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China: „Markt der Risiken“

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Verlockender Glanz – Ist die Abhängigkeit von China zu groß? (im Bild: Guiyang)

Jens Hildebrandt, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking, über die China-Strategie der Bundesregierung und die Auswirkungen auf die bayerische Wirtschaft.

Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 11-12/2023

Herr Hildebrandt, die Bundesregierung hat im Sommer eine China-Strategie beschlossen. Darin steht unter anderem, dass China systemischer Rivale sei. Peking reagierte empört. Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft hingegen begrüßen das 64-Seiten-Papier. Wie steht die AHK Greater China dazu?
Wir sind sehr froh darüber, dass der Prozess der China-Strategie abgeschlossen ist. Ich halte den Prozess für wichtiger als das Ergebnis. Es hat der Bundesregierung und den Unternehmen sehr gut getan, sich gut anderthalb Jahre lang intensiv mit dem Thema China auseinanderzusetzen.

Im Papier heißt es: „China hat sich verändert – deswegen muss sich auch unsere China-Politik verändern.“ Hat sich China in den letzten Jahren so drastisch gewandelt?
Ja, in der Tat hat sich China verändert. Vor allem die selbst gewählte Isolierung der letzten drei Covid-Jahre hat viel dazu beigetragen, dass das internationale Verhältnis Chinas sich verschlechtert hat. China tritt machtbewusster auf und versucht, seine wirtschaftliche Macht auch politisch in die Welt zu tragen.

Vor allem, und das betrifft die deutsche Wirtschaft, ist die chinesische Wirtschaft immer mehr zum Wettbewerber geworden. Das ist grundsätzlich nicht problematisch. Aber das geschah vielfach durch Marktzutrittsbarrieren und durch massive Förderung und Subventionierung der eigenen Industrie. Das ist für die deutsche und andere Wirtschaften schwierig.  

„Sich nicht zu abhängig machen“

Die Strategie begründet sich unter anderem aus den Lehren der Abhängigkeit von Russland, insbesondere von russischem Gas. So etwas soll sich mit China nicht wiederholen. Auch der Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei einem Hamburger Containerterminal wurde scharf kritisiert, sogar innerhalb der Koalition. Somit klingt eine Strategie des De-Risking überzeugend.
Eine „De-Risking“-Strategie („Risiken minimieren“) ist sicherlich aus Sicht der Bundesregierung ein notwendiger Ansatz im Umgang mit China. In der Wirtschaft ist es seit langem Teil einer guten Unternehmensführung, sich nicht zu abhängig von einzelnen Handelspartnern zu machen. Vorhandene wirtschaftliche Chancen werden jedoch weiter genutzt. Es ist zugleich gut, dass man in der Debatte um das Verhältnis zu China von der Idee eines „De-Coupling“ [„Entkoppeln“] weggekommen ist.

„Deutsche Wirtschaft braucht China als Innovationstreiber“

Und wo sehen Sie Kritikpunkte?
Es ist Aufgabe einer Bundesregierung, eine nüchterne Risikoanalyse zu machen. Das ist die China-Strategie in weiten Teilen. Sie ist aus meiner Sicht aber zu wenig ein Strategiepapier, das Anleitung gibt, wie deutsche Firmen jetzt mit China umgehen sollten. Es wird ja betont, dass die Kooperation mit China wichtig ist. Aber wie gestalten wir diese? Man darf nicht vergessen: China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Sie hat den größten Konsumentenmarkt. Selbst mit einer schwächelnden Wirtschaftsentwicklung biete sie den meisten Branchen trotzdem noch Wachstumspotenzial.

Und vor allem: China ist ein Innovationstreiber geworden. Die deutsche Wirtschaft braucht China, braucht die Umsätze und Profite aus dem chinesischen Markt, um selbst Innovationen durchsetzen und um gegen den chinesischen Wettbewerb in anderen Ländern bestehen zu können. Wie wir das angehen wollen, ist aus meiner Sicht in der China-Strategie ein bisschen kurz gegriffen.

Paradigmenwechsel: mehr eigenes Risiko

Es wird ja auch nicht konkret gesagt, ob und, wenn ja, wie das Außenhandelsrecht verschärft werden soll. Wird erst das geplante Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen die nötige Klarheit bringen?
Nein, es wurde ja sehr deutlich formuliert, dass die Bundesregierung die Abhängigkeiten von China reduzieren möchte. Sie wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China – anders als früher – nur noch in ausgewähltem Maße fördern. Somit ist klar, dass die deutschen Unternehmen zwar weiterhin ihr China-Geschäft betreiben können, aber auf eigenes Risiko.

Lokalisieren und diversifizieren

Im Strategiepapier steht: Deutschland wird Unternehmen nicht mehr unbegrenzte Sicherheitsgarantien für Investitionen in China geben. Was bedeutet das konkret für die Firmen?
Wir sehen, auch in unseren Umfragen, dass die gut 5.000 deutschen Unternehmen vor Ort mit einer zweigleisigen Strategie reagieren, nämlich Diversifizierung und Lokalisierung. Als Mittel zur Risikoabsicherung wählen sie die Lokalisierung, verankern sich mehr im chinesischen Markt.

Gleichzeitig nehmen die Unternehmen eine strategische Bewertung des Markts unter Risikogesichtspunkten vor. Und manche reagieren auch mit Diversifizierung. Unternehmen mit einer sehr hohen Abhängigkeit von Lieferketten in China suchen jetzt weltweit andere Lieferanten. Firmen, die im Export tätig sind, verschieben diesen zum Teil in andere Länder wie Indien – und stärken damit dennoch ihr China-Geschäft. Die Firmen reagieren pragmatisch.  

Kommen noch neue Unternehmen ins Land?
Im Moment kaum noch.

Kein Rückzug, aber strategische Optimierung

Wie nehmen die bayerischen Unternehmen, die in China engagiert sind, diese Veränderungen wahr?
Sie sind sich natürlich bewusst, dass China immer mehr von einem Markt der Möglichkeiten zu einem Markt der Risiken wird. Dennoch stimmt der Business Case China für die meisten Unternehmen weiterhin. Kaum ein Unternehmen zieht sich aus China zurück. Sie haben eine Neubewertung vorgenommen, also ihre eigene China-Strategie gemacht.

Mittelstand ist zurückhaltender

Gilt das auch für mittelständische Unternehmen?
Die Herausforderungen treffen vor allem den Mittelstand. Der Markteintritt ist komplexer geworden, die Regulatorik hat zugenommen. Die Firmen fragen sich auch, ob ihr Chinageschäft eventuell ihr US-Geschäft beeinträchtigt. Manch einer versucht sein Glück daher lieber woanders, etwa in Indonesien.

Sich selbst ein Bild machen

Was raten Sie denn unentschlossenen Mittelständlern?
China hat trotz aller Schwierigkeiten noch jede Menge Wachstumsmöglichkeiten. Es ist innovativ, hat gute Unternehmen, die weiterhin gern auf deutsche Produkte zurückgreifen. Ich denke: Zu einer ordentlichen Diversifizierungsstrategie gehört, dass die Unternehmen sich ein Bild vom größten Wachstumsmarkt Asiens machen, indem sie hierherreisen, ob per Delegationsreise oder individuell. Fakt ist aber auch, dass sich die Zeiten geändert haben.

In der Vergangenheit haben die Unternehmen anfangs vor allem mit lokalen Vertriebspartnern zusammengearbeitet. Heute ist es schwieriger, reinen Export zu betreiben, ohne selbst vor Ort vertreten zu sein. Daher muss man sich sein Geschäftsmodell im Vorfeld genau überlegen und sich den chinesischen Wettbewerb ansehen.

Zur Person: Jens Hildebrandt

Jens Hildebrandt ist seit August 2018 Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK). Er studierte Politikwissenschaft und Sinologie in Leipzig, Peking sowie Hongkong und absolvierte ein MBA-Studium. Seit 2007 ist er in verschiedenen leitenden Positionen im Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) tätig.

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