächelt und sagt: „Genauso haben wir uns das vorgestellt: Forschung, Unternehmen und Start-ups arbeiten Hand in Hand.“

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