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WhatsApp für Logistiker

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Wo ist die Ware? Eine Plattform soll Infos zur Lieferkette für alle Beteiligten sichtbar machen

Cloud Lösung: In vielen Lieferketten kommt es zu Schnittstellen- und anderen Anbindungsproblemen. Das Tutzinger IT-Unternehmen Lobster geht dieses Problem an.

Von Stefan Bottler, IHK-Magazin 05-06/2023

Wer Rohstoffe und Komponenten aus aller Welt bezieht, wünscht sich krisenfeste Lieferketten. Während der vergangenen Jahre haben allerdings wiederholt spektakuläre Ereignisse weltweite Engpässe verursacht. Im März 2021 blockierte zum Beispiel die Havarie des Containerriesen „Ever Given“ im Suezkanal mehrere 100 Schiffe, im Frühjahr und Sommer 2022 legte der Lockdown in Shanghai und anderen chinesischen Häfen Produktion und Logistik vieler Unternehmen lahm.
 
Auch im Kleinen hakt es oftmals. Wenn Teilnehmer von Supply Chains Sendungs- und andere Daten austauschen wollen, können sie mit anderen Beteiligten in der Lieferkette häufig nicht oder nur auf Umwegen Kontakt aufnehmen. Weil viele Unternehmen über besondere Schnittstellen angebunden werden müssen, ist eine direkte Kommunikation nicht möglich.

Ziel: Reibungslose Supply Chains

Mit solchen halbfertigen Lösungen wollen sich immer weniger Lieferanten und deren Kunden abfinden. „Das Interesse an IT-Produkten, die reibungslose Supply Chains sicherstellen, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, sagt Niko Hossain (41), Geschäftsführer der Plattform Lobster Logistics Cloud GmbH. Viele Unternehmen wünschten sich Produkte, die Risiken für Lieferketten möglichst früh identifizieren, deren Schwachstellen vorzeitig beseitigen und ansonsten mit allen gängigen Standards und Formaten arbeiten.

Lobster Logistics Cloud

Diese letzte Anforderung hat die Lobster Logistics Cloud in den Blick genommen. Das Unternehmen gehört zur Lobster-Gruppe, die sich mit mehr als 250 Beschäftigten auf betriebsspezifische IT-Lösungen für Datenintegration und digitale Automatisierungen spezialisiert hat.

Das Unternehmen, das gerade eine neue Zentrale unweit des Tutzinger Bahnhofs bezogen hat, wurde 2020 vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft mit dem Preis „Bayerns Best 50“ für besonders wachstumsstarke Mittelstandsunternehmen ausgezeichnet. Seit Anfang 2023 gehört es mehrheitlich der nordeuropäischen Private-Equity-Gesellschaft FSN.

Plattform ohne Hürden

Die Tochter Logistics Cloud bündelt die Lobster-Kompetenzen für globale Transport- und Lagerlösungen. Auf der Plattform finden Unternehmen eine „WhatsApp für die Logistik“ (Hossain), welche die Teilnahme an nahezu jeder Supply Chain sicherstellen soll. Möglich macht dies die sogenannte No-Code-Technologie.

Die Lobster-Experten haben eine standardisierte Software mit grafischen Benutzeroberflächen entwickelt, die so gut wie alle eingehenden Daten verarbeiten und mit Echtzeit-Informationen anreichern kann. Spezifische Schnittstellen und sonstige Anpassungen sind nicht mehr notwendig. Auch klassische Programmierungen entfallen völlig. Jeder Business-Verantwortliche kann laut Hossain Prozesse konfigurieren. „Wir lösen komplizierte Dinge einfach“, versichert der frühere Lufthansa-Manager und Fraunhofer-Wissenschaftler.

Alle gängigen Daten

Auf Logistics Cloud können Anwender mit allen gängigen Daten arbeiten, die Sendungsverfolgung (Track and Trace), Internet der Dinge (IoT), Wetter- und Verkehrsdienste, Zollstellen und andere Quellen liefern. Nutzer haben Zugang zu allen Daten, die Geschäftspartner freigegeben haben, und können ihre eigenen Systeme uneingeschränkt weiter einsetzen.

Breite Nutzerbasis

Rund 150 Unternehmen verwenden das Tool bereits, darunter etwa 70 Logistikdienstleister. „Auf unserer Plattform agieren mittelständische Dienstleister auf Augenhöhe mit großen Industrie- und Handelsunternehmen“, freut sich Hossain. Vor allem für Unternehmen mit hohen Datenvolumina sei Logistics Cloud attraktiv.

Außer Kurier-, Express- und Paketunternehmen (KEP-Branche) nutzen Lebensmittellogistiker, die temperaturempfindliche Sendungen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften permanent überwachen müssen, die Plattform. Auch Luftfrachtunternehmen wie Lufthansa Cargo AG machen mit. Die Konzerntochter war mit dem Autozulieferer Schaeffler AG und dem Medizintechnikhersteller Siemens Healthineers AG treibende Kraft bei der Gründung von Logistics Cloud.

Integration in weitere Lösungen

Alle drei Unternehmen sind auch wegen der hohen Zahl ihrer Geschäftspartner an einfachen Lösungen für Lieferketten interessiert. Mittlerweile wollen auch Anbieter von Logistiksoftware wie der Münchner Spezialist für die letzte Meile, tiramizoo GmbH, Logistics Cloud in ihre Lösungen integrieren.

Unternehmensbeispiel: Numi Solutions GmbH
KI ermittelt drohende Engpässe

Wer eine Lieferkette aufbaut, sollte sie regelmäßig überprüfen und ihre Leistung mit Best Practices vergleichen. „Viele Supply-Chain-Betreiber planen für 12 bis 18 Monate“, sagt Stefan Gaubatz (33), Gründer des Münchner Start-ups numi solutions GmbH und früherer Unternehmensberater. „Die Lockdowns während der Coronapandemie haben jedoch gezeigt, dass gravierende Veränderungen sehr kurzfristig eintreten können.“

Ausfälle vermeiden

Viele Unternehmen werden kalt erwischt, wenn Komponenten wegen Rohstoffengpässen, großer Nachfrage oder unzuverlässiger Lieferanten auszufallen drohen. Die Software des Start-ups soll hier für Abhilfe sorgen. Sie arbeitet mit künstlicher Intelligenz (KI), checkt anhand von Daten vor allem aus Enterprise Ressource Planning (ERP)-Systemen, wo kurzfristig Engpässe drohen. Anschließend optimiert sie Kennzahlen und gibt Handlungsempfehlungen für künftige Bestände und Servicelevels.

Verfügbarkeiten prüfen

„Vor allem Onlinehändler und Anlagenbauer haben mit numi Vorteile“, meint Gaubatz. So prüft zum Beispiel das Maschinenbauunternehmen Bauer AG in Schrobenhausen vor der Fertigung einer neuen Baumaschine die Verfügbarkeit aller benötigten Komponenten – und das sind häufig Tausende von Elementen.

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