Wachsen mit der Crowd
Unternehmer Steffen Marx finanziert das Wachstum von Giesinger Bräu vor allem mit Crowdfunding. Das funktioniert auch in der Pandemie. Mit der sechsten Kampagne 2020 mobilisierte er erneut über 1.000 private Investoren.
Stefan Bottler, Ausgabe 06/2021
Für Steffen Marx (43) ist Silvester nicht nur wegen des Jahreswechsels ein besonderes Datum. Spätestens am 31. Dezember enden die Crowdfunding-Kampagnen, die der Gründer der Giesinger Biermanufaktur & Spezialitäten Braugesellschaft mbH in den vergangenen Jahren gestartet hat. Ende 2020 hat Giesinger die vorerst letzte Kampagne abgeschlossen. In sechs Wochen sammelte die Brauerei auf der Investing-Plattform Conda 1,5 Millionen Euro ein. 1.088 private Investoren zeichneten im Schnitt 1.378 Euro für acht Jahre und erhalten dafür jährliche Dividenden von sechs Prozent, die als Bier- und Verzehrgutscheine ausgezahlt werden.
Günstigen Zeitraum erkannt
Brauereichef Marx ist überzeugt, dass für Crowdfunding der Zeitraum entscheidend ist. »Vor Weihnachten zeigen sich private Investoren besonders großzügig«, weiß der Chef der jüngsten Münchner Brauerei, die rund 50 Mitarbeiter beschäftigt. In den anschließenden Wintermonaten halten sie hingegen ihr Geld zurück, genauso wie im Sommer, wenn sie lieber in Urlaub und andere Freizeitaktivitäten investieren.
Für die Brauerei ist Crowdfunding das Mittel der Wahl, um weiteres Wachstum zu finanzieren. Beim Crowdfunding gibt es nicht einige wenige Investoren, sondern viele verschiedene Geldgeber (»Crowd«), die keinen oder nur wenig Einfluss auf die Geschäftsabläufe erhalten. Abgewickelt werden die Kampagnen über digitale Plattformen. Giesinger Bräu verfügt inzwischen über reichlich Erfahrung, wie sich auf diese Weise Projekte finanzieren lassen. Immerhin hat die Brauerei gerade die sechste Crowdfunding-Kampagne erfolgreich abgeschlossen.
Trotz Lockdowns mehr produziert
Mit dem Geld daraus wird Marx vier weitere Tanks für die neue Produktionsstätte in München-Lerchenau finanzieren. Sie sollen zusätzliche Biersorten wie Pils und Weißbier aufnehmen. Zudem möchte er weiteres Mehrwegleergut anschaffen, denn das Unternehmen setzt auf Wachstum. Trotz Schließung der beiden Brauereigaststätten und Wegfall der Gastronomieumsätze in den Lockdowns konnte Giesinger die Produktionsmenge 2020 auf knapp 20.000 Hektoliter erhöhen.
Bisheriges Privileg der Großen für sich genutzt
Möglich machte dies die im Juni 2020 eröffnete zweite Produktionsstätte in der Lerchenau. Das Unternehmen verfügt nun auch über einen eigenen Tiefbrunnen und darf sich »Münchner Brauerei« nennen. Dieses imageträchtige Privileg war bisher den Großbrauereien Augustiner, Hacker-Pschorr, Hofbräu, Löwenbräu, Paulaner und Spaten vorbehalten. Weil sie ihre Biere mit Grundwasser der Landeshauptstadt herstellen, dürfen sie diese auf dem Oktoberfest und weiteren wichtigen Events ausschenken. Genau dieses Ziel hat sich auch Marx gesetzt: »Wir streben langfristig einen Marktanteil von einem Prozent an.«
Aus Giesinger Hinterhofgarage zum Oktoberfest
Mit höheren Handelsabsätzen und einem ausgebauten Webshop konnte Giesinger Bräu 2020 die weggebrochenen Gastronomieumsätze zumindest teilweise kompensieren. Die Brauerei profitiert von einer Community, die das Unternehmen seit der Gründung 2005 in einer Giesinger Hinterhofgarage unterstützt und kontinu-ierlich gewachsen ist. Sie half auch bei der Finanzierung der Produktionsstätte in der Lerchenau. Von Oktober bis Dezember 2019 sammelte Giesinger in der bislang aufwendigsten Crowdfunding-Kampagne 3,5 Millionen Euro ein. 2.605 private Investoren zeichneten zwischen 100 und 25.000 Euro und steuerten 15 Prozent der Gesamtausgaben von rund 20 Millionen Euro bei. Weitere 50 Prozent wurden mit einem Kredit der Raiffeisenbank München-Süd finanziert, der Rest kam vorwiegend aus Eigenkapital.
Schritt- und jahresweise mit klaren Zielen nach vorn
Vor dem Jahr 2019 legte Giesinger mit vier Crowdfunding-Kampagnen den Grundstein für die stetig wachsende Fangemeinde. Die erste Kampagne finanzierte 2011 den Produktionsstandort in Giesing: 1.035 Investoren zeichneten 733.850 Euro. Zwei weitere Kampagnen machten die Anschaffung eines neuen Stehausschanks und eines Biertrucks möglich: Für beide Projekte stellten Geldgeber fast 200.000 Euro bereit. Die vierte Kampagne 2017 hatte eine neue Abfüllanlage zum Gegenstand: 1.265 Investoren zeichneten fast 1,2 Millionen Euro.
Für den Aufstieg zur regionalen Marke spielten die sechs Crowdfunding-Kampagnen eine Schlüsselrolle. »Wir haben ein Spitzenprodukt und sind die zweite Privatbrauerei in München«, sagt Marx selbstbewusst. Von Augustiner abgesehen, sind alle Münchner Biermarken von internationalen Getränkekonzernen übernommen worden oder werden von Staatsunternehmen (»Hofbräu«) produziert. Solche Inhalte wurden während jeder Crowdfunding-Kampagne auf Facebook und Instagram kommuniziert. Dazu schaltete Giesinger Printanzeigen, investierte in PR und startete Sonderaktionen. Bei der Kampagne 2019 erhielten 2,5 Millionen Haushalte Bierdeckel. Für solche Maßnahmen gibt das Unternehmen laut Marx bis zu 15 Prozent der angestrebten Fundingsummen aus.
Mit starker Community und Gutscheinzahlungen punkten
Mit Conda hat Giesinger einen erfahrenen Partner für Crowdinvesting-Kampagnen. Die Plattform hat über 140 Finanzierungsprojekte in unterschiedlichen Branchen unterstützt. »Von anderen Teilnehmern hebt sich Giesinger nicht nur mit seiner starken Community, sondern auch mit seinen Gutscheinzahlungen ab«, sagt Conda-Geschäftsführer Dirk Littig (51).
»Der Anleger als gefühlter Mitbesitzer«
Das Konzept gefällt auch anderen Aufsteigern der Branche. Die Olchinger Braumanufaktur GmbH will ebenfalls mit Crowdfunding wachsen. In sechs Wochen sammelte sie über 160.000 Euro für Kessel und anderes Produktionsgerät ein. Für Ende 2021 plant sie eine zweite Finanzierungsrunde. Bier als Investitionsprodukt und Crowdfunding als Investitionsform überzeugen offenbar. Marx fasst das so zusammen: »Der Anleger ist gefühlter Mitbesitzer unserer Brauerei und wird zum Markenbotschafter unserer Produkte.«