Digitalisierung | Betrieb + Praxis
Schlüsseltechnologie mit Potenzial

Die Fortschritte in der Quantentechnologie sind immens. Langsam halten die Ergebnisse aus der Spitzenforschung auch Einzug in die unternehmerische Praxis.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 10/2025
Sie sind Informatiker, Physiker, Mathematiker – 25 hoch qualifizierte Mitarbeitende beschäftigen sich bei der Münchner Aqarios GmbH mit Quantentechnologie. Mit der eigens entwickelten Softwareplattform „Luna“ will das 2021 gegründete Start-up Optimierungsprobleme immer besser lösen. Probleme also, wie sie in der Wirtschaft zahlreich auftreten. Etwa in der Logistik, die stets vor der Herausforderung steht, die besten Lieferrouten zu bestimmen.
„Es geht darum, bei einer großen Anzahl an Möglichkeiten die beste zu finden“, sagt Informatiker Michael Lachner, Gründer und Geschäftsführer von Aqarios. Diese Aufgabe ist zunehmend nicht mehr mit herkömmlichen Rechnern und auch nicht mit den leistungsstärkeren Supercomputern zu lösen. „Man unterschätzt das exponentielle Wachstum“, sagt Lachner. Er erklärt es anschaulich: Man stelle sich einen Logistiker vor, der 20 Städte mit einem Fahrzeug beliefert. Er hat 122 Billiarden Möglichkeiten für eine Route. Bei 60 Städten, so Lachner, „hat er mehr Möglichkeiten, als es Atome im Universum gibt“.
Turbo für hochkomplexe Aufgaben
Das ist ein klassischer Fall für den Quantencomputer – wobei neben der Hardware immer auch die Software mitgemeint ist. Das Zusammenspiel von sehr hoher Rechenleistung und sehr schlauen Algorithmen ist essenziell. Neue Quantentechnologien gelten als künftige Schlüsseltechnologien, stellt die Expertenkommission Forschung und Innovation EFI in ihrem aktuellen Gutachten fest. „Das Quantencomputing könnte die Lösung hochkomplexer Optimierungsprobleme erheblich beschleunigen oder erstmals überhaupt ermöglichen.“
Enormes wirtschaftliches Potenzial
Gleichzeitig werde „der Schutz vor Cyberangriffen immer dringender, was die Entwicklung langfristig sicherer Verschlüsselungstechnologien erfordert“ – auch dies ein Bereich, in dem die Quantentechnologie vielversprechende Ansätze bietet. Damit sei klar, dass Quantencomputing „ein enormes wirtschaftliches Potenzial hat“, fasst Bernhard Kux, Referent Cybersicherheit, digitale Infrastruktur, Digitalisierung und IT-Services bei der IHK für München und Oberbayern, zusammen.
Von Finanzwirtschaft über Produktion …
Dieses Potenzial gilt es zu heben und die Spitzenforschung in die Wirtschaft zu bringen, um sie dort einzusetzen, wo konkreter Bedarf besteht. Neben der schon genannten Logistikbranche mit der Herausforderung Routenplanung sind das etwa Unternehmen, die Medikamente entwickeln. „In diesem Bereich könnten Quantencomputer helfen, neue Molekülstrukturen zu untersuchen“, sagt Kux. „Da chemische Reaktionen auf Quantenebene ablaufen, sind klassische Simulationen oft zu ungenau oder extrem rechenintensiv.“ Quantencomputer könnten hier präzisere Modelle liefern und Entwicklungszeiten drastisch verkürzen.
Weitere Einsatzgebiete ergeben sich in der Finanzwirtschaft, die heute noch Tage braucht, um komplexe Analysen etwa bei der Portfolio-Optimierung anzufertigen. In der Industrie wiederum hilft Quantencomputing dabei, Produktionsprozesse effizienter zu gestalten.
… bis zur kritischen Infrastruktur
Henning Weier, Geschäftsführer der Münchner Quantum Space Systems GmbH, widmet sich mit rund 10 Mitarbeitern der Quantenkommunikation. Sie soll durch sichere Verschlüsselungstechnologien Schutz vor Cyberangriffen bieten. Das vor rund 4 Jahren gegründete Start-up stellt Komponenten für die Quantenkommunikation her, mit Fokus auf den Weltraum. „Wir wollen in den Weltraum, weil man auf der Erde aktuell und wahrscheinlich noch auf absehbare Zeit auf ein paar Hundert Kilometer beschränkt ist“, sagt Weier. Ein Satellit hingegen könnte mehr oder weniger die ganze Erde abdecken. „Ziel ist die abhörsichere Kommunikation“, sagt Weier.
Interessierte Anwender finden sich vor allem in der kritischen Infrastruktur, von Wasser- und Stromwerken über medizinische Einrichtungen bis hin zu Behörden und der Verteidigung. Aber auch Telekommunikationsanbieter kommen für den Service der Oberbayern infrage. „Noch sind wir in der Frühentwicklung“, sagt Weier. Andererseits gibt es sehr wohl schon Aufträge, nicht nur von der Europäischen Weltraumorganisation ESA, sondern auch aus der Privatwirtschaft.
Neu: Plattform mit Use Cases
Es geht also voran mit der Vernetzung von Spitzenforschung und Wirtschaft. Allerdings sind bislang noch mehrheitlich Konzerne involviert. „Der Mittelstand ist interessiert, hat aber oft nicht die Ressourcen“, sagt Aqarios-Chef Lachner.
Das soll sich ändern. Das Quantum Computing User Network, kurz QuCUN, hilft Unternehmen, sich auf das Zeitalter des Quantencomputing vorzubereiten. Es stellt dazu eine Plattform mit Use Cases, also praktischen Anwendungsbeispielen, sowie Lernmaterialien bereit. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert das Projekt.
Computer noch fehleranfällig
Jeanette Lorenz, Abteilungsleiterin Quantencomputing am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS, forscht seit fast 5 Jahren mit einem kleinen Team zum Quantencomputing. Ihr Fokus liegt auf der Frage, wo die „möglicherweise disruptive Technologie“ nützlich sein kann. Das sind die schon erwähnten Felder wie Logistik oder Finanzwirtschaft. Allerdings seien die Computer noch zu anfällig für Fehler, sagt Lorenz. „Erst 2029 werden fehlerkorrigierte Quantencomputer mit 200 Qbits auf dem Markt sein.“ Frühestens dann werde die Wirtschaft relevant damit arbeiten.
Forschung und Industrie vernetzen
Das Ziel, in 4 oder 5 Jahren tatsächlich erste industrierelevante Prozesse optimieren zu können, verfolgt auch das Munich Quantum Valley (MQV). Das Projekt wird von der Bayerischen Staatsregierung mit Mitteln der Hightech Agenda Bayern gefördert und ist seit Ende 2021 dabei, ein weltweit führendes Ökosystem für die Industrialisierung von Quantentechnologien zu schaffen. Es bündelt die Forschungskapazitäten und den Technologietransfer von 3 großen Universitäten und wichtiger Forschungseinrichtungen in Bayern zu einer intensiven Zusammenarbeit.
Jetzt in die Anwendung kommen
Das MQV vernetzt die Akteure, entwickelt aber auch selbst wettbewerbsfähige Quantencomputer. „Das war die ursprüngliche Idee“, sagt Sascha Mehlhase, Leiter der MQV-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die großen US-Konzerne wie IBM und Google hätten viel vorangetrieben. „Wir wollten das in Bayern ebenfalls tun, nämlich nicht nur sehr gute Grundlagenforschung betreiben, sondern in die industriellen Anwendungen hineinkommen.“ Namhafte Firmen wie SAP, Airbus, BMW, Zurich Instruments oder Infineon kooperieren mit den Münchnern. Die Experten sind auf einem guten Weg.
IHK-Info: Online-Ratgeber und Webinar zum Einstieg ins Quantencomputing
Die IHK bietet einen Online-Ratgeber mit Grundlagen und Anwendungsfällen zu Quantencomputing. Inklusive der Aufzeichnung des „Pack ma’s digital“-Webinars (unten auf der Website) „Zukunftstechnologie Quantencomputing – Grundlagen, Potenziale, Beispiele“ mit Jeanette Lorenz vom Fraunhofer Institut für Kognitive Systeme (IKS) in München.