Aufholjagd in Osteuropa
Seit dem EU-Beitritt 2007 blieb Bulgariens Wirtschaft hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Doch zuletzt gewann das Land als Investitionsstandort für bayerische Firmen an Bedeutung und hofft, nach der Coronakrise an diese positive Entwicklung anzuknüpfen.
Mechthilde Gruber, Ausgabe 04/20
Dreizehn Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union ist Bulgarien noch immer das ärmste Land in der Gemeinschaft. Doch eine Trendwende zeichnet sich ab. Bulgariens Wachstumsrate lag 2019 mit 3,6 Prozent deutlich über dem Durchschnitt der EU. Zwar verliert das Land weiterhin viele junge Leute ans Ausland, doch gleichzeitig kehren immer mehr gut ausgebildete Bulgaren in ihre Heimat zurück und tragen zum Aufschwung des Landes bei.
Ausländische Investoren entdecken das Balkanland nun für sich. Sie investieren in Industrieproduktionen und Wirtschaftszweige, die Stellen schaffen und Wachstum generieren. Auch viele deutsche Unternehmen sind darunter. So will die Robert Bosch GmbH in ihrem Engineering Center in Sofia über 500 Arbeitsplätze schaffen, um innovative Software für die Automobilindustrie zu entwickeln; die Commerzbank AG plant ein IT-Zentrum, in dem einmal rund 400 Computerspezialisten arbeiten sollen; der bayerische Maschinenbauer Multivac SE&Co.KG eröffnete 2018 eine Produktionsstätte für Verpackungsmaschinen.
»Insbesondere für Unternehmensdienstleistungen bieten sich für die bayerischen Unternehmen in Bulgarien umfassende Möglichkeiten«, sagt Alexander Lau, Referatsleiter Europa der IHK für München und Oberbayern. Zumal Bulgarien an einer Ausweitung der Beziehung zu seinem mit Abstand wichtigsten Handelspartner Deutschland sehr interessiert ist. Die Automobilbranche und der Dienstleistungssektor sind heute die größten Wachstumstreiber in der Republik am Schwarzen Meer, in der sieben Millionen Einwohner leben. Fast 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts werden mit Dienstleistungen erwirtschaftet. Vor allem der IT-Sektor boomt.
»Die Unternehmen wissen, was sie hier vor Ort finden«, sagt Mitko Vassilev (62), Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer (AHK Bulgarien). »Im Vergleich zu anderen Ländern Südosteuropas ist die politische Lage stabil, die makroökonomischen Daten sind in Ordnung. «
Anreize für Investoren
Mit der niedrigsten Flat Tax der EU ist Bulgarien ein legales Steuerparadies. Deutsche Firmen schätzen überdies die niedrigen Lohnkosten, die Mitgliedschaft in der EU, die Anbindung an den Euro mit festem Wechselkurs, den Zugang zu Investitionen – öffentliche und von der EU – sowie die Vorhersagbarkeit der Wirtschaftspolitik. Die strategisch günstige Lage zwischen Ost und West, die Nähe zu Rumänien und anderen Wachstums- und Absatzmärkten in der Region machen das Land als Produktionsstandort zusätzlich interessant.
Die Risiken in dem Balkanstaat sind überschaubar. Allerdings beeinträchtigen ineffiziente staatliche Institutionen, ein schwaches Justizsystem und Korruption den Standort, auch wenn die Regierung verstärkt versucht, dagegen vorzugehen. »Wie in vielen anderen Ländern ist aber vor allem der Fachkräftemangel ein Problem«, sagt AHK-Experte Vassilev. Um diese Situation zu verbessern, wirbt die bulgarische Regierung jetzt ganz gezielt im Ausland für die Rückkehr gut ausgebildeter Bulgaren.
Dass Bulgarien – keine zwei Flugstunden von München entfernt – sehr gute Voraussetzungen als Standort bietet, bestätigt Tobias Pregler, Geschäftsführer der it-economics Bulgaria. Die Tochterfirma des Münchner IT-Beratungsunternehmens it-economics GmbH wurde 2014 in Sofia gegründet, um die erfolgreiche Stellung am deutschen Markt weiter auszubauen.
»Als einer unserer erfahrenen Softwareentwickler in München überlegte zu kündigen, weil er in seine Heimat Bulgarien zurückkehren wollte, war das der Auslöser für uns, uns das Land als möglichen Standort näher anzuschauen«, sagt Pregler. »Wir haben uns dann entschieden: Wir folgen dem Mitarbeiter, wenn es ihn nach Hause zieht. «
Heute sind in Sofia 52 Mitarbeiter beschäftigt, der bulgarische Standort arbeitet ausschließlich für den deutschen Markt. Anfangs unterstützten Mitarbeiter aus Bulgarien Projektteams in Deutschland. Heute werden Projekte auch komplett von Sofia aus betreut.
»Bulgarien hat exzellent ausgebildete, international erfahrene IT-Entwickler und Projektmanagement-Spezialisten«, sagt Geschäftsführer Pregler. »Die jungen Leute haben während ihrer Ausbildung oft länger im Ausland gelebt. « Ihre sehr guten Sprachkenntnisse seien bei der Projektarbeit ein wichtiger Vorteil. Viele haben in Deutschland studiert und kennen die deutsche Kultur und Arbeitsweise, so Preglers Erfahrung: »Das ist für uns natürlich ein Riesenvorteil. «
Bulgariens EU-Mitgliedschaft mache den Standort für die Branche attraktiv. »Auch hier gelten beim Datenschutz die strengen Vorgaben der DSGVO«, so Pregler. Und die sehr gute digitale Infrastruktur des Landes könnte ein Vorbild für Deutschland sein. Zudem sei die vergleichsweise günstige Kostenstruktur bei Gehältern und Mieten ein gutes Argument, den Standort noch weiter auszubauen. Die Mitarbeiterzahl soll sich bis Ende 2020 verdoppeln.
Dieses Ziel zu erreichen, wird nicht einfach werden: »Der Arbeitsmarkt ist umkämpft. Nicht nur wir wissen, dass es hier gute Fachkräfte gibt«, sagt Geschäftsführer Pregler. Deshalb sei es für jeden Arbeitgeber eine Herausforderung, Mitarbeiter langfristig zu binden. Angesichts von nur fünf Prozent Fluktuation unter den Beschäftigten scheint it-economics dabei erfolgreich zu sein. Entsprechend optimistisch ist Pregler: »Mit der Entwicklung an unserem Standort Bulgarien sind wir sehr zufrieden und sehen darüber hinaus sehr viel Potenzial für die Zukunft. «.