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Kontakt halten – im Homeoffice besonders wichtig

Das Homeoffice in den Pandemiejahren hat die Jobbedingungen nachhaltig verändert. Nun stehen viele Unternehmen vor der Aufgabe, neue Formen des hybriden Arbeitens zu finden.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 10/2022

Binnen wenigen Tagen vom Büro ins Homeoffice? Vor Corona erschien ein derart flächendeckender, reibungsloser und fast schon fliegender Wechsel, wie er 2020 stattfand, wenig realistisch. Rahild Neuburger (58), operative Leiterin der Forschungsstelle Information, Organisation und Management an der LMU Munich School of Management, war allerdings nicht überrascht, wie gut dies funktioniert hat: »Es gibt schon lange Erkenntnisse und Studien, die zeigen, dass zeitweises Remote Work, also das Arbeiten jenseits des klassischen Arbeitsplatzes, durchaus gut klappt, wenn die Vertrauensbasis stimmt«, erklärt die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin.

Vertrauensbasis schon vor Corona

Das nötige Vertrauen entstehe vor allem durch Face-to-Face-Kommunikation, also das direkte persönliche Gespräch. »Die meisten Mitarbeitenden hatten ja vor Corona direkt zusammengearbeitet und so die notwendige Vertrauensbasis aufgebaut.«

Remote Work funktioniert tatsächlich, das ist wohl die wichtigste Erkenntnis, die viele Mitarbeitende, Führungskräfte und Unternehmer aus den Monaten im Homeoffice gewonnen haben. Aber sie erfordert Anpassungen, damit Vorteile wie größere Flexibilität und eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre im Homeoffice Nachteile wie eine nachlassende Bindung der Beschäftigten ans Unternehmen überwiegen. Wie also lässt sich hybrides Arbeiten, also der Wechsel des Tätigkeitsorts – von der Firma nach zu Hause (oder an einen anderen Ort) –, so gestalten, dass alle profitieren?

Erfolg abhängig von Unternehmenskultur

Der Erfolg von hybriden Arbeitsmodellen hängt zu einem großen Teil von der Unternehmenskultur ab. »Es hat sich gezeigt, dass herkömmliche Führungsmechanismen, die auf Kontrolle und Präsenzkultur basieren, nicht unbedingt zielführend sind und ein vertrauensbasierter, ergebnisorientierter Führungsstil wesentlich sinnvoller erscheint«, sagt Expertin Neuburger.

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Trotz all der virtuellen Meetings und Events fehlt die sogenannte beiläufige Kommunikation, also der informelle Austausch in der Kaffeeküche, auf dem Gang, in der Kantine oder in den Pausen realer Veranstaltungen.

Forderung nach voller Präsenz nicht ratsam

»Dennoch hat die Arbeit im Homeoffice natürlich große Vorteile«, sagt Neuburger. Insbesondere die Arbeitnehmer hätten sich sehr schnell an die flexible Gestaltung ihres Arbeitstags gewöhnt – auch wenn die Tätigkeit zu Hause in Pandemiezeiten durch Homeschooling, die Betreuung von Angehörigen und räumliche Enge mitunter durchaus schwierig war. Das Rad zurückzudrehen und wieder wie vor Corona die volle Präsenz im Büro zu fordern, ist aus Neuburgers Sicht nicht ratsam: »Gerade wenn Homeoffice gut geklappt hat und positiv gesehen wird, kann dies zu Demotivation und unter Umständen auch zu Kündigungen führen.«

Erhöhte Arbeitgeberattraktivität

Dass die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, wiederum die Attraktivität eines Arbeitgebers erhöhen kann, betont Elfriede Kerschl, Leiterin des IHK-Referats Fachkräfte, Weiterbildung, Frauen in der Wirtschaft. 

Dies bestätigt die Studie »State of Hybrid Work 2022« von Owl Labs, einem Anbieter von Softwarelösungen für die virtuelle Zusammenarbeit: Dort sagten 26 Prozent der 2.000 befragten Arbeitnehmer in ganz Deutschland, dass fehlende Flexibilität beim Arbeitsort für sie ein Grund wäre, ein Stellenangebot auszuschlagen.

Wichtig für Mitarbeiterbindung und Recruiting

Angesichts des Fachkräftemangels empfiehlt IHK-Expertin Kerschl gerade kleineren und mittleren Unternehmen, die Chancen zu nutzen, die eine Flexibilisierung des Arbeitsorts bietet, und den Weg hin zu neuen Lösungen sehr bewusst zu gehen. »Damit können nicht nur Mitarbeiter gehalten, sondern auch neue Arbeitskräfte rekrutiert werden.«

Kulturelles Umdenken nötig

Expertin Neuburger von der LMU Munich School of Management rät zu einem kulturellen Umdenken in den Führungsetagen der Wirtschaft: »Die Präsenzkultur, wie wir sie vor Corona kannten, stammt aus Zeiten der Industrialisierung. Es gibt aber keinen stichhaltigen Grund, warum wir zu diesen alten Strukturen zurückkehren müssen.« Die Technik für hybrides Arbeiten sei ja mittlerweile vorhanden. »Eine Herausforderung ist es allerdings sicherlich, im hybdriden Kontext Innovationen und die Kreativität der Mitarbeiter anzustoßen.«

Remote- und Präsenztage

Auf die Fragen, wie die Aufteilung zwischen Remote- und Präsenztagen aussehen sollte und wie eine langfristig gut funktionierende und inspirierende Zusammenarbeit von Teams sichergestellt werden kann, gibt es laut Neuburger keine allgemeingültigen Antworten: »Das hängt von den Aufgaben und Prozessen im Unternehmen und den dafür erforderlichen Interaktionen mit internen und externen Ansprechpartnern ab – und auch von den Wünschen der Mitarbeitenden.

Manche kommen zum Beispiel gern ins Büro, weil sie dort besser arbeiten und die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben klar gezogen werden können.« Um die für das Unternehmen und alle Beteiligten optimale Lösung zu entwickeln, rät die Wirtschaftswissenschaftlerin, dies als systematischen Change-Prozess zu betrachten, bei dem das Thema Führung ebenfalls einbezogen wird.

Anstelle von rasch festgezurrten starren Regelwerken empfiehlt auch Monika Jödden, Managing Partner des Consulting- und Trainingsunternehmens ComTeam AG, ein großes Maß an Offenheit. »Jetzt geht es darum, mögliche Lösungen zu testen, zu checken und anzupassen«, sagt die Diplompsychologin. Die Einführung von Arbeit an variablen Orten stellt auch Entscheider vor ganz neue Herausforderungen. »Jede Führungskraft sollte kritisch hinterfragen, was sie ihren Mitarbeitern zutraut, wie entbehrlich sie sich selbst findet und wie gut ihr Bild von Führung noch zu hybriden Arbeitsformen passt«, sagt Jödden.

Keine Willkür

Und auch wenn klare Strukturen und Vorgaben der Unternehmensleitung Sicherheit vermitteln: »Der Eindruck von Willkür sollte vermieden werden«, sagt die Expertin. »Es muss schon gute Gründe dafür geben, wenn zum Beispiel festgelegt wird, dass sich das gesamte Team an einem Tag pro Woche im Büro trifft.«

Weniger Büroflächen sparen Energie

Apropos Büro: Auch die Räumlichkeiten der Unternehmen werden sich durch hybride Arbeit verändern. Ausreichend Platz für formellen und informellen Austausch wird genauso wichtig wie technisch gut ausgestattete Räumlichkeiten für die virtuelle Zusammenarbeit. Dass bei hybrider Arbeit grundsätzlich kleinere Büroflächen benötigt werden, ist ein weiterer Vorteil der neuen Arbeitsteilung – ein Aspekt, der angesichts der aktuellen Energiekrise zunehmend an Bedeutung gewinnt.

5 Tipps für Unternehmen

Wie können Unternehmen geeignete Modelle für hybrides Arbeiten entwickeln? Monika Jödden, Managing Partner des Consulting- und Trainingsunternehmens ComTeam AG, rät Folgendes:

  1. Nutzen Sie die Lernerfahrungen, die in Ihrem Unternehmen während der Lockdowns im Homeoffice gewonnen wurden. Erfassen Sie systematisch, was gut geklappt hat und wodurch es zu Reibungsverlusten kam.
  2. Bilden Sie crossfunktionale Teams, um festzulegen, welche langfristigen Lösungen für hybrides Arbeiten für Ihr Unternehmen möglich sind.
  3. Bleiben Sie innerhalb des strategisch und organisatorisch vorgegebenen Rahmens flexibel: Gemäß der Devise »testen, checken, anpassen« sollten Unternehmen verschiedene Lösungen ausprobieren und immer wieder nachjustieren.
  4. Behalten Sie wirklich alle Mitarbeiter im Blick – auch diejenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten können oder wollen.
  5. Sorgen Sie für eine angemessene technische Ausstattung sowohl für die Homeoffices als auch in den Unternehmensräumen, um die hybride Zusammenarbeit zu erleichtern.
IHK-Veranstaltungstipps: Eckpfeiler des hybriden Arbeitens

Bei drei Onlinefrühstücken beleuchten die IHK für München und Oberbayern, Bayern Innovativ und der Münchner Kreis e.V., wie sich hybride Arbeitsformen technisch realisieren lassen, welche Herausforderungen für Führungskräfte daraus entstehen und welche Innovationen es in diesem Bereich gibt.

Termine: 7. Oktober 2022, 21. Oktober 2022, 11. November 2022, online

Den Link zur Veranstaltung gibt es auf der Startseite der IHK für München und Oberbayern unter »IHK Webinare & Veranstaltungen«: www.ihk-muenchen.de

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