Digitalisierung | Standortpolitik

Digital ordern für Profis


Beschaffungsplattformen erleichtern mittelständischen Händlern den Einkauf und bieten auch kleineren Herstellern einen unkomplizierten Absatzkanal. Dass sie sich so rasch etablieren konnten, liegt nicht nur an Corona.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 11/2022

Für manche ist das ganze Jahr über Halloween - oder manch anderer Tag eine Gelegenheit zum Gruseln. Auf sie warten in Landsham bei München auf 1.000 Quadratmetern Skelette, Grabsteine und mehr – der Markt ist nach eigenen Angaben Europas größtes Fachgeschäft für Gruselprodukte. »Wir sorgen für ein ganz besonderes Einkaufserlebnis, weil unsere gesamte Verkaufsfläche wie eine Geisterbahn konzipiert ist«, erklärt Randy Mikels (56), Geschäftsführer der Cutglass-Halloween Gore Store GmbH. Das Unternehmen betreibt neben der Erlebniswelt in Landsham noch einen kleineren Store im Münchner Gärtnerplatzviertel sowie einen Onlineshop.

Für »Rosinenpicker«

Beim Einkauf thematisch passender Artikel nutzen Mikels und sein Team seit einigen Jahren Orderchamp und Zentrada, zwei Einkaufsplattformen für Einzelhändler. »Für unser Nischensortiment sind wir stets auf der Suche nach passenden Produkten. Wir sind quasi Rosinenpicker«, sagt Mikels. »Auf diesen Plattformen finden wir immer wieder Neues wie zum Beispiel Handtücher mit aufgedruckten Totenschädeln oder Halloween-Kekse einer kleinen Bäckerei aus Italien.«

»Pandemie unglaublicher Booster für dieses Geschäftsmodell«

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von E-Commerce-Plattformen, die Hersteller und Einzelhändler zusammenbringen und damit klassische Großhandelsfunktionen übernehmen (siehe auch Linkauswahl unten im Kasten). »Auch wenn die meisten schon vor Corona gestartet sind: Die Pandemie war ein unglaublicher Booster für dieses Geschäftsmodell – und seither wachsen die B2B-Plattformen stark«, sagt Ralph Hübner (47), Plattformexperte und Partner der E-Commerce-Beratung ecom consulting GmbH.

Dass jetzt bald drei Jahre lang sehr viele Messen ausgefallen sind, auf denen vor Corona der unabhängige, inhabergeführte Einzelhandel eingekauft hat, beflügelt die Geschäfte der Beschaffungsplattformen. Sie bieten Einzelhändlern nicht nur Inspirationen und Zugang zu einer immensen Produktpalette, sondern minimieren auch die Risiken neuer Geschäftsbeziehungen – fast so, wie es Endkunden von ihrem Einkauf bei Amazon, Zalando & Co. kennen. Allerdings liefern die Verkäufer direkt an die Händler. Die Bezahlung, die in der Regel erst nach Erhalt der Waren fällig ist, läuft über die Plattform.

Storytelling auch für kleine Hersteller

Aber auch Hersteller, insbesondere kleinere und neue Anbieter, denen es meist schwerer als den großen und etablierten Firmen fällt, die Kosten eines Messeauftritts zu stemmen oder in das Sortiment eines klassischen Großhändlers aufgenommen zu werden, schätzen die neuen Vertriebskanäle, auf denen sie auch internationale Kunden gewinnen können. »Auf einer Beschaffungsplattform kann ein Hersteller zudem sein komplettes Sortiment plus Informationen zum Unternehmen und den Herstellungsverfahren relativ ausführlich präsentieren«, erklärt ecom-Berater Hübner. Viele engagierte Einzelhändler greifen diese Storys rund um Produkte, Unternehmen oder deren Gründer auf, um sich damit bei ihren Kunden zu positionieren.

Produktperlen statt Billigware

Durch den effizienten Onlineeinkauf, so Hübner, bleibe stationären Händlern zudem mehr Zeit, sich um ihre Kunden und das Einkaufserlebnis im eigenen Laden zu kümmern. Der E-Commerce-Experte betont, dass es bei den innovativen B2B-Plattformen vorrangig darum geht, Produktperlen für das eigene Sortiment zu finden und nicht etwa Billigware zu beziehen, wie es seit Jahren zum Beispiel auf der chinesischen Plattform Alibaba stattfindet.

Der Erfolg bringt aber auch Veränderungen mit sich. So wächst die Menge an Artikeln auf den B2B-Plattformen rasant. »Die Suche nach Produkten ist mittlerweile schon mit einem gewissen Aufwand verbunden«, stellt Horror-Shop-Unternehmer Mikels fest.

Außerdem beobachtet er, dass einige Produzenten ihre Vertriebsstrategie geändert haben: Sie schaffen ihren Außendienst sowie die üblichen Bestellmöglichkeiten ab, sodass selbst langjährige Handelspartner nur noch über die Plattformen ordern können. »Allerdings sind die Sicherheit der Transaktionen sowie die grundsätzlich eher niedrig angesetzten Mindestbestellmengen schon große Pluspunkte«, sagt Mikels.

»Besser vom Wettbewerb differenzieren«

Auch Constantin Felbinger (48), Gründer und Geschäftsführer der JusComte GmbH, beurteilt den unkomplizierten Einkauf auf den B2B-Plattformen positiv. Vor allem aber schätzt er das umfangreiche Angebot an Erzeugnissen kleinerer und unbekannter Hersteller. »Mit diesen Produkten können wir uns besser vom Wettbewerb differenzieren«, ist der Unternehmer überzeugt.

Im Onlineshop sowie im Ladengeschäft in München-Schwabing verkauft Felbingers Unternehmen selbst hergestellte Olivenöle, Salze und Gewürze sowie Jus-Varianten, also hochkonzentrierte Fleischfonds, die als Basis für Soßen und andere Gerichte der gehobeneren Küche zum Einsatz kommen. Feinkost anderer Manufakturen und ein kleines, aber feines Lifestyle-Sortiment runden das Angebot ab.

Niedrige Mindest-Ordermengen

»2020 haben wir zum ersten Mal bei der B2B-Plattform Ankorstore bestellt«, erinnert sich Felbinger. Mittlerweile ordert er dort alle zwei Wochen, insbesondere Schmuck und Wohnaccessoires wie etwa Kerzen, aber auch gut haltbare Süßigkeiten. »Alles Produkte, die es nicht beim Großhändler und auch nicht an jeder Straßenecke gibt«, betont er. »Die niedrigen Mindestordermengen auf der Plattform erleichtern es uns außerdem, immer wieder etwas Neues zu testen.« Dass er die Recherche und den Einkauf an einem einzigen virtuellen Ort bündeln kann, stellt für Felbinger einen weiteren Vorteil dar. Allerdings berichtet auch er davon, dass die Produktvielfalt mitunter etwas unübersichtlich ist. »Doch die Lieferungen der über Ankorstore bestellten Produkte erfolgen zuverlässig.«

B2B-Plattform als Absatzkanal

Derzeit überlegt der Unternehmer, die Plattform nicht nur für den Einkauf, sondern auch als Absatzkanal für seine selbst produzierten Feinkostprodukte zu nutzen: »Die Entwicklungen in diesem Segment des E-Commerce sind auch in dieser Hinsicht sehr, sehr interessant.«

B2B-Plattformen für den Handel

Es gibt mittlerweile zahlreiche B2B-Beschaffungsplattformen, über die Händler im Einkauf Produkte suchen und bestellen können. Zu den auch in Deutschland aktiven Anbietern gehören zum Beispiel www.ankorstore.com
www.faire.com
www.fashion.cloud
www.orderchamp.com
www.zentrada.de

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