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Investieren in Indien

Towering Goals/Adobe Stock ©
Pulsierende Metropole und Finanzzentrum Indiens – Mumbai

Auch bei bayerischen Mittelständlern wächst das Interesse an dem Subkontinent. Dieser punktet mit jungen Fachkräften und geringen Kosten.

Von Eli Hamacher, IHK-Magazin 04/2024

Der Arbeitsalltag in New Delhi beginnt und endet mit Geduld, viel Geduld. Wer im zweitgrößten Ballungsraum der Welt für 15 Kilometer 90 Minuten im Auto sitzt und sich darüber aufregt, erntet nicht mal ein Schulterzucken. Wie das ohrenbetäubende Dauerhupen und der dichte Smog gehört der Megastau zur Megacity. Da hilft es auch wenig, dass die Fahrer den Straßenraum optimal nutzen – wo 3 Spuren sind, passen locker 5 Fahrzeuge nebeneinander.

Thomas Martensmeier ist deshalb in eine Unterkunft ganz in der Nähe seines Büros gezogen. Im November 2023 übernahm der 55-Jährige in der Metropolregion New Delhi die Verantwortung für das Indien-Geschäft der SFC Energy AG. Der oberbayerische Produzent von Wasserstoff- und Methanol-Brennstoffzellen für stationäre und mobile Hybrid-Stromversorgungslösungen bietet mit seinem langjährigen indischen Partner, der FCT Energy Pvt. Ltd., seine Produkte bereits seit 2016 indischen Kunden an. Jetzt folgt der nächste Schritt.

Alternativmarkt zu China

„Wir produzieren vor Ort und werden künftig einen großen Teil der Vorprodukte lokal einkaufen“, sagt Managing Director Martensmeier. Die Erwartungen an den Subkontinent sind hochgesteckt. Die in Brunnthal bei München beheimatete SFC Energy AG, die 2023 schätzungsweise rund 118 Millionen Euro umsetzte, rechnet mittelfristig mit einem Umsatzbeitrag ihrer Tochter SFC Energy India Ltd. in Höhe von rund 100 Millionen Euro. Indien rückt immer stärker ins Blickfeld bayerischer Unternehmen.

Unsicherheiten in China sind ein Grund, der Firmen nach alternativen Märkten und Standorten suchen lasst. Indien ist sich der wachsenden Aufmerksamkeit bewusst. Das Land nutzte das G20-Treffen im Vorjahr, „um sich im Vorfeld der Wahlen 2024 als Stimme des globalen Südens, aber auch als alternativer Investitionsstandort zu China zu positionieren“, sagt Stefan Halusa, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Indischen Handelskammer (AHK Indien) in Mumbai.

2.000 deutsche Firmen bereits vor Ort

Viele Unternehmen aus allen Industriesektoren und vom Konzern bis zum kleinen Mittelständler interessieren sich für Indien, um zu diversifizieren und das Risiko zu streuen. Mehr als 2.000 deutsche Firmen sind bereits vor Ort. Um China ersetzen zu können, seien die deutschen Unternehmen zwar nicht stark genug vertreten, meint Halusa. „Wer jedoch eine Ergänzung zu China mit Blick auf Marktgröße und Marktpotenzial sucht, für den ist Indien eines der Länder, das man sich als erstes anschauen sollte.“

Im Ranking der größten Volkswirtschaften hat Indien die einstige Kolonialmacht Großbritannien bereits 2021 überholt, heute belegt es Rang 5. Experten gehen davon aus, dass Indien schon 2030 auf Position 3 liegen wird. Der bayerisch-indische Handel erreichte 2022 mit 4 Milliarden Euro einen Rekord. Während die bayerischen Ausfuhren um knapp 17 Prozent zunahmen, stiegen die Einfuhren sogar um rund 34 Prozent.

Jung, konsumfreudig, reformwillig

Zu den Stärken Indiens zählen Experten neben relativ niedrigen Lohnkosten die junge Bevölkerung. Weitere Pluspunkte sind die große konsumfreudige Mittelschicht, eine reformwillige Regierung, Englisch als Geschäftssprache sowie das demokratische System.

Dem stehen allerdings auch Schwächen gegenüber: hohe bürokratische Hürden, Korruption, eine bisweilen langwierige Rechtsdurchsetzung und die oftmals immer noch mangelhafte Infrastruktur. In einer Umfrage der AHK Indien und der AHK Singapur erklärten zudem 90 Prozent der Unternehmen, dass ein Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und Indien wichtig bis sehr wichtig für ihr Geschäft sei, betont Halusa.

Mehr Chancen als Schwächen

Für die Messe München GmbH wiegen die Chancen die Schwächen auf. Bhupinder Singh, CEO der Indien-Tochter des Unternehmens, trägt zum blauen Jackett ein blaues Hemd – passend zu den Firmenfarben der Messe München. Ein Zufall dürfte das nicht sein. Kurz nach dem Interview wird er in einem Town Hall Meeting die Fragen seiner Mitarbeitenden beantworten.

Über schlechte Stimmung in der Belegschaft muss sich der Manager, der sich vom Projektmitarbeiter zum Chef hochgearbeitet hat, keine Sorgen machen. 95 Prozent seiner Messen erzielten 2023 ein Rekordergebnis. Gegenüber 2022 stieg der Umsatz um 50 Prozent auf umgerechnet rund 12,8 Millionen Euro.

Deutsches Konzept funktioniert auch in Indien

Das ist auch deshalb erstaunlich, weil die Chinesen aufgrund der politisch angespannten Lage zwischen beiden Ländern keine Visa bekamen und als ausländische Besucher sowie Aussteller ausfielen“, erklärt Singh, der seit Gründung der Messe Muenchen India Pvt. Ltd. dabei ist. 20 Messen in 6 Wirtschaftsmetropolen haben die Inder 2023 organisiert. Im Messekalender finden sich bekannte Namen: bauma, drinktech, electronica, analytica. Was in Deutschland gut läuft, zieht auch in Indien Aussteller und Besucher an.

„Nach COVID-19 haben die Aussteller zunächst die für sie wichtigsten Messen besucht. Davon haben wir als drittgrößte Messegesellschaft des Landes profitiert“, sagt Singh. Ausgezahlt habe sich auch, dass die Messe ihr Marketing- und Vertriebsteam verstärkte, Networking-Events organisierte, den Rhythmus bestehender Messen erhöhte, ins Sponsorship und ins Konferenzgeschäft einstieg.

Geschäft stark regional geprägt

Trotz der Größe des Subkontinents mit seinen mittlerweile gut 1,4 Milliarden Einwohnern hat das Geschäft noch viel Potenzial. Zur electronica India 2023 etwa, der Fachmesse für Komponenten, Systeme, Anwendungen und Lösungen der Elektronik, kamen 600 Aussteller und 20.000 Besucher. Zum Vergleich: Bei der electronica 2022 in München waren es knapp 2.140 Aussteller und 70.000 Besucher. Anders als in Deutschland haben die Inder auf dem Subkontinent, der etwa 10-mal so groß ist wie Deutschland, ein stark regional geprägtes Geschäft.

Aus Sicht der CEOs der Messe München, Reinhard Pfeiffer und Stefan Rummel, ist Indien ein wichtiger Wachstumsmarkt. „Wir sind dort mit fast allen unseren Messen vertreten. Dass wir mit einzelnen Veranstaltungen in mehreren Städten in Indien präsent sind, zeigt, dass unsere Messen genau die Themen treffen, die der Subkontinent braucht.“

Milliarden-Investitionen stehen an

Wie wichtig die physische und die digitale Infrastruktur für das weitere Wachstum des Landes und die Stärkung des Industriestandorts sind, hat die Regierung erkannt. Sie pumpt Milliarden in die Digitalisierung, in neue Straßen, Schienen, Bahnhöfe, Flughäfen, Häfen.

Die Münchner Flix Gruppe will sich diese Chance nicht entgehen lassen. „Indien ist einer der größten Busmärkte der Welt, die Nachfrage nach kollektiver Mobilität auch dort sehr groß. Wir sehen großes Potenzial in diesem Markt“, erklärt Pressesprecher Sebastian Meyer. Anfang Februar startete das Unternehmen mit den ersten Linien im Umfeld von Delhi. Weitere Verbindungen im Süden des Landes sind geplant.

Image verbesserungswürdig

Manfred Häupl, seit 1986 Geschäftsführer des Münchner Trekkingspezialisten Hauser Exkursionen GmbH, ist zurückhaltender, was die Geschäftsaussichten seines Unternehmens in Indien angeht. „In den 1980er-Jahren war Indien neben Nepal die bei Weitem beliebteste Destination in Asien. Zuletzt rangierte das Land hingegen abgeschlagen im Mittelfeld unter anderem hinter Nepal, Japan, Vietnam und sogar der Mongolei sowie Usbekistan.“ Indien habe ein großes Imageproblem, ausgelöst durch den hindunationalistischen Regierungschef Narendra Modi, durch Grenzkonflikte, religiöse Unruhen und die noch wachen Erinnerungen an eine sehr turbulente Coronazeit. „Es fehlt an einer klaren Tourismusstrategie und an Mittelklassehotels. Dabei kann Indien mit vielen sehr professionellen Agenturen punkten.“

Der Hauser-Chef, selbst großer Indien-Fan, beobachtet aktuell eine leichte Erholung. Er hat deshalb die Zahl der Reiseangebote für 2024 etwas erhöht und erstmals Bike-Touren im Programm sowie nach langer Pause wieder Kaschmir. „Die Vorausbuchungen für 2024 machen mir Hoffnung, dass die bisher schleppende Erholung nun richtig Fahrt aufnimmt.“

Bürokratie als Bremser

Der asienerfahrene SFC-Energy-Manager Martensmeier wiederum hadert mit der indischen Bürokratie. Von Jobs in China ist er deutlich schlankere Prozesse gewöhnt. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte mit ihm schon im Juli 2023 die kleine Fabrik feierlich eröffnet. Doch der Produktionsstart gestaltete sich schleppend. Vorprodukte hingen im Zoll fest, immer wieder verlangten Behörden Papiere für Prozesse, die man längst abgehakt hatte.

Ein bisschen mehr Tempo müsste im Sinne der indischen Regierung sein. Denn die will nachhaltige Energielösungen fördern, um CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Mit der Anfang 2023 verabschiedeten „National Green Hydrogen Mission“ sollen Generatoren bei Bahn, Landesverteidigung und in der kritischen Infrastruktur durch emissionsfreie Brennstoffzellen ersetzt werden.

Nicht nur vertreiben, auch im Land produzieren

Wer von solchen Aufträgen profitieren will, muss einen Teil der Produktion in Indien ansiedeln, so will es die Initiative „Make in India“. SFC Energy etwa liefert an die indischen Streitkräfte, damit diese in der Grenzregion ihre Überwachungstechnik mit Strom versorgen können. Zuletzt verbuchte man Großaufträge über 33 Millionen Euro.

Trotz der anfänglichen Hürden lässt sich Martensmeier seinen Optimismus nicht nehmen. Im Januar 2024 startete die Produktion. Mit seinem indischen Vertriebspartner fühlt sich der SFC-Energy-Manager gut für Gebote im Rahmen der komplexen Ausschreibungsverfahren gerüstet. „Wir haben in der Vergangenheit qualitativ gute Produkte geliefert. Dass deutsche Technologie im Spiel ist, ist sicher von Vorteil.“

IHK-Veranstaltungstipp: Traditionelles Jahrestreffen der Deutsch-Indischen Handelskammer (AHK) am 12.06.2024 in München

2024 findet das traditionelle Jahrestreffen der AHK Indien am 12. Juni in München statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen.

Neben Präsidium und Geschäftsführung der AHK geben traditionell die diplomatischen Vertreter beider Länder sowie weitere Länderexperten Einblicke in die aktuellen Entwicklungen. Interessierte Unternehmen können sich jederzeit gerne an den India-Desk der IHK für München und Oberbayern wenden.

IHK-Info: Markteinstieg Indien

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