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Unerwartete Hürden

E-Commerce international: Um ihre Plattform für den An- und Verkauf von gebrauchten Nutzfahrzeugen zu starten, mussten die truckoo-Gründer einige Hindernisse bewältigen.
Von Eva Elisabeth Ernst, IHK-Magazin 05-06/2023
Eigentlich sah der Businessplan der truckoo GmbH vor, dass das Firmenteam in den ersten Monaten nach der Gründung potenzielle Werkstattpartner persönlich kennenlernt. Denn ein flächendeckendes Werkstattnetz spielt bei der Plattform für An- und Verkauf gebrauchter Nutzfahrzeuge eine Schlüsselrolle.
Doch das gestaltete sich eher schwierig: truckoo wurde im Januar 2020 ins Handelsregister eingetragen, nur wenige Wochen später begann der erste Coronalockdown. „Nutzfahrzeugwerkstätten galten zwar als systemrelevant und mussten nicht schließen. Aber trotzdem war es ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um Werkstattunternehmer davon zu überzeugen, sich mit einem bislang unbekannten Start-up zu beschäftigen“, erinnert sich Julia Unützer.
Sprösslinge einer Lkw-Händler-Familie
Die 32-Jährige hat truckoo gemeinsam mit ihrem Bruder Max Füchsl (34) gegründet. Beide haben ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert und waren unter anderem in verschiedenen Start-ups tätig. Mit dem klassischen Nutzfahrzeuggeschäft sind sie von Kindesbeinen an vertraut: Sie stammen aus einer Lkw-Händler-Familie. Das Familienunternehmen in Oberschleißheim bei München wird derzeit in zweiter Generation von ihrem Vater geführt. Daher kannten sie auch die große Herausforderung beim Handel mit gebrauchten Nutzfahrzeugen: „Viele Interessenten waren bislang gezwungen, weit zu reisen, um sich ein Fahrzeug anzuschauen und den Preis zu verhandeln“, sagt Unützer. Denn ausgemusterte Lkws aus deutschen Flotten werden in der Regel nach Süd- und Osteuropa, mitunter auch bis in den Mittleren Osten und nach Afrika verkauft.
Werkstatt-Check für Transparenz
Natürlich gibt es längst Onlineplattformen, auf denen auch gebrauchte Nutzfahrzeuge angeboten werden. Doch das Hauptproblem bleibt: Allein mit den Informationen, die der Verkäufer dort einstellt, lässt sich der Zustand des Fahrzeugs nicht zuverlässig beurteilen. Hier setzt truckoo an. „Wir garantieren die transparente Darstellung der Fahrzeuge und übernehmen Kommunikation plus Abwicklung der Transaktion“, erklärt Unützer.
Kern des Geschäftsmodells ist die umfassende Überprüfung jedes Fahrzeugs durch einen Werkstattpartner. Dabei handelt es sich in der Regel um inhabergeführte Nutzfahrzeugwerkstätten, die auch von Prüforganisationen wie TÜV oder Dekra anerkannt werden. „Die Meister haben unsere truckoo-App auf ihrem Handy, die je nach Fahrzeugtyp genau vorgibt, was überprüft werden soll“, erläutert Unützer. „Bei einem Kran sind das natürlich andere Kriterien als bei einer Sattelzugmaschine.“
Strikte Vorgaben
Der Fahrzeugcheck ist kostenlos. Nach dem erfolgreichen Verkauf des Fahrzeugs erhält die Werkstatt eine Provision. Das Risiko, dass Ergebnisse zu positiv dargestellt werden, um Transaktionen zu beschleunigen, sieht Unützer nicht: „Unsere Vorgaben sind sehr strikt.“ Zudem ist die Werkstatt in der Regel auch der Übergabeort des Fahrzeugs, sodass Fehlurteile schnell auffallen würden.
Online-Gebote sparen Zeit
Die Ergebnisse der Überprüfung übermittelt die Werkstatt an die Plattform. Die bislang rund 300 registrierten internationalen Handelspartner ersparen sich dadurch persönliche Besichtigungstermine und können ihre Gebote online abgeben. Der Verkäufer entscheidet, welches Gebot er annehmen möchte. „Der schnellste Verkauf auf unserer Plattform ging binnen acht Minuten über die Bühne“, so Unnützer. Die Transaktionsgebühr für truckoo trägt der Käufer.
Partnersuche im Lockdown
Als die Akquise von Partnerwerkstätten durch die Lockdowns erschwert wurde, passte truckoo seine Pläne an, verschob aber nicht den Starttermin: Im April 2020 begann das Unternehmen zunächst mit 5 Nutzfahrzeugbetrieben. Soweit es die Pandemie zuließ, wurden nach und nach weitere Werkstätten an Bord geholt. Mittlerweile ist das Netz mit 220 Partnern in Deutschland flächendeckend gespannt. Allerdings gab es noch weitere coronabedingte Hürden zu bewältigen. So war zum Beispiel der Fahrzeugexport durch die Grenzschließungen schwierig und zeitweise komplett unmöglich.
Engpässe durch Chipmangel und Abwrackprämie
Doch bei diesen Schwierigkeiten blieb es nicht: truckoo ist indirekt auch von den Engpässen in den Lieferketten betroffen. „Insbesondere durch den Chipmangel können seit über einem Jahr viele bestellte Neufahrzeuge nicht pünktlich ausgeliefert werden. Dadurch behalten die Flottenbetreiber ihre alten Fahrzeuge deutlich länger, wodurch wiederum der Nachschub für den Gebrauchthandel fehlt“, sagt Unützer.
Für eine weitere Verknappung bei älteren Modellen sorgte eine Abwrackprämie für schwere Nutzfahrzeuge, die 2021 eingeführt wurde: Anstatt ihre Altfahrzeuge weiterzuverkaufen, ließen viele Fahrzeughalter die Lkws verschrotten. Denn dann erhielten sie beim Erwerb eines schadstoffarmen fabrikneuen Modells einen einmaligen Zuschuss von bis zu 15.000 Euro.
Absatzmarkt Ukraine
Auch der Krieg in der Ukraine und die aktuelle Wirtschaftslage beeinflussen die Entwicklung von truckoo: „Seit Februar, März 2022 ist der Verkauf in die Ukraine erschwert. Nach Kriegsende sehen wir dort allerdings sehr große Absatzpotenziale, vor allem für Baufahrzeuge“, so Unützer. Krisenbedingte Insolvenzen und Geschäftsaufgaben hierzulande führten hingegen zu einem größeren Angebot an jüngeren Gebrauchten, die auch für den deutschen Markt interessant seien.
Expansion ins EU-Ausland
„Wir haben uns von all den unerwarteten Hürden aber nicht entmutigen lassen“, betont die Unternehmerin, „und seit der Gründung Transaktionen im hohen dreistelligen Bereich durchgeführt.“ Die genaue Zahl der Verkäufe über truckoo will sie nicht verraten; die Fahrzeuge gingen in 34 Länder in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika.
Noch arbeitet das Start-up, das etwa 20 Mitarbeiter beschäftigt, nicht profitabel. Doch die Zahl der Verkäufe über die Plattform wächst rasch. Derzeit planen Unützer und Füchsl die Ansprache potenzieller Verkäufer und Partnerwerkstätten in EU-Ländern außerhalb des deutschsprachigen Raums – und hoffen, dass die Expansion ohne weitere unvorhersehbare Bremsklötze realisiert werden kann.