Tafel Deutschland e.V./Nikolaus Urban ©
Spenden für die Tafel – Logistik und Lager sind digital optimiert

Die beiden Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit können sich wechselseitig befördern. Das kann auch das Erreichen der Klimavorgaben erleichtern.

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 07-08/2023

Wie können wir unsere Nachhaltigkeitsziele am besten erreichen? Für Barbara Engels (35) ist die Antwort klar. „Wir müssen noch viel digitaler werden“, sagt die Digitalisierungs- und Klimaexpertin des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Digitale Anwendungen seien ein gutes Werkzeug. Sie könnten helfen, Ressourcen und Energie zu sparen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, fairer und gerechter zu wirtschaften. Engels ist überzeugt: „Ohne digitale Transformation keine nachhaltige Zukunft.“

Dabei sorgt die Digitalisierung an sich schon für deutliche Nachhaltigkeitseffekte. Wenn Vorgänge durch digitale Unterstützung effizienter werden, sparen sie automatisch Energie und Rohstoffe. Solche Effekte nehmen zu, sobald Softwareentwickler spezifische Nachhaltigkeitsaufgaben wie etwa gezielte Dekarbonisierung oder Mobilitätsalternativen aufgreifen. „Dabei sollte stets auch der soziale Bereich mitgedacht werden. Auch hier kann die Digitalisierung nachhaltig wirken, gesellschaftliche Teilhabe erleichtern“, betont die IW-Expertin.

Voraussetzung: bessere digitale Infrastruktur

Im Hinblick auf die Klimaziele mahnt sie, die Digitalisierung in Deutschland unbedingt zu forcieren. Nach dem coronabedingten Schub 2021 habe sich der digitale Fortschritt im Jahr 2022 wieder deutlich verlangsamt, wie der aktuelle IW-Digitalisierungsindex zeigt. „Wir müssen nachlegen und die digitale Infrastruktur optimieren“, sagt Engels.

Digitale Sinnstiftung statt Spaltung

Dabei ist die Wirkung wechselseitig: Digitalisierung unterstützt nicht nur die Nachhaltigkeit, sie profitiert auch von ihr. So betrachtet die Mehrheit der Bevölkerung die digitale Transformation zwar grundsätzlich als Chance. Zugleich schürt sie aber auch Ängste etwa vor Überwachung, vor einer künstlichen Intelligenz (KI), die den Arbeitsplatz übernimmt, oder vor einer digitalen Spaltung der Gesellschaft, so Engels. „Bringt die Digitalisierung nun Lösungen im Sinne der Nachhaltigkeit voran, wird ihre positive, sinn- und zukunftsstiftende Seite verstärkt.“

Zu einer nachhaltigen Digitalisierung gehöre im Übrigen, dass alle Menschen schichten-, generationen- und geschlechterübergreifend mitgenommen werden. Corinna Bruder, Digitalisierungsfachfrau der IHK für München und Oberbayern, fasst zusammen: „Die Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit können sich wechselseitig befördern.“ Wie das in der Praxis funktioniert, zeigen konkrete Beispiele:

Verkehr neu denken

Dass Beschäftigte das eigene Auto zu Hause stehen lassen und auch ohne perfekten öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) gut zur Arbeit und zurückkommen, dafür wollen Bernhard Edmaier (58) und sein Beraterteam mit der STEP Mobility GmbH in Seefeld sorgen. Über ein digitales Portal können die Mitarbeitenden eines Unternehmens oder auch firmenübergreifend Fahrgemeinschaften bilden.

Sie müssen nur die Fahrgelegenheit, die sie bieten beziehungsweise suchen, dort einstellen. Das Portal gleicht dann Angebot und Nachfrage miteinander ab und bringt beide Seiten zusammen. Privat-, Dienst- und Poolfahrzeuge werden gleichermaßen einbezogen.

Selbst kurzfristige Wünsche können berücksichtigt werden. Die Mitgenommenen zahlen dem Fahrer eine Kilometerpauschale – ebenfalls über das Portal. „Ab rund 500 Nutzern und je 15 bis 50 Kilometern entstehen deutliche Nachhaltigkeitseffekte“, erklärt Edmaier. So habe einer seiner Kunden mit insgesamt 1.500 Mitarbeitenden seit März 2019 satte 435.000 Kilometer und damit 65.000 Kilogramm CO2 gespart. „Jedes nicht genutzte Auto vermeidet CO2. Die Menschen lassen es aber eher stehen, wenn die alternativen Mobilitätsangebote einfach und komfortabel zu organisieren sind. Digitale Strukturen unterstützen dies immens“, meint Edmaier.

Soziale Teilhabe verbessern

Pro Jahr gibt die Münchner Tafel 6,5 Millionen Tonnen Lebensmittel an ihre Gäste aus, das sind 23.000 bedürftige Münchner. Dabei helfen 900 Ehrenamtliche an 28 Verteilstellen. Inzwischen unterstützen diverse digitale Anwendungen diesen Prozess. „Sie zu installieren, haben Mitarbeiter bewerkstelligt, die auf dem Arbeitsmarkt schon abgeschrieben waren und sich nun als pfiffige IT-Experten bewähren“, freut sich Personal- und IT-Vorstand Axel Schreiber (66).

Eine digitale Routenplanung erleichtert es, die Lebensmittel effizient und schnell bei Handel und Produzenten abzuholen, aus den Lagern zu ergänzen und dann zu den Verteilstellen zu bringen. Die Lager selbst werden ebenfalls digital organisiert. Und auch die Gästeverwaltung wird inzwischen über eine elektronische Akte digital unterstützt. „Die Tafel steht für soziale Nachhaltigkeit. Indem uns die digitalen Strukturen helfen, unsere Arbeit effizienter zu organisieren, stärken wir auch unsere soziale Wirkung“, sagt Schreiber. „Für unsere Gäste bedeutet das noch mehr Würde und Respekt, bessere soziale Teilhabe.“

CO2-Ausstoß reduzieren

Die Münchner Footprint Intelligence GmbH, gegründet von Daniel Scholz (31) und Sebastian Gier (31), hilft Unternehmen, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Zunächst integrieren sie dazu die für ihren CO2-Ausstoß relevanten Daten in die digitale Plattform. Künstliche Intelligenz analysiert das Emissionsprofil und entwickelt automatisiert eine individuelle Dekarbonisierungsstrategie.

Diese speist sich aus einer stetig erweiterten Datenbank mit bereits über 500 praktischen Maßnahmen. Auch die Mitarbeiter der Firmen können Vorschläge einbringen. „Die komplexen Daten mit den vielfältigen Vorschlägen zusammenzubringen, die Mitarbeiter einzubinden, Daten zu aktualisieren, ist digital viel einfacher“, sagt Scholz. „So steigt durch den digitalen Schub neben der tatsächlichen CO2-Reduzierung auch die Motivation aller, an der Dekarbonisierung mitzuwirken, die Effekte verstärken sich.“

Reboundeffekte begrenzen

Bei allen Vorteilen gibt es aber auch Nebenwirkungen. Wenn sich durch die Digitalisierung die Kosten von Dienstleistungen und Produkten verringern, verändert sich oft auch das Verhalten der Nutzer: Sie konsumieren mehr – und das kann die ursprünglichen Einsparungen teilweise wieder aufheben. Diese Reboundeffekte gelte es im Blick zu behalten, betont IW-Expertin Engels.

Allein die Anfragen, die im Februar weltweit bei der neuen KI ChatGPT eingelaufen sind, verbrauchen so viel Strom wie die Stadt Oldenburg mit 170.000 Einwohnern pro Jahr. „Die Digitalisierung selbst muss also ebenfalls nachhaltig sein über Strom aus regenerativen Energien, über energieeffiziente Geräte und sparsame Datennutzung“, sagt Engels.

Serverpark zum Heizen nutzen

Bei Hubert Jäger (57) ist das Ziel, die Digitalisierung nachhaltiger zu machen, zugleich die Geschäftsidee. Der Geschäftsführer der real-cis GmbH mit Sitz in Arnstorf, Frankfurt und München setzt bei den Serverparks an. Diese verbrauchen extrem viel Strom, setzen viel Wärme frei. „Nur in seltenen Fällen wird die Abwärme etwa durch den Anschluss ans Fernwärmenetz genutzt“, erläutert Jäger.

Seine Idee: Die Server werden in kleinere Einheiten aufgeteilt und auf viele Standorte wie Lager- und Produktionshallen oder Wohnkomplexe verteilt, die dann mit der Abwärme heizen können. Den zum Betrieb benötigten Strom können die kleineren Server klimaneutral aus dezentralen Photovoltaikanlagen etwa von Hausbesitzern beziehen. Aktuell realisiert das Unternehmen die ersten Pilotprojekte. Jäger: „Unser Modell könnte dafür sorgen, dass die zusätzliche Rechenleistung, die für die zunehmende Digitalisierung neu entsteht, in ihren Reboundeffekten von vornherein begrenzt und so nachhaltiger wird.“

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