Smarter Together/Dominik Parzinger ©

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 02/2020

In einer Smart City gestalten moderne Technologien Leben und Wirtschaften effizienter, angenehmer und nachhaltiger als bisher. Welche Elemente gehören zur Vision einer intelligenten Stadt – und wie lassen sie sich umsetzen?

Vom neuen Münchner Hauptbahnhof ist nichts zu sehen. Noch graben Bagger bis zu 43 Meter in die Tiefe, wo bis 2028 der Bahnhof der zweiten S-Bahn-Stammstrecke entstehen soll. Die Passagierströme dieser unterirdischen Haltestelle wurden bereits 2019 analysiert. Wie viele Fahrgäste werden sich im Normalbetrieb und in Spitzenzeiten durch die Gänge bewegen? Wie breit müssen die Verbindungsgänge sein? Wie viele Fahrstühle und Rolltreppen sind notwendig, um die Menschen, die aus der S-Bahn strömen, bestmöglich dahin zu bringen, wo sie hinwollen? Wie kann der Bahnhof im Notfall schnell evakuiert werden? Antworten auf diese Fragen liefert die von der accu:rate GmbH entwickelte Software zur Simulation von Personenströmen. »Unsere Informationen sind nicht nur für die Bauplanung relevant«, erklärt Gründerin und Geschäftsführerin Angelika Kneidl (39). »Nachdem der Bahnhof in Betrieb genommen wurde, können Simulationen auf Basis von Realdaten, die über Sensoren erhoben werden, für laufende Optimierungen sorgen. Damit können die Fahrgastströme je nach Aufkommen optimal geleitet werden.« Möglich ist das mit vorübergehenden Einbahnsystemen, flexibel anpassbaren Beschilderungen, wechselnden Laufrichtungen der Rolltreppen sowie Absperrungen, je nach den aktuellen Anforderungen. »Die dabei gewonnenen Daten können wir wiederum ins Modell zurückspielen, um die Prozesse weiter zu verbessern«, so Kneidl. Die Firma arbeitet an der intelligenten und vernetzten Steuerung von Passagierströmen – und liefert damit ein anschauliches Beispiel dafür, welche Elemente eine sogenannte Smart City ausmachen. Noch fehlt zwar eine allgemeingültige Definition des Begriffs. Einig sind sich die Experten aber, dass es in einer Smart City darum geht, Daten mit Technologien zu verbinden und die dadurch gewonnenen Informationen zur Verbesserung von Lebensqualität und Nachhaltigkeit in urbanen Gebieten einzusetzen. Häufig wird der Begriff auch als »zukunftsfähige Stadtentwicklung« umschrieben. Dabei reichen die Möglichkeiten natürlich weit über die Steuerung von Fahrgastströmen in Bahnhöfen hinaus.

»Fahrgastströme können je nach Aufkommen optimal geleitet werden.« Angelika Kneidl, Gründerin und Geschäftsführerin der accu:rate GmbH

Von Verwaltung bis Mobilität

Eine Smart City bietet bürger- und wirtschaftsfreundliche Verwaltungsprozesse. Sie geht sorgfältig mit den Ressourcen um und verfügt über Modelle zur Bürgerbeteiligung – um nur einige Aspekte zu nennen. Im Kernbereich Mobilität besteht das übergeordnete Ziel darin, ein leistungsfähiges Gesamtsystem zu schaffen, in dem der Verkehr nutzer- und umweltfreundlich fließt. Intelligente Ampeln, digitale Verkehrsschilder oder Mobilitätsstationen mit Sharing-Angeboten sind nur einige Beispiele dafür. So spielt auch beim Geschäftsmodell der Parkdepot GmbH die Erfassung und Auswertung von Daten die Hauptrolle. Das Anfang 2019 gegründete Münchner Start-up bietet ein digitales Optimierungssystem für gewerbliche Parkflächen. »Dabei werden an den Ein- und Ausfahrten Kamerasysteme zur Erfassung der Kfz-Kennzeichen installiert«, erklärt Gründer und Geschäftsführer Jakob Bodenmüller (27). Der Scanner nimmt Bilder der vorbeifahrenden Fahrzeuge auf. Das System prüft, ob Parkgenehmigungen vorliegen oder Fahrzeuge die Höchstparkdauer überschreiten. »Und zwar unter Berücksichtigung der deutschen Datenschutzbestimmungen«, betont Bodenmüller. Parkplatzbetreiber können dadurch auf Schrankenanlagen und die Kontrolle von Parkscheiben verzichten. Sie erfahren zudem, wann ihre Parkplätze wie stark ausgelastet sind, und können sie zum Beispiel außerhalb ihrer Geschäftszeiten Zweitnutzern zur Verfügung stellen. »Wir machen Parkplätze smart«, fasst Bodenmüller zusammen. »Unsere Lösung bildet daher durchaus einen Baustein zur Infrastruktur einer Smart City.« Unternehmen wie accu:rate oder Parkdepot tragen mit ihren innovativen Geschäftsmodellen einiges zur zukunftsfähigen Stadt bei. Die Hauptakteure beim Auf- und Ausbau einer Smart City jedoch »sind natürlich die Kommunen«, sagt Willi Steincke (65), Koordinator der Themenplattform Smart Cities and Regions des Zentrums Digitalisierung.Bayern (ZD.B). »Allerdings sollten die Projekte nicht an der Stadtgrenze enden, sondern die Region miteinbeziehen. Schließlich finden zwischen Stadt und Land ständig Austauschprozesse statt.« Die Digitalisierung der städtischen Infrastruktur und die Steigerung der Lebensqualität bilden für Steincke zwei zentrale Bereiche beim Aufbau einer Smart City.

Als weiteres Feld sieht er eine digitalisierte Verwaltung. »Egal, ob Reisepass oder Gewerbeanmeldung: Im Idealfall sollten die Prozesse online so reibungslos ablaufen wie ein Einkauf bei Amazon.« Für die Wirtschaft biete eine Smart City Transparenz über lokale Betriebe, Lieferketten und Wertstoffströme, wodurch die Vernetzung und Kooperation erleichtert werde. Die in der Kommune vorhandenen und durch Erhebungen und Messungen laufend entstehenden Informationen aufzubereiten und in einem virtuellen Abbild, dem sogenannten digitalen Zwilling, zusammenzuführen, ist laut Steincke eine »Mammutaufgabe«. Die Technik ist dabei die geringere Herausforderung. »Schwieriger ist es, mit den einzelnen Stakeholdern die notwendigen Projektschritte zu definieren und den digitalen Zwilling Häppchen für Häppchen aufzubauen.« Wie weit die 81 deutschen Großstädte mit über 100000 Einwohnern auf dem Weg zur Smart City schon gekommen sind, ermittelte der Digitalverband Bitkom im »Smart City Index 2019«. Das Ranking vergleicht Verwaltung, IT und Kommunikation, Energie und Umwelt, Mobilität sowie Gesellschaft anhand von 96 Parametern. Die bayerische Landeshauptstadt erreicht dabei den fünften Platz hinter Hamburg, Karlsruhe, Stuttgart und Berlin.

»In München beschäftigen wir uns quer durch die Referate seit rund vier Jahren mit dem Thema Smart City«, berichtet Wolfgang Glock (55), Abteilungsleiter E-/ Open-Government & Smart City im IT-Referat der Landeshauptstadt. Ein wichtiges Experimentierfeld bildet das EU-Projekt »Smarter Together« in Freiham/Neuaubing-Westkreuz, wo derzeit ein neuer Stadtteil entsteht. Ein Beispiel für innovative Smart-City-Technologien sind dort die intelligenten Lichtmasten. »Sie sind mit Sensoren zur Erfassung von Daten zu Verkehrsgeschehen, Wetter und Luftqualität ausgestattet und verfügen über Glasfaseranschluss«, erklärt Glock. Der wird sowohl zur Übermittlung der Daten als auch für kostenfreies, öffentliches WLAN eingesetzt. Zudem befinden sich im Viertel smarte E-Mobilitätsstationen an Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV), die über E-Ladesäulen sowie Ausleihstationen für Elektrofahrzeuge aller Art verfügen. Auch eine klimatisierte sogenannte Quartiersbox ist dort installiert, an der Bewohner Pakete und Onlineeinkäufe abholen können. Die anonymisierten Nutzungsdaten werden ausgewertet, um die Services weiter zu verbessern. Die im Gebiet installierten Sensoren liefern Echtzeitdaten für die München SmartCityApp. Sie bietet Informationen zu Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen, aber auch zu E-Ladestationen, Nahverkehr und weiteren umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten. Dem Datenschutz wird dabei hohe Priorität eingeräumt. »Selbst innerhalb der Verwaltung gibt es ein striktes Rechtemanagement für den Zugriff«, betont Glock. »Beim Aufbau des digitalen Zwillings haben wir zudem ein eigenes Arbeitspaket definiert, in dem unter anderem festgelegt wird, wer künftig intern und extern auf welche Daten zugreifen darf.« Denn natürlich sind die Informationen wertvoll – auch für Unternehmen und Start-ups, die dafür und daraus neue Geschäftsmodelle entwickeln können.

»Die Projekte sollten nicht an der Stadtgrenze enden, sondern die Region miteinbeziehen.« Willi Steincke, Koordinator der Themenplattform Smart Cities and Regions des Zentrums Digitalisierung.Bayern (ZD.B)

Das Stichwort: digitaler Zwilling

Ein digitaler Zwilling ist das virtuelle Abbild eines realen Objekts, etwa eines Gebäudes oder einer Stadt. »Das kann man sich vorstellen wie die Angebote von Google Earth oder Google Street View«, erklärt Willi Steincke vom Zentrum Digitalisierung.Bayern (ZD.B). Nur können Nutzer beim digitalen Zwilling auf ein Gebäude klicken und dann den Grundriss oder den Verlauf von Strom- und Wasserleitungen sehen. Beim digitalen Zwilling einer Stadt gehören auch Informationen zu Straßenraum und Grünanlagen, also etwa Ampeln, Bäume und Kanalsysteme dazu. »Verknüpft mit Echtzeitdaten, die unter anderem durch Sensoren gewonnen und eingespielt werden, lassen sich damit Planungs- und Entwicklungsprozesse beschleunigen«, erklärt Markus Mohl (45), Projektleiter Digitaler Zwilling bei der Stadt München. »Simulationen zum Beispiel bei der Baustellenplanung oder der Weiterentwicklung des Fahrradsystems sparen Kosten und minimieren Störungen im realen Stadtleben.« Für Mohl ist der digitale Zwilling daher ein wichtiges Instrument beim Aufbau einer Smart City. Derzeit schafft die Landeshauptstadt die technischen Voraussetzungen für den digitalen Zwilling. So macht ein Auto mit Kameras Panorama- und 3-D-Aufnahmen des gesamten Stadtgebiets. »Diese Informationen werden durch Luftaufnahmen ergänzt und bilden für unterschiedliche Fachthemen eine wichtige Grundlage für innovative Anwendungen«, sagt Mohl. Das erste konkrete Projekt bildet für den Münchner Karlsplatz Informationen zu Verkehr und Schadstoffen in Echtzeit ab. Eine Messstation ermittelt laufend die Luftschadstoffe. Diese Daten können in den digitalen Zwilling eingespielt und dort mit anderen Daten, etwa aus der Verkehrszählung oder dem Unfallatlas, kombiniert werden. »So kann simuliert werden, welche Maßnahmen welchen Beitrag zur Luftreinhaltung leisten«, so Mohl.

Was gehört zur Smart City?

Welche Elemente machen eine Smart City aus? Ein Auszug aus dem Kriterienkatalog des Rankings »Smart City Index 2019« zeigt, worauf es ankommt:

Verwaltung

  • Terminvergaben und Bürgerservices online
  • E-Rechnungen; Bezahlung städtischer Leistungen per Kreditkarte, Mobileoder Online-Bezahlverfahren möglich
  • informative und nutzerfreundliche Website der Stadt
  • Präsenz der Stadt auf Social Media wie Facebook, Instagram, Twitter, Xing
  • City App mit Infos über Tourismus/ Freizeit, Karriere, Bürgerservice, Parken/Mobilität

IT und Kommunikation

  • Breitband- und Glasfaseranbindung
  • 3G- und 4G-Mobilfunk
  • öffentliches WLAN

Energie und Umwelt

  • intelligente Straßenlaternen und Mülleimer
  • Photovoltaik
  • E-Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur
  • emissionsarme Busse

Mobilität

  • digitale Verkehrsschilder, intelligente Ampeln
  • Handytickets und Echtzeitinformationen im öffentlichen Nahverkehr
  • Sharing-Angebote für Autos, Fahrräder, E-Roller und E-Tretroller

Gesellschaft

  • Plattformen zur Bürgerbeteiligung
  • Co-Working-Möglichkeiten

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