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KI-Metropole an der Isar

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München – weit vorn im Ranking der KI-Start-ups

München gehört zu den Top-Standorten für Start-ups, die auf künstliche Intelligenz setzen. Woran das liegt und welche Unternehmen besonders aussichtsreich sind.

Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 03/2024

Auch wenn sich die Stimmung in der deutschen Gründerszene zuletzt etwas eingetrübt hat und viele Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand stehen – Start-ups bleiben Innovationstreiber in der Volkswirtschaft. Derzeit gilt das besonders für eine Technologie: künstliche Intelligenz (KI). Für 52 Prozent der deutschen Start-ups – und damit für deutlich mehr als im Vorjahr (45 Prozent) – hat KI eine klare Relevanz für ihr Geschäftsmodell. Das zeigt der aktuelle Start-up Monitor der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC).

Viele der jungen KI-Unternehmen haben sich in München angesiedelt. Von den 20 aussichtsreichsten KI-Start-ups Deutschlands sitzen mit CELUS, Helsing, Hyperganic Group, Luminovo, NavVis, TWAICE Technologies und ZenML gleich 7 in der bayerischen Landeshauptstadt, ergab ein Ranking des in Garching ansässigen applied AI Institute for Europe. Das Institut erstellt jährlich eine KI-Landkarte. 2023 ermittelte es erstmals, welche der Start-ups nach Ansicht einer Expertenjury besonders erfolgversprechend sind.

Wirtschaft trifft Wissenschaft

Dass so viele Münchner Start-ups zu den herausragenden Unternehmen zählen, ist kein Zufall. Laut Daniel Meyer, Referent Digitalisierung und IKT bei der IHK für München und Oberbayern, „ist der Tech-Fokus in der Stadt besonders groß.“ Konzerne wie Google, Nvidia, Meta oder Microsoft sind vor Ort. „Aber auch Forschungsinstitute und Universitäten sind ein wichtiger Faktor für die jungen Firmen. Nicht ohne Grund zählt München zu den wichtigsten Standorten für IT, Mikroelektronik und Hochtechnologie in Deutschland.“

Befördert wird die Entwicklung außerdem durch zahlreiche Netzwerke und Institutionen wie das KI-Hub Bayern oder die appliedAI Initiative GmbH. Auch die TU München spielt eine wichtige Rolle – nicht zuletzt als Schmiede für Fachkräfte oder als Stätte für Unternehmensausgründungen.

Um einen Einblick in die vielfältige KI-Szene in München zu geben, stellt das IHK-Magazin drei der Münchner KI-Start-ups vor:


CELUS GmbH: Assistent für Ingenieure

Das Garchinger Deep-Tech-Unternehmen CELUS beschleunigt mithilfe von KI die Entwicklung  elektronischer Geräte.

Ingenieure sitzen bekanntlich nicht in Käfigen. Dennoch betitelte die Zeitung „Die Welt“ vor geraumer Zeit einen Artikel über die Garchinger CELUS GmbH mit „Die Befreiung der Ingenieure“.

Mitgründer Alexander Pohl findet das überhaupt nicht abwegig. Bislang mussten Techniker Schaltpläne für Elektrogeräte wie Mobiltelefone oder Zahnbürsten immer wieder aufs Neue händisch erstellen. Dank der Plattform des 2018 gegründeten Start-ups wird die Elektronikentwicklung mittels künstlicher Intelligenz automatisiert – und damit effizienter.

Freiraum für Kreativität

„Unsere Kunden können mit der Deep-Tech-Software 90 Prozent der Zeit und der Kosten einsparen“, sagt Pohl. Damit schafft die KI sehr wohl „Freiraum für die Ingenieure“: Sie haben künftig mehr Zeit für kreative Prozesse. Da die Software aus Millionen von Möglichkeiten die beste Lösung heraussucht, sind PDF-basierte Datenblätter und Anwendungsnotizen passé.

Die beiden Brüder Alexander (31) und Tobias Pohl (29), beide studierte Ingenieure, hatten unabhängig voneinander die gleichen Beobachtungen gemacht: Bei der Softwareentwicklung sind viele Prozesse längst automatisiert, bei der Hardwareentwicklung hingegen nicht. Als sie darüber redeten und merkten, dass sie die gleichen Ideen hatten, beschlossen sie, CELUS zu gründen.

70 Mitarbeiter, 7-stelliger Umsatz

Mithilfe von Businessplanseminaren, Mentoren und dem EXIST-Gründungsstipendium konnten sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Heute, knapp 6 Jahre nach der Gründung, beschäftigt das Start-up 70 Mitarbeiter und hat Kunden – vor allem Distributoren – in der ganzen Welt. Der Umsatz ist 7-stellig, das Unternehmen wächst schnell.

„Allein in den letzten 7 Monaten des vergangenen Jahres hat sich der Umsatz verdoppelt“, sagt Alexander Pohl. Vor rund 1 Jahr eröffneten die Oberbayern ein Büro in Portugal. Die Expansion in die USA steht bevor. „Unser oberstes Ziel ist es, Marktanteile zu gewinnen“, sagt der Gründer.

Schaltpläne auf Knopfdruck

Das scheint zu funktionieren. Jeder Elektronikdesigner, so Pohl, „will seine Idee so schnell wie möglich in ein Produkt überführen“. Doch niemand wolle Millionen Datenblätter lesen, um zum Beispiel einen neuen Kaffeeautomaten entwickeln zu können. Hinzu kommen Lieferschwierigkeiten bei gewissen Bauteilen. Dank KI, die die Datenbanken automatisch durchsucht und auf Knopfdruck Schaltpläne und Stücklisten erstellt, können Ingenieure schneller zum gewünschten Ergebnis gelangen. 


ZeNMI GmbH: Maschinelles Lernen, ganz simpel

ZenML bietet eine KI-basierte Softwareplattform. Mit ihr können Mittelständler eigene Pipelines für maschinelles Lernen erstellen und betreiben.

Adam Probst kommt gerade vom Weltwirtschaftsforum in Davos zurück. „Machine Learning wurde dort sehr gehypt“, sagt er. Das freut den Geschäftsführer des Münchner Start-ups ZenML GmbH. ML steht für Machine Learning.

Vereinfacht gesagt, lernen dabei Computer aus Daten und verbessern sich stetig, ohne expizit programmiert zu werden. Zen wiederum ist eine japanische Richtung des Buddhismus. Probst (35) übersetzt Zen mit „Ausgeglichenheit“ und sagt: „Wir machen Machine Learning simpel.“

Damit spielt der Unternehmer auch darauf an, dass das von ZenML entwickelte Produkt zur Erstellung von Pipelines für maschinelles Lernen als Open-Source-Framework konzipiert wurde. Die KI-basierte Software ist für Nutzer kostenlos und ohne Eintrittsbarriere. „Unternehmen können unsere Dienstleistung ausprobieren, ohne vorher mit uns gesprochen zu haben“, sagt er.

Seed-Finanzierung erweitert

Probst gründete das Start-up 2021 zusammen mit Hamza Tahir, nachdem sich beide in einem Bootcamp des Münchner Gründungs- und Innovationszentrums UnternehmerTUM GmbH kennengelernt und ein erster Investor Kapital zur Verfügung gestellt hatte. Ende 2023 wurde die Seed-Finanzierung um 3,5 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro erweitert.

Die Software des Start-ups mit 14 Mitarbeitern richtet sich an Mittelständler, die anders als Google oder Meta keine eigenen großen KI-Abteilungen aufbauen können. Die Konzerne haben längst verstanden, dass sie umfangreiche Datensätze verarbeiten und für sich nutzen können.

Algorithmen vereinfachen Arbeitsabläufe

„Der Mittelstand hinkt hier hinterher“, so der studierte Maschinenbauer Probst. Mit der ZenML-Softwareplattform will er mittelständischen Unternehmen Instrumente an die Hand geben, Machine-Learning-Modelle zu entwickeln und sie zuverlässig und effizient zu betreiben. Noch besser soll Letzteres mit der Ende 2023 gestarteten Cloud gelingen. Dieser Dienst baut auf Opensource auf, ermöglicht aber bessere Skalierbarkeit und bietet daher weitere Funktionen an.

Der kostenpflichtige Zusatznutzen fokussiert sich auf die Zusammenarbeit in einem Unternehmen. „Data Scientists und Ingenieure sprechen nicht dieselbe Sprache. Mithilfe unserer Software werden die Arbeitsabläufe bei der Entwicklung und dem Betrieb von schlauen Algorithmen orchestriert und vereinfacht“, erklärt Probst.

Besserer Überblick, schnelleres Audit

Mehrere Mitarbeiter können gemeinsam schnell und effizient eine Pipeline bauen. Außerdem hat das Unternehmen stets den Überblick darüber, wer was gemacht hat, und kann schnell ein Audit erstellen.

Rund 1.000 Firmen nutzen die Softwareplattform, 100 davon regelmäßig. Die zahlenden Kunden sind noch an 2 Händen abzuzählen. Dafür sind große Unternehmen wie Ikea oder der französische Baumarktkonzern Adeo darunter.


Luminovo GmbH: Schneller in die Fertigung

Die Münchner Luminovo macht Schluss mit Excel-Tabellen. Die KI-basierte Software ermöglicht es, elektronische Bauteile schnell und zuverlässig zu beschaffen.  

Die 2017 gegründete Luminovo GmbH versteht sich als „Co-pilot“ für die Elektroniklieferkette. Ihre KI-basierte Softwarelösung macht es Nutzern leichter, Bauteile für Leiterplatten zu beschaffen. Die Software unterstützt den gesamten Prozess von der Angebotserstellung bis zur Überwachung der Montage.

Der Name Luminovo heißt übersetzt „neues Licht“. Die Gründer Sebastian Schaal und Timon Ruban haben sich das Zitat „KI ist die neue Elektrizität“ ihres „Lieblingsprofessors“ Andrew Ng als Motto auserkoren: „Wir wollen neues Licht in die etablierte Welt der Elektronik bringen und alte Design- und Fertigungsprozesse neu denken.“

Zeitfresser Excel-Tabellen

Die alten Prozesse sehen so aus: Die Produzenten müssen die Chips auswählen, sie zum besten Preis und so kurzfristig wie möglich beschaffen. „Da keine Software diesen komplexen Prozess unterstützt, arbeitet jeder mit seiner eigenen Excel-Tabelle“, sagt Schaal (32). Bei der riesigen Menge an Bauteilen verschlingt das eine Menge Zeit.

Die Software der Münchner erledigt den Prozess zwischen der Produktidee und der Entwicklung marktreifer elektronischer Hardware bedeutend schneller und effizienter, optimiert sowohl die Verfügbarkeit als auch den Preis. Sie berechnet zum Beispiel das Risiko, wenn man sich auf einen bestimmten Anbieter verlässt. Ebenso zeigt sie die Kosten für alternative Bauteile auf.

„Den Einkauf im Griff zu haben, war schon immer elementar“, sagt Schaal. Seit viele Lieferketten gestört sind, sind die Herausforderungen für die Branche noch größer geworden.

Versierte Entwicklungspartner

Die KI der Oberbayern wird daher mehr und mehr nachgefragt. Das Unternehmen mit gut 50 Mitarbeitern konnte bereits 100 Kunden in rund 10 Ländern gewinnen. Seit 2020 ist das Münchner Unternehmen Lacon Electronic GmbH ein Entwicklungspartner von Luminovo. Ein weiterer Partner ist die ICC Intelligent Platforms GmbH, eine Tochter des US-Mischkonzerns Emerson. Sie entwickelte vor 2 Jahren als erster Elektronikdesigner gemeinsam mit dem Start-up neue Module.

Geld dafür und für weiteres Wachstum ist vorhanden. 2022 konnte Luminovo eine Finanzierungsrunde über 11 Millionen Euro abschließen. Insgesamt sammelte das Start-up seit Gründung gut 13,5 Millionen Euro Wagniskapital ein.

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