Digitalisierung | Betrieb + Praxis
Lernen per Brille
Digitale Technologien können virtuelle Elemente mit der realen Welt verbinden. Das Einsatzspektrum reicht von Marketing über Weiterbildung bis hin zur Fabrikplanung.
Von Josef Stelzer, IHK-Magazin 01-02/2025
„Damit fühlen sich virtuelle Erlebnisse absolut real an“, sagt Jürgen Jacob, Geschäftsführer der Münchner xpert marketing & events GmbH. Er ist von den Eindrücken, die Virtual Reality (VR) schaffen kann, fasziniert. „Spezielle VR-Brillen in Kombination mit 360-Grad-Kameras ermöglichen es, im Hamburger Derby auf einem Springpferd zu reiten und Minuten später in atemberaubendem Tempo mit einem Schlitten steile Abhänge hinunterzurasen“, nennt er ein Beispiel.
Jacob plant und organisiert für Firmenkunden virtuelle und reale Veranstaltungen wie etwa Teamevents, aber auch Sommerfeste und Jubiläen. Zu seinen Kunden zählen unter anderem Automobilhersteller und Versicherungskonzerne.
Künstlich, und doch real
Sind zusätzliche Optionen gefragt, kommt Augmented Reality (AR) ins Spiel. Mit ihr können komplexe Anweisungen mit Beschreibungen, Bildern und Videoclips mittels spezieller Brillen von praktisch jedem Ort aus abgerufen werden.
Mehr noch: Dank AR, Computersimulationen und Videosequenzen lassen sich „künstliche“ Räume erschaffen, die eine Onlinezusammenarbeit mit Kollegen, Mitarbeitern, Kunden oder Geschäftspartnern ermöglichen – als wären alle gleichzeitig im selben Raum. „Virtuelle Events eignen sich sehr gut als Ergänzung zu Veranstaltungen und können diese in manchen Fällen auch ersetzen, etwa für Mitarbeiterschulungen“, sagt Jacob.
Schneller und effektiver mit VR
Solche Technologien samt den diversen Mischformen machen sich immer mehr Firmen zunutze. Nach einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom von 2024 setzt jedes 5. Unternehmen bereits VR- oder AR-Anwendungen ein, zumeist für Konstruktion und Planung, Aus- und Weiterbildung, aber auch für Onlinezusammenarbeit, Messen und Marketing oder Fernwartung. Weitere 36 Prozent planen oder erwägen den VR-Einsatz, bei AR sind es 29 Prozent.
Die Unternehmen beschleunigen damit zum Beispiel die Produktentwicklung, gestalten Arbeitsabläufe effektiver oder reduzieren den Aufwand für Mitarbeiterschulungen. Das spart Zeit und stärkt letztlich die Wettbewerbsfähigkeit.
Virtuelles Fabrik-Double
Anwendungsbeispiele gibt es reichlich. Der Ingolstädter Automobilhersteller AUDI AG hat zum Beispiel ein neues Werk im nordostchinesischen Changchun mittels digitaler Technologien geplant und aus den Daten eine virtuelle Fabrik erschaffen. Die Beteiligten des Bauprojekts, von den Bauingenieuren bis zu den Fabrikplanern, konnten so mit VR-Brillen jederzeit den Projektfortschritt überwachen und Anforderungen etwa an Werkstätten, Produktionslinien, Gebäude und Infrastruktur festlegen. Die Markteinführung des ersten am neuen Produktionsstandort gefertigten vollelektrischen Modells ist für Anfang 2025 geplant.
Trainieren mit VR-Simulationen
Die BMW AG setzt XR-Lösungen (XR steht für Extended Reality und umfasst sämtliche Formen und Abstufungen von real-virtuell-kombinierten Umgebungen) im Werk Regensburg für Schulungen ein. Geplante Fertigungsstrukturen werden zunächst in einem digitalen Zwilling virtuell abgebildet, sodass Mitarbeitende einzelne Arbeitsschritte gezielt einüben können.
Ziel ist es, jeden Arbeitsschritt mithilfe simulierter Maschinen und Geräte so zu trainieren, dass sich später die praktische Anlernphase auf ein Minimum verkürzt. Überdies lassen sich die Arbeitsabläufe am Montageband virtuell testen und korrigieren.
Komplexität vorab digital erleben
XR-Technologien erweisen sich in vielen weiteren Bereichen als hilfreich. Zum Beispiel beim Training für Gefahrensituationen sowie für Schulungen zu Gefahrstoffen und Notfallmanagement. „Das kann die betriebliche Arbeitssicherheit spürbar verbessern“, sagt Theda Ockenga, Geschäftsführerin der Münchner StellDirVor GmbH. Das Unternehmen entwickelt virtuelle Lösungen für den Gesundheitsbereich. „Selbst komplexe Situationen aus dem Alltag von Medizin, Pflege und Rettungswesen lassen sich mit den passenden VR-Brillen erlebbar machen, etwa auf Messen sowie im Rahmen der Aus- und Weiterbildung.“
Sensoren bilden Bewegungen ab
Zum Einsatz kommt die ganze Bandbreite virtueller Technologien. „Beim Lernen in der virtuellen Realität wird man in Trainingssituationen gleichsam hineingezogen und erlebt diese mit allen Sinnen“, sagt Ockenga, die mit ihrem Team XR-Lösungen unter anderem für Hersteller von Medizintechnik und für Krankenhäuser entwickelt. Dank spezieller Handschuhe, Sensoren und weiterer Eingabegeräte können auch Handbewegungen und andere Aktivitäten in die virtuelle Umgebung einfließen.
VR in der Weiterbildung …
Frank Feick, Bereichsleitung Vertiefende Kompetenzen an den Bamberger Akademien für Gesundheits- und Pflegeberufe, bestätigt: „VR-Trainings unterstützen unser Weiterbildungsangebot, um das Gelernte praktisch anzuwenden und Handlungskompetenzen für den Pflegealltag aufzubauen. Wir sehen hier eine optimale Ergänzung zu realen Trainings.“
… und im Recruiting
Nützlich können virtuelle Lösungen zudem für die Fachkräftegewinnung sein. „Die Technik ermöglicht es, Bewerbern an jedem beliebigen Ort auf der Welt einen sehr realitätsnahen Eindruck zu vermitteln – über das Unternehmen, die Arbeitsplatzprofile wie auch über die Teams, in denen sie künftig vielleicht arbeiten werden“, ist Ockenga überzeugt. „Das kann den Recruiting-Erfolg erheblich verbessern und dürfte vor allem auch die Gewinnung von Fachkräften im Ausland erleichtern.
IHK-Veranstaltungstipp: XR für den Mittelstand 2025 am 27. März 2025Die kostenfreie Veranstaltung „XR für den Mittelstand 2025“ am 27. März 2025 bietet zahlreiche Fachvorträge, Pitches und Best-Practice-Beispiele. Zudem können Teilnehmer in einem großen Ausstellerbereich die verschiedenen Technologien näher betrachten und selbst ausprobieren.