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Gewichtige Partner: Die Mercosur-Staaten und die EU haben zusammen mehr als 770 Millionen Einwohner.

Wird das Mercosur-Abkommen ratifiziert, entsteht eine der größten Freihandelszonen der Welt. Das birgt enorme Geschäftschancen, gerade für Bayerns Mittelstand. Doch noch ist nichts entschieden.

Sabine Hölper, Ausgabe 12/20

Seit über 20 Jahren ist die BADER Gruppe aus dem süddeutschen Göppingen in Uruguay vertreten. Das mittelständische Unternehmen stellt am Standort Ciudad del Plata mit rund 450 Mitarbeitern Ledersitze für die Automobilindustrie her. Es beliefert von dort aus vor allem deutsche Unternehmen wie Daimler, BMW oder Volkswagen, aber auch Firmen in der Region und in Mexiko.
Willie Tucci, Geschäftsführer von BADER Uruguay, hofft schon lange, dass das geplante Mercosur-Abkommen endlich Realität wird. »Es ist für den Handel zwischen den beiden Blöcken sehr wichtig«, sagt er. »Es eröffnet der Wirtschaft weitreichende Chancen.«

Einigung beim Handel nach 20 Jahren Verhandlungen

Rund 20 Jahre lang haben die Europäische Union und der Mercosur, also die Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, über ein Freihandelsabkommen verhandelt. Im Sommer des vergangenen Jahres wurde zumindest eine Einigung über den Handelsteil erzielt. Das war ein entscheidender Schritt hin zum sogenannten Mercosur-Abkommen.

Wird es tatsächlich ratifiziert, entsteht eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 770 Millionen Einwohnern – 512 Millionen in der Europäischen Union und 260 Millionen im Mercosur. »Das Abkommen ist ein wichtiger Eckpfeiler für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit«, sagt Daniel Delatrée, Lateinamerika-Referent bei der IHK für München und Oberbayern. »Es eröffnet deutschen und EU-Unternehmen die Möglichkeit, an der weiteren Entwicklung der Märkte in Südamerika verstärkt teilzuhaben.« Das Freihandelsabkommen dürfte insbesondere kleinen und mittleren Firmen helfen, höhere Rechtssicherheit zu erzielen, da das Abkommen auch Vereinbarungen zum Schutz des geistigen Eigentums enthält.

Vor allem aber setzt der Vertrag ein nachhaltig positives Signal gegen protektionistische Tendenzen. Aktuell verhindern hohe Zölle in Höhe von vier Milliarden Euro pro Jahr einen effektiven Warenaustausch. »Die Ersparnis ist, sofern die Zölle wegfallen, entsprechend groß«, sagt der IHK-Experte.

Potenziale nicht voll ausgeschöpft

Das ist umso wichtiger, als die Mercosur-Staaten schon heute wichtige Absatzmärkte für die deutsche und bayerische Wirtschaft sind. Das Handelsvolumen zwischen ihnen und Deutschland belief sich 2019 auf 21,4 Milliarden Euro, rund 380 Milliarden Euro investierten EU-Unternehmen in die Mercosur-Länder. Doch wegen der gegenwärtigen tarifären und nicht tarifären Hemmnisse kann das Potenzial der Handels- und Investitionsbeziehungen nicht voll ausgeschöpft werden. »Daher ist das Freihandelsabkommen EU–Mercosur sehr im Sinne der bayerischen Wirtschaft«, sagt Gabriele Vetter, stellvertretende Bereichsleiterin International, Industrie und Innovation bei der IHK.

Ratifizierung unklar

Ob beziehungsweise wann das Abkommen ratifiziert wird – erst eine Ratifizierung bedeutet den Startschuss –, ist derzeit allerdings unklar. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte kürzlich, dass er »keine Perspektive« geben könne, »wie schnell oder wann« es in Kraft treten kann. Das werde »von den Handelsministern der EU besprochen«. Es gibt Gegenwind aus verschiedenen Richtungen, etwa von den »Agrarministern nahezu aller EU-Länder«, so Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU).

Verschiedene Sichtweisen

In Südamerika wiederum sehen die Gewerkschaften durch den Vertrag die »hochwertige Beschäftigung« vor Ort in Gefahr. Auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen bekämpfen das Abkommen. Sie befürchten vor allem eine Verschärfung der Klimakrise, da das Abkommen ihrer Ansicht nach keine wirksamen Vorgaben mache, wie Verstöße gegen Klimaschutzzusagen geahndet werden sollen. Das Abkommen legt jedoch hohe Standards für die gemeinsame Behandlung von Themen wie Umwelt oder Arbeitnehmerrechte fest. Für Brasilien etwa beinhaltet es eine Verpflichtung zur Bekämpfung der Entwaldung. Zudem steht grundsätzlich, unbenommen aller Details, fest: »Freihandel garantiert Leistungsfähigkeit und Wohlstand«, so IHK-Expertin Vetter. Die Coronakrise zeige ja gerade, wie Einschränkungen im Welthandel zu Insolvenzen, Entlassungen und einem Verlust an Wohlstand führen.

Vorteile für viele Branchen

Profitieren dürften vom Abkommen zahlreiche Branchen, insbesondere der Maschinenbau sowie die Fahrzeugindustrie. Fahrzeuge und Fahrzeugteile, Maschinen und Anlagen sowie elektronische Bauteile stellen schon heute die wichtigsten Warengruppen dar, die in den Mercosur exportiert werden. Gleichzeitig sind sie mit sehr hohen und manchmal prohibitiven Zöllen belegt. Der Zollsatz für Autos beträgt zum Beispiel 35 Prozent, Autoteile werden mit bis zu 18 Prozent, Maschinen mit bis zu 20 Prozent verzollt. Fallen diese Hemmnisse weg, könnten die EU-Unternehmen ihren Absatz in Südamerika signifikant steigern sowie ihre Wettbewerbssituation vor allem gegenüber China ausbauen. Auch die Mercosur-Staaten profitieren davon, wenngleich sie sich mit einem größeren Wettbewerb konfrontiert sehen.

»Gemeinsame Werte und Überzeugungen«

»Das Abkommen wird unseren Ländern helfen, unsere Produkte und Dienstleistungen zu verbessern und sich somit an die hohen Anforderungen der EU anzupassen«, ist BADER-Uruguay-Chef Tucci überzeugt. Er versteht das Abkommen als Chance. Für sein Unternehmen eröffnet es die Möglichkeit, die Exporte aus dem Werk in Uruguay in die Europäische Union zu erhöhen. »Sobald die Importsteuern der EU sinken, wird die Herausforderung größer, mit Produkten aus anderen Regionen konkurrieren zu können«, sagt er. Doch Tucci möchte diese Herausforderung gerne annehmen. Auch wegen des kulturellen Aspekts. Tucci, selbst europäischer Abstammung, weist daraufhin, dass der Großteil der Bevölkerung im Mercosur europäische Vorfahren hat: »Wir haben gemeinsame Werte und Überzeugungen.« Das sollten wir nutzen.

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