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Do-it-yourself-Software

Wittmann Entsorgungswirtschaft ©
Eigene Apps für den Fuhrpark – Entsorger Wittmann nutzte dafür vorgefertigte Softwarebausteine

Mit sogenannten No-Code- und Low-Code-Lösungen können auch Beschäftigte ohne IT-Know-how Apps entwickeln. So funktioniert es.


Von Stefan Bottler, IHK-Magazin 09/2025

Abfahrtskontrollen, Fahrtenbücher, Schadensberichte. An jedem Einsatztag müssen die Fahrer der Wittmann Entsorgungswirtschaft GmbH in Gräfelfing Protokolle anfertigen. Jahrelang haben sie Vordrucke auf Papier ausgefüllt und diese einmal in der Woche ihren Vorgesetzten übergeben. Häufig konnten diese jedoch die Inhalte nicht nachvollziehen, weil die Eintragungen mehrere Tage alt waren oder Lücken aufwiesen.

Solche Vorkommnisse gehören der Vergangenheit an. „Die Berichterstattung rund um den Fuhrpark läuft jetzt komplett über Apps“, freut sich Andreas Knorr, IT-Leiter bei Wittmann. Die Fahrer geben Daten auf betriebseigenen Tablets nach einer Zugriffskontrolle ein und übertragen sie dann ins Enterprise Resource Planning (ERP)-System. Wenn sie beispielsweise Abfahrtskontrollen schreiben, müssen sie die zu prüfenden Fahrzeugteile erst mit einem QR-Code scannen. Der Clou: Die Fahrer arbeiten mit Apps, die 2 Angestellte mit No-Code-Technologie entwickelt haben. Dazu nutzten die beiden fertig programmierte Bausteine der Plattform smapOne.

Anwendung ohne Vorkenntnisse

„Mit smapOne realisieren wir Anforderungen, die unser ERP-System nicht abbilden kann“, sagt Knorr. „Auch ich baue mittlerweile kleinere Apps, die meinen Arbeitsalltag erleichtern.“ Heute arbeitet der Entsorgungsdienstleister mit 18 Apps, die vor allem das Fuhrparkmanagement unterstützen.

Wittmann ist kein Einzelfall: Während der vergangenen Jahre haben sich No-Code- beziehungsweise Low-Code-Lösungen als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Programmierungen verbreitet. IT-interessierte Mitarbeiter stellen automatisierte Workflows ohne Programmier-Know-how (No-Code) beziehungsweise mit geringem Basiswissen (Low-Code) her. Sie nutzen fertige Vorlagen und fügen diese zu Apps zusammen. Bei No-Code ist dies ohne zusätzliche Programmierung möglich, bei Low-Code sind geringfügige Anpassungen notwendig. Der Vorteil: Unternehmen können so intern Digitalisierungsprojekte angehen, selbst wenn gerade nicht genügend ausgewiesene IT-Fachleute zur Verfügung stehen.

Hilft bei IT-Fachkräftemangel

Rund ein Dutzend Plattformen laden zum Software-Bauen ein. Außer der 2014 gegründeten smapOne AG in Hannover, die viele mittelständische Unternehmen als Kunden hat, gibt es Appsheet von Google Cloud, Power Platform von Microsoft und AppGyver für SAP-basierte Apps. Als internationaler Marktführer hat sich die amerikanische Plattform ServiceNow durchgesetzt, die seit einem Jahr eine Niederlassung in München hat. Auch mittelständische IT-Unternehmen haben mit No-Code-Angeboten Erfolg. Ein Beispiel ist die Lobster GmbH. Das Tutzinger Unternehmen realisiert betriebsspezifische Plattformen für Industrie-, Handels- und Logistikfirmen.

Zahlreiche Anbieter haben ihr Portfolio in den vergangenen Jahren ausgebaut und branchenspezifische Plattformen mit Workflows für wichtige Betriebsprozesse entwickelt. Weil viele Plattformen mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, können sie Automatisierungen präzise auf den jeweiligen Anwender ausrichten. Ihre Lösungen werden auch wegen des Fachkräftemangels in der IT-Branche verstärkt nachgefragt. Rund 149.000 Stellen sind unbesetzt, ermittelte 2024 eine Studie des Branchenverbands Bitkom.

2 Dutzend Standardbausteine

„Viele IT-Abteilungen haben nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels bereits mit der Digitalisierung der Kernprozesse zu kämpfen“, sagt Sven Zuschlag, Geschäftsführer von SmapOne. „Wie sollen sie eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie auf die Beine stellen und gleichzeitig kleinere, aber zeitaufwendigere Routineaufgaben erledigen?“ Sein Unternehmen hat sich auf Vorlagen für operative Alltagsprozesse spezialisiert.

IHK-Info: Webinar-Mitschnitt „Die Idee von Low- und No-Code“

Wie finden Unternehmen passende digitale Werkzeuge? Darüber sprechen Karsten Noack, Vorstandsvorsitzender des Low-Code Association e.V., und Tanja Löslein von der Magic Software Enterprises Deutschland GmbH im Mitschnitt des „Pack ma‘s digital“-Webinars „Die Idee von Low- und No-Code“.

Das Spektrum reicht von A wie Abliefernachweis bis Z wie Zollbestimmungen. Die meisten Vorlagen werden aus rund 2 Dutzend Standardbausteinen unter anderem für Code Scanning, Kameraaufnahmen, Texteingaben, Unterschrift oder Positionsbestimmung zusammengesetzt. Mit automatischer Texterkennung, Bildanalysen oder Prognosemodellen sollen Mitarbeiter in Zukunft auch vergleichsweise anspruchsvolle und komplexe Anwendungen realisieren.

Nicht für komplexe Prozesse

Vor allem mittelständische Unternehmen stehen vor der Frage, welche Anwendungen sie mit No-Code beziehungsweise Low-Code umsetzen und welche sie weiterhin an professionelle IT-Kräfte vergeben sollen. Vor überzogenen Erwartungen an ihre Lösungen warnen die Plattformen selbst. Mit ihrer IT-Technologie können vor allem „repetitive und monotone Aufgaben standardisiert und automatisiert werden“, heißt es etwa bei smapOne. Für komplexe Prozesse sind die Do-it-yourself-Lösungen demnach meist nicht geeignet.

Wichtig: Verständnis für Prozesse

Unternehmen sollten außerdem die Mitarbeiter, die No-Code- oder Low-Code-Lösungen entwickeln, sorgfältig auswählen. Gesucht werden „Kreatoren“, die über IT-Begeisterung hinaus mit weiteren Eigenschaften überzeugen müssen. An Soft Skills wie Problemlösungskompetenz und Lernbereitschaft führe kein Weg vorbei, meint Lobster-Geschäftsführer Niko Hossain: „Ein Verständnis für Geschäftsprozesse und die Fähigkeit, Anforderungen klar zu definieren und zu kommunizieren, sind ebenso essenziell wie Kreativität und Innovationsgeist.“

Mitarbeitende ziehen begeistert mit

In der Praxis zeigt sich, dass Unternehmen oft genügend Mitarbeiter motivieren können, die mit großer Begeisterung an die neue Aufgabe herangehen. Diese Erfahrung machte zum Beispiel die Alzchem Group AG in Trostberg. Das Chemieunternehmen sprach rund 40 jüngere Mitarbeitende an. Viele hatten bereits vorher Digitalprojekte unterstützt und entwickeln jetzt selbst Lösungen für Sicherheitschecks, Verladelisten und andere Prozesse.

Zudem legte Alzchem Freigabeprozesse fest. Wenn die neuen Apps in Trostberg eingesetzt werden, reicht die Zustimmung der Fachabteilung. Wenn sie auch an anderen Standorten zum Zuge kommen sollen, muss ein konzernweiter Master Account die Freigabe erteilen. Geprüft wird unter anderem, ob die Apps in bestehende Systeme integriert werden können. Denn darauf will kein Anwender verzichten.

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