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„Nicht einknicken“

Ingo Bartussek/Adobe Stock ©
Shitstorms und Hass im Netz sind belastend – aber man kann sich wehren

Unternehmen werden im Internet immer wieder Opfer von Hass und Gewalt. Katja Kıyan, Referentin der Menschenrechtsorganisation HateAid gGmbH weiß, wie gerade auch kleine Firmen und Selbstständige reagieren und sich wehren können.

Von Gabriele Lüke, 01/2025

Frau Kıyan, Hass und Gewalt im Netz nehmen weiterhin zu?

Das legen die Zahlen zumindest nahe. Menschen werden online beleidigt, bedroht, mundtot gemacht. Das kann nicht nur massive Auswirkungen auf die Betroffenen haben, sondern hat auch gravierende Folgen für die Demokratie und die Meinungsfreiheit: Das Internet ist der wichtigste Debattenraum der Gegenwart. Inzwischen ziehen sich aber mehr und mehr Menschen aus den Debatten zurück, weil ihnen dort leider auch Hass und Gewalt begegnen können.

Sie haben dazu aktuelle Zahlen erhoben?

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat HateAid im Februar die Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ herausgegeben. Dafür wurden rund 3.000 Internetnutzer befragt. Das Ergebnis besorgt uns: 57 Prozent der Befragten bekennen sich aufgrund von Hass im Netz seltener zu ihrer politischen Meinung. 55 Prozent beteiligen sich seltener an Diskussionen im Internet. 53 Prozent formulieren Beiträge bewusst vorsichtiger.

Reizthemen als Auslöser

Auch die Wirtschaft kann von Hassreden betroffen sein. Was sind Anlässe?

Das kann sehr unterschiedlich sein, etwa wenn Unternehmen in ihrer Werbung eine vielfältige Gesellschaft abbilden, wenn sie vegane oder andere nachhaltige Produkte bewerben oder sich gegen Rechtsextremismus positionieren. Das sind Anlässe, die digitale Gewalt nach sich ziehen können.

Sind unter den Opfern auch kleine Unternehmen oder Soloselbstständige? Diese sind im Netz gegebenenfalls nicht ganz so sichtbar, wie große Konzerne.

Es spielt nicht nur die Reichweite eine Rolle. Sogenannte Reizthemen wie Migration oder Klima können zu digitalen Angriffen führen. Auch kleine Unternehmen oder Soloselbstständige sind betroffen.

Beleidigungen und Hasskampagnen

Wie äußert sich die Gewalt konkret?

Das können zum Beispiel beleidigende Kommentare unter eigenen Posts in sozialen Netzwerken sein. Im Falle von Hasskampagnen werden das schnell mehrere hundert Beiträge in kurzer Zeit. Oder das Kontaktpostfach auf der Website wird geflutet und verstopft, so dass keine normale Kommunikation über das Postfach mehr stattfinden kann.

Bei Selbstständigen mit internationaler Geschichte kommt es zu rassistischen Anfeindungen, bei Unternehmerinnen gehen die Beleidigungen schnell unter die Gürtellinie. Auch wird angedroht, dass den Kindern oder Ehepartnern etwas angetan wird.

Privatsphäre schützen

Sind die Hassreden spontan oder geplant?

Sowohl als auch. Es gibt sowohl Einzelne, die sich ärgern, kommentieren und beleidigend werden. Das kann auch weitere Hasskommentare nach sich ziehen. Daraus wird dann eine Welle, weil viele, die den Hass teilen, sich anschließen. Aber es gibt auch Gruppen, die das Internet strategisch nutzen, um andere mundtot zu machen. Die gehen dann sehr gezielt vor.  

Wie lässt sich vorbeugen?

Eine der wichtigsten Maßnahmen gerade für kleine Unternehmen und Selbstständige ist, die Privatadresse zu schützen und im Rahmen des Möglichen aus dem Netz zu nehmen. Damit schließt man zumindest aus, dass man sich im Ernstfall im eigenen Zuhause nicht mehr sicher fühlt. Das ist bei Soloselbstständigen im Homeoffice schwierig, weil oftmals die Privatadresse im Impressum angegeben wird. Hier sollte man sich anwaltlich beraten lassen, welche alternativen Optionen zur Verfügung stehen.

Psychische Belastung

Was tun, wenn es dann doch passiert?

Für Unternehmen ist erst einmal wichtig: Nicht einknicken, wenn es etwa Angriffe gegen das eigene Engagement für die Demokratie gibt. Sondern bei der eigenen Haltung bleiben. Hasskampagnen sind in der Regel nach wenigen Tagen vorbei.

Man muss aber auch klar sagen: Digitale Gewalt kann sehr belastend sein. Betroffene können sich Unterstützung suchen, die Inhalte bei der Plattform melden und sie zur Anzeige bringen. Manchen kann es auch helfen, sich für einige Tage zurückzuziehen.    

Sich gemeinsam positionieren

Wie können gerade kleine Unternehmen gegensteuern?

Kleine Unternehmen oder Selbstständige können sich in ihrer Community mit anderen Selbstständigen zusammentun und Unterstützung suchen. Am besten schon im Vorfeld. Man kann etwa festlegen, wer die eigenen Social-Media-Kanäle übernehmen und Hasskommentare sichten und melden kann. Aber auch große Unternehmen sollten vorbeugend etwa bei bestimmten Kampagnen mit vorhersehbarem Konfliktpotenzial zusätzliche Kapazitäten einplanen und Mitarbeitende schulen

Demokratie schützen

Sie sollten sich auf keinen Fall mundtot machen lassen und sich zurückziehen?

Es ist nachvollziehbar, wenn Betroffene sich nach der Erfahrung digitaler Gewalt zurückziehen. Für die Demokratie ist es aber ein Problem, wenn sich Menschen aus Sorge vor Hass und Gewalt nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern.

Wir sollten den digitalen Raum nicht denjenigen überlassen, die am lautesten schreien. Hier sind alle gefragt: die Politik, die Plattformen, die gesamte Gesellschaft. Und auch Unternehmen, die hier Haltung zeigen.

Sich unterstützen lassen

Kann die verbale unter Umständen auch in analoge Gewalt kippen?

Ja. Digitale und analoge Gewalt hängen oft zusammen. Man kennt das auch von Politikern, wenn diese plötzlich auf offener Straße beleidigt werden, Demonstrationen vor deren Privathäusern stattfinden oder sie überfallen werden. Oder wenn Privatadressen im Netz veröffentlicht werden und dazu aufgerufen wird, der Person doch mal einen Besuch abzustatten. Das kann auch Selbstständigen passieren.

Wie unterstützt HateAid die Betroffenen?

Wir sind eine gemeinnützige, unabhängige und überparteiliche Organisation, die 2018 in Berlin gegründet wurde. Seitdem setzen wir uns für Menschenrechte im digitalen Raum ein und unterstützen Betroffene von digitaler Gewalt. Wir beraten, finanzieren Prozesse in geeigneten Fällen, machen Vorschläge für Gesetzesänderungen. Auch eine emotional stabilisierende Erstberatung bieten wir an. So fördern wir Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit im digitalen Raum.

IHK-Info: Studie zum Hass im Netz und Kundenbewertungen im Netz

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