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Smarte Hilfe
Mit Softwarelösungen können Unternehmen ihren gesetzlichen Pflichten im Bereich Nachhaltigkeit leichter nachkommen und ihre Entwicklung beschleunigen. Ein Überblick.
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 07-08/2023
„Ohne Softwareunterstützung hätte ich als One-Woman-Show, die ich seinerzeit war, die nachhaltigen Ansprüche unseres Unternehmens gar nicht umsetzen können“, sagt Alina Schneider (28). Sie ist Marketingchefin und Nachhaltigkeitsverantwortliche der Ulmer Public Cloud Group GmbH, die auch einen Standort in München hat. Das erst 2021 gegründete Unternehmen ist auf Cloudlösungen spezialisiert. „Wir wollten unsere Firma von Anfang an nachhaltig und klimaneutral aufstellen, das war unser erklärtes Ziel“, so Schneider.
Doch einerseits mangelte es zunächst an spezifischem Nachhaltigkeitswissen. Andererseits musste die Public Cloud Group vom Start weg ein rasantes Wachstum managen, brauchte Zeit und Personal vor allem dafür. Schließlich entschied die Geschäftsleitung, den Nachhaltigkeitsprozess inhaltlich und organisatorisch durch eine passende Software zu unterstützen. „Seitdem kommen wir gut voran“, freut sich Schneider.
Mit Software effizienter berichten
Immer mehr Unternehmen machen das ähnlich. Die zunehmende Regulierung etwa durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die anstehende Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern lassen die Nachfrage nach Nachhaltigkeitssoftware wachsen. Aber auch nicht berichtspflichtige Betriebe, die von Auftraggebern in die Mitverantwortung genommen werden oder aus Überzeugung einen freiwilligen Beitrag leisten möchten, profitieren von der smarten Hilfe.
„Bestandsaufnahme, Maßnahmen und Messergebnisse lassen sich natürlich auch in Excel-Listen abbilden und analysieren“, meint Philipp Poferl (41), Bereichsleiter International beim Beratungsunternehmen Arqum GmbH in München. „Eine Software arbeitet aber weitaus schneller, zielgerichteter und komfortabler. Sie macht die Daten transparenter, vergleichbarer, kompatibler und lernt mit.“
Allrounder- oder Speziallösung?
Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Softwarelösungen. Eine vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studie, an der Poferl mitgearbeitet hat, wertete die Angebote im Dezember 2022 aus. Generell können zwei Softwareansätze unterschieden werden:
- Allrounder-Software unterstützt alle inhaltlichen Bereiche des Nachhaltigkeitsmanagements und zudem die Berichterstattung, indem sie die Kriterien der gesetzlichen Berichtspflicht abbildet und den Bericht vorbereitet.
- Speziallösungen fördern die Nachhaltigkeit in einzelnen Bereichen wie Beschaffung, Produktdesign sowie beim Energie- oder Lieferkettenmanagement.
Rein technologisch nutzen die Entwickler alle gängigen und innovativen Ansätze von Mobile Computing und Apps über intelligente Sensorik und Robotik bis hin zu Blockchain und künstlicher Intelligenz (KI).
Mit Bedarfsanalyse starten
Wie sollten Unternehmen bei der Softwaresuche vorgehen? Frank Kermann (42), Referent der Geschäftsstelle des Umweltgutachterausschusses (UGA) beim Bundesumweltministerium in Berlin, rät, mit einer Bedarfsanalyse zu starten: Wo stehen wir im Unternehmen? Wo wollen wir hin? Welche Maßnahmen kommen infrage?
Organisatorischen Aufwand einplanen
Experte Kermann sieht – neben der umfassenden Abbildung der gesetzlichen Anforderungen – zwei wesentliche Qualitätskriterien: Die Software sollte nicht zu kompliziert zu bedienen sein und den Aufwand etwa bei der Datenerhebung verringern, indem sie intelligente Schnittstellen schafft. Das kann ein automatischer Datentransfer etwa aus der Warenwirtschaft oder auch eine Projektmanagementlösung sein.
Arqum-Berater Poferl ergänzt: „Da der Markt noch jung ist, sollte außerdem die Resilienz des Anbieters geprüft werden – damit er nicht kurzfristig vom Markt verschwindet.“ Und noch einen Rat hält der Experte für Unternehmen bereit: „Eine Software einzuführen und zu nutzen, bedeutet immer auch organisatorischen und personellen Aufwand, der eingeplant werden muss.“
Kunden fordern Prüfungssicherheit und ...
Mit der cubemos GmbH und der VERSO GmbH sind zwei Allrounder-Software-Spezialisten aus München unter den Anbietern. Sie haben sich intensiv mit den Erwartungen und Anforderungen der Anwender auseinandergesetzt. „Viele Kunden bauen durch den Regulierungsschub das betriebliche Nachhaltigkeitsmanagement und -controlling gerade intensiv auf und aus. Sie wollen eine Software, die ihnen dieses vorstrukturiert, die Datenerhebung systematisiert und zugleich hilft, die Berichte zu schreiben“, erläutert cubemos-Geschäftsführer Christopher Scheubel (36).
Die Berichte selbst sollen prüfungs- und rechtssicher sein, die Software sollte Wirtschaftsprüfern also ermöglichen, „an jeder Stelle nachzuvollziehen und zu hinterfragen, wer was wie gemessen und zugeliefert hat“.
... leichte Einbindung aller Beteiligten
Auch Nuvia Maslo (35), Mitglied der Geschäftsführung bei VERSO, beobachtet, dass viele Firmen das Nachhaltigkeitsmanagement inklusive Berichterstattung derzeit vorantreiben: „Dabei schätzen Kunden in die Software integrierte Checklisten und aktuelle Praxisbeispiele, die ihnen helfen, schneller voranzukommen.“
Zudem wollen Nutzer, dass die Software „alle relevanten Abteilungen, die Daten für den Bericht zuliefern müssen, intelligent und einfach miteinander verknüpft“: Die Nachhaltigkeitsverantwortlichen fordern über die Software die Daten an. Die Abteilungen speisen sie ein. Im Anschluss hilft das Tool, die Daten zu analysieren, gemeinsam zu bearbeiten und den Bericht zu verfassen.
IT-Schnittstelle unterstützt Prozess
Ein Beispiel für eine Speziallösung bietet die Münchner Integrity Next GmbH. Ihre Software unterstützt das Sorgfaltspflichtenmanagement in der Lieferkette. Manch ein Unternehmen hat bis zu 20.000 Zulieferer. Selbst Mittelständler verfügen oft über mehrere Tausend Lieferanten. „Da fällt es schwer, für jeden einzelnen menschenrechtliche Risiken zu ermitteln und zu managen“, erläutert Geschäftsführer Martin Berr-Sorokin (56). „Eine Software hilft – insbesondere, wenn sie eine IT-Schnittstelle zur Warenwirtschaft vorsieht. Denn dann wird jeder einzelne gelieferte und zu prüfende Posten automatisch aus dem ERP-System in die Nachhaltigkeitssoftware eingespielt. Er kann bei den internationalen Prüfstellen sauber gegengecheckt und rechtssicher validiert werden. Nichts fällt durchs Raster.“
Potenziale erkennen, Flow erleben
Entscheidend bei der Auswahl der Software ist die Zielstellung: Da Marketingchefin Schneider von der Public Cloud Group alle Facetten der Nachhaltigkeit berücksichtigen möchte, fühlt sie sich durch eine Allrounder-Software gut unterstützt. Im Januar 2023 veröffentlichte der 350-Mitarbeiter-Betrieb den ersten freiwilligen Nachhaltigkeits- und Klimabericht. Durch die digital vorstrukturierte Datenerhebung und -analyse habe die Firma viel schneller erkennen können, wo sie steht, wo Maßnahmen erforderlich sind – und wo nicht.
Als Beispiel führt Schneider den CO2-Fußabdruck an: „Alle unsere Beschäftigten zusammen verbrauchen im Jahr nicht einmal ein Paket Druckerpapier. Den Bereich Papier können wir getrost ignorieren.“ Bei der Mobilität hingegen gelte es, CO2 zu reduzieren. Daher stellt die Public Cloud Group komplett von Hybrid- auf E-Autos um. „Die Software gibt uns viel vor und lässt uns viel lernen. So kommen wir schneller zum Wesentlichen und erzielen mehr Wirkung“, sagt Schneider.
Auch sieht sie die Software bei ihr im Marketing an der richtigen Stelle angesiedelt: „Nachhaltigkeit lebt von der Kommunikation, vom Flow, vom bereichsübergreifenden Denken und Handeln – wie auch das Marketing selbst. Es ist daher die perfekte organisatorische Schnittstelle.“
Voneinander lernen, Erfolge steigern
Anders organisiert ist dies bei der Münchner HERMES Arzneimittel Holding GmbH. Die Gruppe mit vier Gesellschaften und rund 1.000 Mitarbeitenden nutzt ebenfalls eine Allrounder-Software. Gesteuert wird diese von der IT-Abteilung. Weil dort die technische Kompetenz sitzt und „weil die IT in ihrer zentralen Funktion automatisch mit allen Gesellschaften und Abteilungen der HERMES Group im direkten Kontakt steht“, erläutert IT-Leiter Frank Hemmers (53). „Durch diese Rolle können wir alle gleichermaßen einbinden. Hinzu kommt, dass ich persönlich das Thema Nachhaltigkeit gern übernehmen wollte.“
Die einzelnen HERMES-Gesellschaften sind im Nachhaltigkeitsmanagement unterschiedlich weit vorangeschritten. Die inhaltlichen Schwerpunkte seien jeweils recht verschieden, so Hemmers. „Die Anforderungen der Software helfen, gruppenübergreifend den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, systematischer zu werden und den Grad der Professionalisierung nach und nach anzugleichen.“ Das erfordere viel Kommunikation.
„Voneinander lernen und sich begeistern“
„Wir tauschen uns innerhalb des Teams, das aus Mitarbeitenden aller Gesellschaften zusammengestellt ist, intensiv aus. Wir lernen viel voneinander, motivieren und begeistern uns durch diesen Prozess wechselseitig und steigern damit auch die Nachhaltigkeitserfolge.“ Hemmers Fazit: „Die Software macht die Umsetzung strukturierter, schneller und wirksamer.“
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