Digitalisierung | Betrieb + Praxis

Kernkompetenzen verteidigen

SunriseDon/peopleimages.com/Adobe Stock ©
Beim Brainstorming, Texten oder Entwerfen – Agenturen lassen immer häufiger KI mithelfen

Künstliche Intelligenz erobert rasant die Kommunikationsbranche. Aber wie steht es um die Verantwortung bei ihrer Nutzung?

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 01-02/2025

Wie sich die Kommunikationsbranche zur künstlichen Intelligenz (KI) verhalten solle? „Lesen Sie ‚Faust‛!“, antwortet Timo Greger, Philosoph mit KI-Expertise an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Viel zu wissen, bedeutet nichts, wenn das Wissen nicht von Menschlichkeit und Verantwortung begleitet wird.“ Diese Erkenntnis könne uns heute auch bei der Nutzung von KI-Anwendungen, von KI-generiertem Wissen und Content leiten.

Gregers Rat scheint in der Kommunikationsbranche angekommen zu sein. Sei es in Marketing-, Werbe-, PR- oder Social-Media-Agenturen: Wie der Einsatz von KI, Big-Data-Technologie oder Chatbots verantwortlich gehandhabt werden kann, ist ein viel diskutiertes Thema. Es steht beim diesjährigen Münchner Agenturgipfel im Mittelpunkt. „KI steht für Innovation, Datenschätze, Analyse, Effizienz. Zugleich aber auch für Deep Fakes, Manipulationen und Vorurteile“, sagt Dorothee Murfeld, IHK-Referentin Medienbranche. „KI-Einsatz in der Kommunikation braucht daher einen verantwortungsvollen Umgang, es braucht verantwortungsvolle Menschen.“

Gründlich checken

Dabei geht es um Verantwortungsbewusstsein in mehrfacher Hinsicht, wie eine Befragung von Julia Levasier zeigt. Die Professorin für Kommunikation und PR an der Internationalen Hochschule IU in München führte qualitative Interviews mit Vertretern von PR-Agenturen. „Als Erstes thematisierten die Befragten ihre Sorgen bezüglich der KI-generierten Inhalte. Ob sie die Datenflut gut genug managen, sie durch unbedachte Nutzung keinen falschen Content, Verzerrungen oder manipulierte Fotos vervielfältigen oder Urheber- oder Nutzungsrechte verletzen“, erläutert Levasier.

Klar ist, dass Agenturen auch unter KI-Bedingungen die juristische Verantwortung für Zitate, Fotos und Produkte haben. Zugleich gehört es zum Handwerkszeug, Informationen kritisch zu prüfen und Fotocredits anzugeben. „Insofern ist die Verantwortung hier unverändert“, betont Levasier. „Die Agenturen müssen die bestehenden Qualitäts- und Prüfmechanismen aber an die KI-Bedingungen anpassen.“

Schwerer wog in den Interviews die Frage nach der Verantwortung für die Mitarbeitenden. Kann die KI den Menschen ersetzen? Werden Agenturchefs Beschäftigte entlassen müssen, weil die KI deren Aufgaben übernimmt?

Klassisches Handwerkszeug pflegen

Aktuell lautet die Antwort noch Nein. „KI reproduziert vor allem. Auf dieser Basis kann sie bei Recherchen und Brainstorming helfen, Texte entwerfen, redigieren, lektorieren, Konzepte und Kampagnen vorbereiten. Aber das ist ja nicht das Endprodukt“, sagt Levasier. Kundengerechte Kommunikation mit Fingerspitzengefühl, Empathie und individuellem Clou, so der Tenor, beherrscht weiterhin nur der Mensch.

Mitarbeitende müssten im Umgang mit KI aber noch besser und immer wieder geschult werden, sagt die Expertin. Zudem sollten die nachrückenden Beschäftigten das klassische Handwerkszeug von der Pike auf lernen: Sie müssen immer noch selbst recherchieren, schreiben, redigieren, filmen, kreieren können.

Rollen von KI und Mensch definieren

„Die Branche darf hier keine Deprofessionalisierung riskieren, sie muss die Kernkompetenz verteidigen“, mahnt Levasier. Sie beobachtet, dass die Agenturen hier bereits Maßnahmen ergreifen. „So behalten die Mitarbeitenden ihre Bedeutung, es kann dann eine fruchtbare Kooperation zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz entstehen.“

Greger sieht noch einen weiteren Aspekt, den Arbeitgeber im Blick behalten sollten. Wenn KI im Agenturalltag Aufgaben übernimmt, könne dies dazu führen, dass Mitarbeitende sich weniger mit ihrer Arbeit identifizieren. „Menschen brauchen Arbeitsbedingungen, unter denen sie wachsen und sich entfalten können“, betont er. Diese zu schaffen beziehungsweise zu erhalten, gehöre ebenfalls zur Verantwortung des Arbeitgebers – „auch deshalb müssen Agenturen ihr Verhältnis zur KI klären, die Rollen zwischen KI und Mensch genau verteilen.“ Im Übrigen sei dies auch ökonomisch sinnvoll: Entfremdung senkt Produktivität und Motivation.

Offenheit gegenüber KI zeigen

Technisch wie ethisch – die Münchner PR-Agentur Schwartz Public Relations GmbH hat ihr Verhältnis zur künstlichen Intelligenz bereits geklärt. „Ob zunächst Suchmaschinen und Bilddatenbanken oder dann DeepL oder ChatGPT: Wir haben neue technische Entwicklungen immer offen angenommen“, erklärt Agenturleiter Jörg Stelzer. Vielleicht weil viele Kunden aus dem Hightech-Bereich kommen und die Agentur stark technikaffin ist.

KI-Unterstützung nutzen …

„Bei den Chatbots waren es unsere schreibenden Mitarbeiter, die sie sofort neugierig getestet haben“, ergänzt Teamleiter und KI-Experte Alexander Seiche. Heute erweist sich KI für die Agentur in vielen Bereichen als funktional: für Übersetzungen von Fachtexten, zur Recherche und Datenanalyse, für monotone Tätigkeiten wie das Erstellen von Gesprächsprotokollen, für allererste Textentwürfe, zur Vorplanung von Kampagnen.

… und ethisch steuern

Bei aller Funktionalität stellte sich die Agentur aber auch den ethischen Folgen des KI-Einsatzes. „Pro Mitarbeitende, pro Qualität“, so das Credo. Die besonders interessierten Mitarbeitenden wurden als Vorhut zuerst geschult.

Jedes Team hat KI-Experten

„Inzwischen hat jedes Team eine KI-Expertin oder einen KI-Experten“, erläutert Seiche. Dass in der Agentur jeder das klassische Handwerkszeug beherrsche, sei ohnehin Einstellungsbedingung: „Bei uns finalisieren Menschen einen Text oder eine Kampagne. Werden KI-Informationen genutzt, werden sie noch kritischer geprüft.“

Kunden den KI-Einsatz offenlegen

So ist eine klare Rollenaufteilung zwischen Mensch und KI entstanden. Stelzer: „Wir steigern mit KI unsere Effizienz und gewinnen mehr Zeit für unsere Kernaufgaben, nutzen sie als Sparringspartner. Aber: Wir Menschen behalten die Kontrolle, haben das letzte Wort.“  

Ihren Kunden legt Schwartz PR offen, wo KI mitarbeitet. Stelzer und Seiche sind überzeugt, dass ihre Auftraggeber wissen, dass gute Agenturarbeit durch Fachwissen, persönliche Kontakte, Erfahrung und die Kreativität der Einzelnen entsteht – und dass Menschen darin besser sind.


KI-Tools für mehr Verlässlichkeit

Unternehmen bringen laufend neue KI-Lösungen auf den Markt, viele von ihnen beschäftigen sich mit dem Thema vertrauenswürdige Inhalte. Zwei Beispiele aus Oberbayern:

Anika Gruner und Anatol Maier, Gründer des Irschenberger Start-ups Neuraforge GbR, sind Experten fürs Bild. Mit ihrer forensischen Software kommen sie Bildfälschungen und -manipulationen auf die Schliche.

Fälschungen auf der Spur

Bildmanipulationen seien inzwischen sehr einfach geworden, „sie lassen sich übers Handy realisieren und sind oft so gut, dass sie das bloße Auge nicht mehr erkennt“, so die Unternehmerin. „Unsere Software kann erkennen, welcher Fotoanteil echt ist und wo bearbeitet beziehungsweise manipuliert wurde“, erklärt Gruner. Weil Bilder eine enorme Wirkung haben, seien hier hohe Verantwortung und Vertrauenswürdigkeit gefordert.

KI prüft selbst mit

Die moresophy GmbH in München hat eine analytische KI entwickelt, die nicht wahllos Content generiert und reproduziert. „Wir trainieren unsere KI-Lösung zusätzlich auf Basis ausgewählter, repräsentativer Daten, speisen Kontexte ein, hinterlegen Tonalitäten, Stimmungen und Emotionen, ergänzen Zielgruppeninformationen und -bedürfnisse“, sagt Heiko Beier, moresophy-Geschäftsführer sowie Professor für Internationale Medienkommunikation an der Hochschule für Angewandte Sprachen. Auf diese Weise könne die KI den Nutzern gewünschte Informationen nicht nur passgenauer zusammenstellen, sie prüfe sie auch gleich auf Validität und Relevanz. Beier: „So filtert sie von vornherein verlässlichere, vertrauenswürdigere Informationen.“

IHK-Veranstaltungstipp: Münchner Agenturgipfel 2025 am 23. Januar

Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz hat die Arbeitswelt revolutioniert und bietet insbesondere in der Agenturbranche vielfältige Möglichkeiten. Doch wie lassen sich die innovativen Potenziale von KI optimal ausschöpfen, ohne dabei ethische und gesellschaftliche Verantwortungen zu vernachlässigen? Das diskutiert der Münchner IHK-Agenturgipfel 2025 am 23. Januar 2025.

Verwandte Themen