Digitalisierung | Standortpolitik
Gemeinsame Sache
Es gibt viele Anlässe für Mittelständler, um mit Start-ups zu kooperieren, zum Beispiel bei der Digitalisierung von Prozessen. Wie etablierte Unternehmen und junge Firmen zusammenkommen und voneinander profitieren.
SABINE HÖLPER, Ausgabe 06/2022
Geht es um die Firmenkultur, scheinen Mittelständler und Start-ups manchmal auf zwei verschiedenen Planeten zu leben. Spätestens wenn die Start-up-Mitarbeiter ihre Ansprechpartner ungefragt duzen, führt das bei den meisten Chefs aus der Old Economy zu einem Stirnrunzeln. Doch wenn beide Parteien schlau sind, überwinden sie solche Hürden – und tun sich zusammen. Der Mittelstand profitiert vor allem von den digitalen Lösungen der jungen Unternehmen. Von ihrer Kompetenz auf einem Gebiet, in dem mancher Mittelständler eben nicht so fit ist.
Kompetenz in Digitalisierung
Die HÖRMANN Gruppe in Kirchseeon hat vor drei Jahren begonnen, mit UnternehmerTUM, dem nach eigenen Angaben größten Zentrum für Gründung und Innovation in Europa, zusammenzuarbeiten. Damals war Anna Hörmann nach ihrem Studium gerade ins Familienunternehmen eingetreten und wollte die Digitalisierung vorantreiben. Das Digital Business Lab der UnternehmerTUM unterstützte sie dabei.
HÖRMANN stellt unter anderem Teile für Lkws her, fertigt Konstruktionen für Motorräder, plant und baut Lagerhallen. Auf diesen und vielen weiteren Gebieten ist das Technologieunternehmen seit Jahrzehnten erfolgreich. Aber es ist kein Spezialist für die Digitalisierung von Prozessen. So sprach vieles dafür, sich zusätzliches Know-how von jungen Start-ups ins Haus zu holen.
Immer noch Vorbehalte
Allzu viele Mittelständler gehen diesen Weg jedoch noch nicht. Viele Firmenlenker denken zuerst an einen arrivierten Konzern statt an die kleine Softwareschmiede um die Ecke. »Die Vorbehalte sind noch immer vorhanden«, sagt Christian Mohr (40), Mitglied der Geschäftsführung bei UnternehmerTUM und Leiter der im Herbst 2021 gegründeten Initiative FamilienUnternehmerTUM.
»Nicht die Katze im Sack kaufen«
Die Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, etablierte Unternehmen und Startups zu vernetzen. »Viele Mittelständler fragen sich, ob sie bei der Kooperation mit einem jungen Unternehmen nicht die Katze im Sack kaufen, ob es das Start-up in zwei Jahren überhaupt noch gibt«, weiß Mohr. Sie greifen bei der Suche nach einem Geschäftspartner daher lieber auf Anbieter zurück, die schon länger auf dem Markt sind.
Damit müssen die Mittelständler nicht zwangsläufig falschliegen – aber auch nicht unbedingt richtig. Denn der passende Spezialist ist vielleicht eine junge Firma. Eine, von der die Mittelständler womöglich noch nie gehört haben. Genau hier setzen Organisationen und Firmen an, die sich der Kollaboration zwischen Mittelständlern und Start-ups verschrieben haben: Sie vermitteln die passenden Partner, bauen Hürden ab und Brücken auf.
Brückenbauer mit Netzwerk
Einer dieser Brückenbauer ist Familien-UnternehmerTUM. Ihr Ziel ist es, Mittelständler beim Konzipieren ihrer Innovationsstrategien zu unterstützen. Dabei greifen die Macher um Christian Mohr auf ihr weitreichendes Netzwerk von Start-ups, etablierten Unternehmen, Universitäten, Innovationszentren und anderen Partnern zurück.
»Wir generieren überraschende und unkonventionelle Partnerschaften«, verspricht Mohr. Mit mehr als 50 mittelständischen Unternehmen arbeitet die Organisation zusammen. Viele weitere Firmen seien »im Onboarding-Prozess«. Und das soll erst der Anfang sein. »Bis 2026 wollen wir 500 mittelständische Unternehmen im deutschsprachigen Raum begleitet haben«, kündigt Mohr an und ist zuversichtlich, dass das gelingt: »Unser ganzheitlicher Ansatz verspricht einen hohen Mehrwert.«
Interne Venture-Client-Einheiten
Ein anderer Brückenbauer ist Gregor Gimmy, Gründer und Geschäftsführer der 27pilots GmbH in München. Die Firma unterstützt seit 2018 etablierte Unternehmen dabei, sogenannte interne Venture-Client-Einheiten aufzubauen. Eine Venture-Client-Einheit will erreichen, dass ein Unternehmen schnell und risikoarm von den besten Start-ups der Welt profitieren kann, indem es die Technologien der Start-ups kauft, mietet oder least.
»Die Firma wird sozusagen zum Wagniskunden«, sagt Gimmy. Die Beziehung zum Start-up sei temporär, projektbezogen, locker. »Wenn Sie bessere Fotos machen wollen, kaufen Sie ja auch nicht ein paar Apple-Aktien, sondern direkt das neueste Smartphone«, so Gimmy. Übersetzt heißt das: Ein Mittelständler muss sich an einem für ihn interessanten Start-up nicht beteiligen, keine langfristigen Verbindungen eingehen, um von dessen Technologie zu profitieren.
Das richtige Start-up finden
27pilots will Firmen dafür sensibilisieren, dass Start-ups häufig die besten Lösungen haben, besonders für die sehr komplexen neuen Herausforderungen. Doch hier liegt das Problem in vielen Unternehmen: Wie sollen sie immer auf dem Laufenden sein und wissen, welches Start-up genau jetzt eine bahnbrechende Innovation entwickelt hat, die ihnen nützlich sein kann? Die Venture-Client-Einheiten von 27pilots sollen genau dies ermöglichen. Sie stellen sicher, dass ein Unternehmen Zugang zu jenen erhält, die möglicherweise die ultimative Lösung für das aktuelle Problem haben.
Gimmy weiß, wovon er spricht. Jahrelang war er im Silicon Valley tätig. Zuletzt konzipierte und leitete er die »BMW Startup Garage«, die laut Gimmy weltweit erste konzerninterne Venture-Client-Einheit. Als die BMW Startup Garage lief, machte sich Gimmy mit 27pilots selbstständig, um andere Unternehmen beim Aufbau von Venture-Client-Einheiten zu unterstützen.
Sensibilisierung für existierende Kompetenzen
Mehr und mehr Mittelständler greifen den Venture-Client-Ansatz auf, um mithilfe von Start-ups die Innovationsprozesse zu befeuern. So gründete Michael Tagscherer (55), CTO der Giesecke+Devrient GmbH (G+D), vor rund drei Jahren ein Technologie-Office für das Unternehmen. Es soll gruppenübergreifende Technologien für das künftige G+D-Portfolio vorantreiben und außerdem die Digitalisierung im Unternehmen anschieben. Eine wichtige Aufgabe ist nun, die Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass existierende technologische Lösungen und Kompetenzen von außerhalb sie in die Lage versetzen, Optimierungspotenziale anzugehen und in Kooperation zu heben.
Unterstützung durch Profis
Das Kernteam des Technologie-Office ist hierfür die zentrale Stelle. Die Profis von 27pilots unterstützen es dabei, denn sie haben die Kontakte zu den Start-ups, den potenziellen Problemlösern. Außerdem, so Tagscherer, helfe das Team um Gimmy beim Aufbau des Start-up-Eco-Systems und beim Wandel hin zu mehr Offenheit für Kollaborationen. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Unterstützung beim Risikomanagement im Einkauf.
»Potentiale Schritt für Schritt aufspüren«
Mittelfristig will G+D noch mehr Prozesse digitalisieren. Überall dort, wo das Dokumentenmanagement durch die Digitalisierung vereinfacht, beschleunigt, verbessert werden kann, liegen Potenziale, etwa im Personalwesen. Sie sollen Schritt für Schritt aufgespürt und angegangen werden. Das hilft dem Unternehmen, aber auch den Mitarbeitern, die sich wieder stärker auf ihre Haupttätigkeiten konzentrieren können. Die Routineaufgaben erledigt unterdessen eine intelligente Software.
Leuchtturmprojekte für Kulturwandel
Solche Neuerungen im Unternehmen werden nicht sofort von allen Mitarbeitern begeistert aufgegriffen. »Hierzu ist ein Kulturwandel notwendig«, sagt Tagscherer. Es müsse verstanden werden, dass die Zusammenarbeit mit Start-ups Lösungen von Problemen ermöglicht, die ansonsten wegen fehlender Kompetenzen nicht bearbeitet würden. Tagscherer: »Diesen Mehrwert werden wir in den nächsten Monaten anhand von gelungenen Leuchtturmprojekten im Unternehmen aufzeigen, um eine breite Akzeptanz zu schaffen.«
Schneller Austausch auf dem Flur
Auch Alexander Hauswald (47), Geschäftsführer der Ende 2019 geschaffenen Einheit HÖRMANN Digital GmbH, sieht es als tägliche Herausforderung, ein etabliertes Unternehmen mit einem Start-up zusammenzuführen. Vor rund einem Jahr zog er mit seinem Team sogar in das Gebäude, in dem auch Mohr und die FamilienUnternehmerTUM sitzen. »So haben wir einen schnellen und unkomplizierten Zugang zur Szene, die ihren Geist in die Gruppe bringt«, sagt Hauswald. Täglich begegnen sich die Mitarbeiter auf dem Flur. Fruchtbare Kooperationen seien so einfach einzufädeln. Eine Zusammenarbeit mit der robominds GmbH, so Hauswald, funktioniere bereits gut.
IHK-Service zur Start-up-Beratung
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