Digitalisierung | Standortpolitik

Mehr Service im Laden

Reidl ©
SB-Terminal im Laden – Geschäftsführer Richard Reidl setzt in seinem Werkzeug-Fachmarkt auf SB-Displays

Vom Selbstbedienungsterminal bis zum Tablet fürs Beratungsgespräch – digitale Lösungen helfen im stationären Einzelhandel, die Kundenbindung zu erhöhen und Prozesse effizienter zu gestalten.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 10/2022

Richard Reidl beobachtet immer wieder gern, wie das SB-Terminal mit 80-Zoll-Bildschirm neben der Bedientheke genutzt wird: »Gerade samstags bei Hochbetrieb, wenn mehrere Kunden an der Theke anstehen, um Teile zu ordern, kommt in der Regel ein Kunde auf die Idee, sich dieses Terminal doch einmal anzuschauen und seine Bestellung dort über den Touchscreen einzugeben«, sagt der Geschäftsführer der Reidl GmbH & Co. KG, die in ihrem Fachmarkt in Hutthurm Produkte für Arbeitsschutz, Eisenwaren und Werkzeug verkauft. »Und wenn der Kunde am Terminal sich dann freut, dass ihm das problemlos und schnell gelungen ist, interessieren sich auch die anderen Wartenden für dieses Angebot.«

Wie unkompliziert Käufer bei Reidl ordern können, zeigt sich auch an der Bedientheke: Dort wird das Display, in das die Mitarbeiter die Bestellungen eingeben, gespiegelt, sodass die Kunden den gesamten Prozess mitverfolgen können. »Manchem kommt dabei der Gedanke, dass er das auch im Alleingang zu Hause machen kann«, berichtet Geschäftsführer Reidl. »Das hat den Effekt, dass immer mehr Kunden die benötigten Produkte daheim selbst heraussuchen, bestellen und dann bei uns abholen.«

»Akzeptanz digitaler Lösungen deutlich gestiegen«

Beschleunigte Prozesse, zusätzliche Services, schnell und überall verfügbare Informationen – viele Kunden erwarten dies auch im stationären Laden. »Da während der Pandemie sehr viele Menschen Erfahrungen mit Onlineshopping gemacht haben, sind die Ansprüche und die Akzeptanz digitaler Lösungen deutlich gestiegen«, beobachtet Johann Faltermeier (35), Senior Consultant bei der ibi research an der Universität Regensburg GmbH.

Mit Digitalisierungsstrategie zum Erfolg

Damit die Digitalisierung ein Erfolg wird, empfiehlt der Experte Firmen, zunächst eine Digitalisierungsstrategie zu formulieren und dabei zentrale Fragen zu beantworten wie etwa: Wollen wir einen weiteren Vertriebskanal erschließen? Steht die Neukundengewinnung im Vordergrund? Wollen wir Kunden durch positive Erlebnisse und zusätzliche Dienstleistungen binden? Stimmt die generelle Ausrichtung, können digitale Lösungen das Geschäft spürbar stärken.

 Rund zwei Drittel des Umsatzes online

So erwirtschaftet der Fachmarkt Reidl mittlerweile rund zwei Drittel des Umsatzes online, Tendenz steigend. »Vor fünf Jahren waren es erst um die 50 Prozent. Corona hat unserem Onlinegeschäft noch mal richtig Schub gegeben«, sagt Geschäftsführer Reidl. Dennoch setzt er nach wie vor auf den stationären Handel. Bei der Einrichtung und Ausstattung des 2010 neu gebauten Ladengeschäfts achtete der 51-Jährige nicht nur auf eine attraktive Architektur, die eine interessante Präsentation des Sortiments zulässt. »Mit zahlreichen digitalen Medien haben wir quasi auch den Onlineshop in unsere Räume geholt.«

24-Stunden-Verkaufszone für VIP-Kunden

Neben dem SB-Terminal gibt es viele weitere Displays, auf denen Kunden Preise und Produkteigenschaften abfragen und Erklärvideos ansehen können. Per Chipkarte haben rund 150 VIP-Kunden Zutritt zur 24-Stunden-Verkaufszone, einem abgetrennten Teil des Ladens, in dem die 800 wichtigsten Artikel vorgehalten werden.

Die Käufer scannen die gekauften Waren selbst und bezahlen nach Rechnungsstellung. »Das war ein Azubiprojekt, das wir schon vor gut zehn Jahren realisiert haben. Amortisiert hat es sich bereits nach einem Jahr«, sagt Reidl, der großen Wert darauf legt, seine Mitarbeiter in Digitalisierungsprojekte einzubinden.

»Mitarbeiter bei Digitalisierung im Handel zentraler Erfolgsfaktor«

Zu diesem Vorgehen rät auch Experte Faltermeier. »Die Mitarbeiter sind bei der Digitalisierung im Handel ein zentraler Erfolgsfaktor.« Bei der Umsetzung der digitalen Strategie sollten Unternehmer aus Kundensicht überlegen, welche Lösungen infrage kommen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Das Know-how des Teams kann hier genauso hilfreich sein wie bei der Analyse der davon betroffenen Prozesse und der erforderlichen Veränderungen. »Dabei gilt es auch zu überprüfen, ob tatsächlich ausreichend Zeit und Budget zur Verfügung stehen«, sagt Faltermeier. Erst danach sollte die geeignete technische Lösung ausgewählt werden – mit Fokus auf dem Mehrwert für den Kunden.

Digital-Signage-Lösungen und Self-Check-outs

Die Palette an Tools und Lösungen für klassische Ladengeschäfte ist inzwischen groß. Es gibt unter anderem digitale Ladenregale oder Kiosksysteme, mit denen der Handel Produkte zeigen und anbieten kann, die nicht physisch auf der Fläche zur Verfügung stehen, aber bestellt werden können. Bei Digital-Signage-Lösungen handelt es sich um Bildschirme, die auf der Verkaufsfläche digitale Bilder, Videos, Angebote oder auch Werbung zeigen. Auch Self-Check-outs, bei denen die Kunden quasi in Selbstbedienung bezahlen, lassen sich relativ unkompliziert realieseren.

Vielleicht sind aber auch Smart Mirrors, auf denen sich beim Anprobieren in Bekleidungsgeschäften zusätzliche Produktinformationen einblenden lassen, oder kleine Roboter, die Kunden im Laden zu den gewünschten Produkten führen, eine gute Lösung. Zur Information vor dem Kauf können auf der Website des Geschäfts Live-Video-Chats oder ein virtueller 360-Grad-Rundgang im Ladengeschäft installiert werden. Einen guten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten, die auch für kleinere und mittlere Händler geeignet sind, bietet das Mittelstand-Digital Zentrum Handel (siehe Kasten unten).

Tablets für alle Mitarbeitenden

Bei der Möbel Fischer GmbH aus Herzogenaurach haben sich Tablets für alle Mitarbeitenden im Verkauf sowie für die Teams in Schreinerei, Deko und Montage bewährt. »Aktuell kommen wir auf nahezu 50 Tablets«, sagt Prokurist Tim Bauer (32). So können die Beschäftigten jederzeit Informationen zu Produkten und Warenverfügbarkeit abrufen oder Kunden im Beratungsgespräch die individuell zusammengestellten Küchen oder Wohnwände gleich in 3-D zeigen.

Darüber hinaus investierte das Möbelhaus vor Corona in ein einfach zu bedienendes Modul zur Vereinbarung von Beratungsterminen über die Website. Das Tool war während der pandemiebedingten Zutrittsrestriktionen extrem wertvoll und ist immer noch sehr beliebt: »Im Bereich Küche vereinbaren mittlerweile neun von zehn Kunden vorab online einen Termin«, sagt Bauer. »Schließlich handelt es sich um beratungsintensive Produkte, bei denen man sicher sein möchte, dass Berater oder Beraterin ausreichend Zeit haben.« Für den Kauf von Sofa, Schrank oder Schreibtisch kommen die Kunden hingegen weiter meist ohne Termin ins Möbelhaus.

Corona als Katalysator

»Grundsätzlich bemerken wir seit Jahren eine stetig zunehmende Bereitschaft der Endkunden, digitale Lösungen in Anspruch zu nehmen«, so Bauer. »Corona war in jedem Fall noch einmal ein Katalysator dafür.« Nach den Lockdowns habe sich aber auch gezeigt, dass Kunden nach wie vor großen Wert auf das persönliche Einkaufserlebnis vor Ort legen. »Unsere Strategie war deswegen schon immer, das Beste aus beiden Welten zu verbinden und das stationäre Geschäft durch die Möglichkeiten der Digitalisierung zu stärken.«

Digitalisierung – Anregungen und Infos für Händler

Digitale Champions: 2020 und 2021 wurden kleine und mittelständische Einzelhändler, die erfolgreiche Digitalisierungsprojekte umgesetzt haben, als »Digitale Champions im bayerischen Einzelhandel« ausgezeichnet. Auch der hier vorgestellte Werkzeugfachhändler Reidl sowie das Möbelhaus Fischer gehören dazu.

Die Präsentation der Gewinner bietet praxisgerechte Inspirationen und handfeste Tipps, die auch für andere Händler nützlich sind. Eine Neuauflage des Wettbewerbs, den das Bayerische Wirtschaftsministerium initiiert hat, ist für 2023 geplant und soll auch den Großhandel einbeziehen.

www.digitale-champions.bayern

DigitalNavi Handel: Einen sehr guten Überblick über Einsatzgebiete, Kosten und Nutzen verschiedener digitaler Tools für den Einzelhandel verschafft das »DigitalNavi Handel« des Mittelstand-Digital Zentrums Handel:

www.kompetenzzentrumhandel.de/ digitalnavi-handel

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