Digitalisierung | Betrieb + Praxis
CDR: Digitale Verantwortung

Moderne Technologien verlangen einen ethischen und nachhaltigen Umgang. Wie der aussehen kann? 3 Praxisbeispiele aus Oberbayern.
Von Daniel Boss, IHK-Magazin 10/2025
So gut wie kein Unternehmen kommt an der Nutzung digitaler Technologien vorbei. Im Gegenteil: Immer mehr Geschäftsmodelle beruhen teilweise oder gar komplett auf Möglichkeiten, die vor wenigen Jahrzehnten technisch noch nicht möglich waren.
Zahlreiche Vorteile sind unbestritten: „Automatisierte Prozesse, KI-gestützte Analysen und Cloud-Lösungen reduzieren Kosten und verbessern die Geschwindigkeit betrieblicher Abläufe“, sagt Corinna Bruder, Expertin für Digitalisierung bei der IHK für München und Oberbayern. „Digitale Tools ermöglichen neue Geschäftsmodelle, Produkte und Services. Und dank datengetriebener Entscheidungen können Unternehmen schneller und fundierter agieren.“
Im digitalen Zeitalter ein Muss: CDR
Mit dem Siegeszug neuer Technologien gewinnt zugleich der verantwortungsvolle Umgang mit diesen stetig an Bedeutung. Hierfür stehen die 3 Buchstaben CDR, kurz für „Corporate Digital Responsibility“. Gemeint ist die ökonomische, soziale und ökologische Verantwortung der Wirtschaft im digitalen Raum.
„Das Ziel von CDR ist der nachhaltige und ethische Einsatz von Digitalisierung und Daten“, erklärt Bruder. Typische CDR-Themen sind unter anderem digitale Teilhabe und Barrierefreiheit, ressourcenschonende IT-Infrastruktur und transparente Algorithmen.
IHK-Info: Webinare zu „Corporate Digital Responsibility (CDR) – digitale Verantwortung im Unternehmen“ am 13. und 20. November 2025
2 Webinare der bayerischen IHKs und des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz helfen Firmen beim Einstieg ins Thema. Sie liefern praxisnahe Impulse und konkrete Handlungsschritte, wie CDR Teil des Unternehmens werden kann.
Teil 1: Was steckt hinter digitaler Verantwortung: Einführung in Corporate Digital Responsibility (CDR) am 13. November 2025 von 11-12 Uhr
Teil 2: Von der Theorie zur Praxis: So gelingt digitale Verantwortung in KMU am 20. November 2025 von 11-12 Uhr
Weitere Infos zu CDR auf der IHK-Website
Welche Chancen in einem gelebten CDR-Bewusstsein liegen, zeigen exemplarisch 3 Gewinner des CDR-Awards, ausgerichtet vom Bundesverband Digitale Wirtschaft in Berlin und von Bayern Innovativ:
Seclous GmbH: Die Kontrolle der Daten
Die Seclous GmbH setzt auf „Non-Visible-Data“-Technologie, um sensible Informationen zu schützen.
Bei Seclous in München versteht man unter CDR „unseren Kampf um die Kontrolle der Daten“, wie Geschäftsführer Kai Rehnelt erklärt. „Gerade der aktuelle KI-Hype zeigt sehr deutlich, wie wichtig Funktionen sind, die eindeutige Besitzregelungen und vor allem Kontrolle beim Austausch von Daten sicherstellen.“
Das Unternehmen hat den CDR-Award 2024 in der Kategorie „Daten, Privatsphäre, Sicherheit“ gewonnen. „Wir vereinfachen den sicheren Umgang mit Daten für alle und geben Dritten die Fähigkeiten, ohne großen Aufwand oder Kosten die eigenen Produkte abzusichern“, sagt Rehnelt.
Zielgerichtete Angriffe verhindern
Die „Non-Visible-Data“-Technologie (NVD) des Unternehmens integriert den Schutz direkt in die Daten selbst. „Dadurch sind keine zielgerichteten Angriffe mehr möglich und sensible Informationen bleiben sicher“, erklärt der Geschäftsführer.
Ursprünglich im militärischen Umfeld entwickelt, hat NVD bereits mehrere Innovationspreise der Bundeswehr und NATO gewonnen, „etwa zur Sicherung der NATO-Systeme beim geplanten Wiederaufbau der Ukraine“, so Rehnelt. NVD schütze nicht nur vor unbefugten Manipulationen, sondern stelle auch zweifelsfrei sicher, von wem bestimmte Daten oder Nachrichten stammen.
Appell: „Mehrwert der Daten nutzen“
Als weiteren Grund für den Gewinn des CDR-Awards nennt Rehnelt die vielen neuen Möglichkeiten des kontrollierten Datenaustauschs für den deutschen Mittelstand: Auf diese Weise lasse sich im Rahmen von Kooperationen das vorhandene Wissen sicher zusammenzubringen und durch bessere Produkte gewinnbringend realisieren.
„Dazu muss aber ein massives Umdenken erfolgen“, fordert Rehnelt. „Wir neigen dazu, Datenschutz so auszulegen, dass wir den Mehrwert der Daten nicht nutzen, sondern stattdessen Informationen in vermeintlich sicheren Silos einschließen oder gar vernichten.“ So sei auch die DSGVO „gut gemeint“ gewesen, habe aber zu einem „digitalen Innovationsstau“ geführt.
VR4Kids by Coachcom GmbH: Erlebnisse ohne Hürden
VR4Kids ermöglicht mithilfe von Virtual Reality besondere Erfahrungen für Kinder mit Behinderungen.
Das Münchner Oktoberfest kennt jedes Kind. Doch nicht alle können es aufgrund von Entfernungen oder anderen Barrieren selbst vor Ort erleben. VR4Kids will insbesondere benachteiligten und behinderten Kindern und Jugendlichen ermöglichen, in die Wiesn-Welt einzutauchen – „inklusive Gebärdensprache, Mandelduft, Musik und Riesenrad“, wie Christoph Ostler erklärt.
Er ist Initiator von VR4Kids, einem Projekt der Münchner Agentur Connected Reality, deren Geschäftsführer Ostler ist. Durch den Einsatz einer Virtual-Reality-Brille kann das Oktoberfest überall ein Stück lebendig werden.
Perspektivwechsel mit VR
Weitere VR4Kids-Beispiele sind der Einsatz der Technologie für mehr Verkehrssicherheit oder für realitätsnahe Einblicke in die Arbeit von Rettungskräften. Ausgezeichnet wurde das Projekt in der CDR-Award-Kategorie „Verantwortungsvolle Innovationen“.
„Erlebnisse schaffen, die für viele Kinder mit Behinderungen oder Benachteiligungen sonst unerreichbar bleiben, dieses große Ziel verfolgt VR4Kids“, sagt Ostler. „Durch den gezielten Einsatz von Virtual Reality sollen emotionale, barrierefreie Erfahrungen ermöglicht werden – ob im Kultur-, Gesundheits- oder Bildungsbereich.“
VR4Kids mache Inklusion sichtbar und spürbar. „Die jungen Nutzerinnen und Nutzer erleben nicht nur Videos, sondern echte Perspektivwechsel“, sagt Ostler. Das Konzept verbinde technologische Expertise mit sozialer Verantwortung.
Intuitiv durch Blicksteuerung
VR4Kids nutzt aktuelle Hardware wie Meta Quest 3 und Pico 4 sowie eigens entwickelte Software. „Die Lösungen sind standortunabhängig, also ideal für Schulen, Kliniken, Unternehmen und Events aller Art“, so Ostler. Durch 360-Grad-Produktionen mit Blicksteuerung entstehe eine intuitive Bedienbarkeit ohne technische Hürden. „Es ist für nahezu alle Altersgruppen und Fähigkeiten geeignet.“
Seit der ersten Veröffentlichung im Juni 2024 wurden über 100 Einsätze realisiert. Partnerschaften bestehen laut Ostler unter anderem mit dem Gehörlosenverband München, dem Gewinn-Sparverein der Sparda-Bank München e.V., dem Oktoberfest sowie Unternehmen wie BMW und Allianz.
mindscreen GmbH: Barrierefreiheit auf dem Prüfstand
Die mindscreen GmbH hat eine Plattform entwickelt, die beim professionellen Check von Barrierefreiheit hilft.
„Corporate Digital Responsibility bedeutet für uns, Entscheidungen nicht nur nach Effizienz oder Profit zu treffen, sondern auch nach ihrer Wirkung. Sie betrifft die Menschen, die unsere Produkte nutzen, die Mitarbeitenden in unserem Team, aber auch den Markt und andere Unternehmen, die mit uns arbeiten.“ Das sagt Annett Farnetani, Geschäftsführerin der Münchner Digitalagentur mindscreen.
„Für uns heißt das: Produkte so zu entwickeln, dass sie zugänglich sind. Server so zu betreiben, dass Daten geschützt sind. Und Arbeitsplätze so zu denken, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen zusammenarbeiten können.“
„Verantwortung ist selten einfach.“
Die Stolpersteine bei CDR liegen ihrer Erfahrung nach darin, dass der Markt meist in eine andere Richtung schaue. „Er sucht nach schnellen, einfachen und glänzenden Lösungen. Aber so ist es nicht. Verantwortung ist selten einfach.“
Ausgezeichnet wurde das Unternehmen in der Kategorie „Digitales Wohlbefinden und Inklusion“ für CAAT (Computer Aided Accessibility Testing). Ursprünglich als internes Tool entstanden, hat es sich zu einer „europaweit eingesetzten Plattform entwickelt, die Auditoren und Unternehmen bei der professionellen Prüfung von Barrierefreiheit unterstützt“, erläutert Farnetani.
Digitaler Helfer übernimmt Feinarbeit
Die mindscreen-Software vereinfache eine bisher kleinteilige und oft mühsame Arbeit: „Sie hilft, digitale Produkte nach internationalen Standards zu prüfen, Probleme nachvollziehbar zu dokumentieren und aussagekräftige Berichte zu erstellen.“
Besonders wichtig ist Farnetani, „dass CAAT inklusiv genutzt wird. Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten mit der Software zusammen, bringen ihr Fachwissen ein und gestalten so die Qualität der Prüfungen.“
Damit sei CAAT nicht nur ein Werkzeug, sondern auch ein Beitrag „zu echter Teilhabe im Arbeitsmarkt“. Gleichzeitig befähige die Plattform Unternehmen und Menschen, ihre Expertise einzusetzen und sich weiter zu professionalisieren.