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„Eine umfassende Dokumentation hilft, möglichen Reklamationen vorzubeugen.“ Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung

Was Versicherungsvermittler brauchen, um ihren neuen Berufspflichten nachkommen zu können, sagt Norman Wirth, Vorstand des Bundesverbands Finanzdienstleistung AfW e.V.

Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 03/2023

Herr Wirth, die EU will mit einem umfangreichen Regelwerk Nachhaltigkeit in der Wirtschaft und speziell im Finanzwesen vorantreiben. Welche konkreten Folgen hat das für Versicherungsvermittler?
Einen ersten Vorgeschmack, was auf sie zukommt, haben Versicherungsvermittler im März 2021 durch die EU-Transparenzverordnung erhalten, auch als Offenlegungsverordnung bekannt. Seither ist jeder Versicherungsvermittler dazu verpflichtet, auf seiner Unternehmenswebsite zu beschreiben, wie er mit nachhaltigen Finanzprodukten umgeht und wie er ESG-Nachhaltigkeitsrisiken handhabt. Damit sind Ereignisse oder Bedingungen aus Umwelt (Environment), Sozialem (Social) und Unternehmensführung (Governance) gemeint, deren Eintreten negative Auswirkungen auf den Wert der Investition beziehungsweise Anlage haben könnte. Zu Jahresbeginn wurden die Transparenzvorgaben erneut modifiziert. Versicherungsvermittler sollten sie deshalb anpassen, sofern nicht schon geschehen. Das ist auch durchaus machbar, denn Experten wie Verbände bieten Textbausteine und Formulierungshilfen, die Vermittler für ihre Homepage verwenden können, um den Offenlegungsvorgaben entsprechend nachzukommen (s. IHK-Service unten).

Wie ist es mit den neueren Pflichten, die seit Anfang August 2022 für Vermittler gelten?
Diese rechtskonform umzusetzen, ist komplizierter, denn sie sind komplexer, wie schon die zahlreichen Rechtsgrundlagen zeigen. Die Pflichten ergeben sich aus den Delegiertenverordnungen (EU) 2021/1253 und (EU) 2021/1257. Diese Verordnungen, die auf den Grundlagen und Definitionsbeschreibungen der Offenlegungsverordnung, Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz: SFDR, sowie der Taxonomieverordnung (TAX-VO) basieren, haben zu grundlegenden Ergänzungen der Pflichten aus der Insurance Distribution Directive (IDD), also der Vermittlerrichtlinie, geführt. Seit dem 2. August 2022 müssen Versicherungsvermittler gemäß Paragraf 34d Gewerbeordnung (GewO) in der Beratung zu Versicherungsanlageprodukten Kunden fragen, wo deren Nachhaltigkeitspräferenzen liegen, und ihnen passende Produkte anbieten. Finanzanlagenvermittler nach Paragraf 34f GewO sind davon noch ausgenommen. Aber es ist wahrscheinlich, dass die Regelung für sie künftig, frühestens ab März 2023, ebenfalls gelten wird.

Noch nicht alle Rahmenbedingungen abgesteckt

Nachhaltigkeit ist damit also zwingend Teil eines Kundengesprächs. Wo liegen da mögliche Schwierigkeiten?
Es wird etwa vorausgesetzt, dass sich der Vermittler sehr gut mit dem Thema und den Produkten auskennt. Dies ist aber vor dem Hintergrund, dass in puncto EU-Taxonomie noch nicht alle Rahmenbedingungen final abgesteckt sind, nicht so einfach. Trotzdem muss er sich umfassend einarbeiten, sich einen Überblick über das Angebot verschaffen und sich informieren. Denn der Gesetzgeber erwartet, dass der Berater gezielt beim Kunden nachhakt, ihm qualifiziert Auskunft gibt und zudem alles gut dokumentiert. Die Dokumentation muss er dem Kunden anschließend aushändigen. Wobei diese Pflicht, also die Aushändigung der Dokumentation vor Abschluss des Versicherungsvertrages nach Paragraf 62 des Versicherungsvertragsgesetzes, schon lange gilt. Wenn der Kunde nicht gleich zu Beginn nach einer Einführung ins Thema klarstellt, dass er zur Nachhaltigkeit von Versicherungsprodukten ausdrücklich keine Beratung wünscht, und der Vermittler alles erfüllen möchte, was der Gesetzgeber vorgibt, kann ein solches Gespräch sehr lang und aufwendig sein – in der Vor- wie in der Nachbereitung.

Brancheneinheitliche Lösung fehlt

Wie sollten Finanzberater bei der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten die Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen?
Der Gesetzgeber schreibt dafür keinen einheitlichen Standard vor. Auch eine brancheneinheitliche Lösung existiert leider noch nicht. Immerhin haben einige Marktteilnehmer Leitlinien zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden erstellt. Diverse Software- und Serviceunternehmen, Pools und Verbände haben digitale Lösungen vorgelegt. Auch die Europäische Versicherungsaufsicht hat im Sommer einen Leitfaden zu den nachhaltigkeitsbezogenen Beratungspflichten veröffentlicht, deren Übersetzung ins Deutsche die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin übernommen hat. An diesen können sich die Vermittler orientieren.

Haben Sie einen persönlichen Tipp für die Praxis?
Was sicherlich sinnvoll ist: dem Kunden bereits vor dem Gespräch ein erstes Infoblatt zur Vorbereitung zukommen zu lassen, welches das Thema Nachhaltigkeit aufgreift und die Abfragelogik erläutert. Und ihn zu Beginn der Beratung zu fragen, inwieweit er mit dem Begriff Nachhaltigkeit vertraut ist, und ihn gegebenenfalls aufzuklären, damit man hier dieselbe Sprache spricht. Falls er diesbezüglich nicht beraten werden will, sollte sich das der Vermittler schriftlich bestätigen lassen. Eine umfassende Dokumentation hilft generell, möglichen Reklamationen vorzubeugen.

Um eine Produktempfehlung aussprechen zu können, muss man ein Produkt hinsichtlich seiner Nachhaltigkeitsfaktoren beurteilen und einordnen können …
… und dazu benötige ich die – verpflichtende – Berichterstattung von Unternehmen, die die technischen Regulierungsstandards, RTS, erfüllt. Diese sind aber bereits nach ihrem Inkrafttreten Anfang 2023 erneut überarbeitet worden. Hier ist also ebenfalls noch viel im Fluss.

Jedes Produkt unter die Lupe nehmen

Was können Berater tun? Gibt es Siegel oder Zertifikate, die als Orientierung dienen können, gerade wenn noch keine finalen RTS vorliegen?
Dazu kann ich keine abschließenden Empfehlungen aussprechen. Auch hier bewegt sich am Markt gerade noch sehr viel. Wichtiger ist es, jedes Produkt, das ich vermitteln möchte, oder auch jedes verwendete Rating oder Siegel vorher genau unter die Lupe zu nehmen: Nach welchen Kriterien wird gewertet? Der Vermittler muss und darf sich auf die Angaben des Produktgebers verlassen. Es wird nicht von ihm verlangt zu prüfen, ob er diese tatsächlich erfüllt.

Trotzdem ist dies in der Praxis ein erheblicher Aufwand.
In der Tat. Deshalb ist dies alles mit Papiervorlagen kaum umsetzbar, es braucht hierfür digitale Unterstützung. Am besten sind computergestützte Vergleichstools, über die der Vermittler bereits während der Beratung passende Produkte gemäß den Nachhaltigkeitspräferenzen seines Kunden selektieren kann. Hier gibt es schon sehr gute Ansätze und Lösungen von verschiedenen Marktteilnehmern, und ich erwarte im Lauf der kommenden Monate dabei einen deutlichen Schub, wenn die RTS finalisiert sind. Aber Vorsicht: Um ihre Neutralität zu wahren, sollten Makler nicht ausschließlich Tools einzelner Versicherungsanbieter verwenden.

IHK-Service für Finanzdienstleister

Weiterführende Hinweise sowie unter anderem Checklisten und Muster gibt es auf der IHK-Website unter: 

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