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Investieren mit Vorsicht

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Umkämpfter Markt – mehr Risiken als früher, aber immer noch attraktiv (im Bild: Shanghai)

Zwischen Innovationshub und geopolitischen Krisen: Welche Chancen bietet China aktuell bayerischen Unternehmen? Und wie lassen sie sich am besten nutzen?

Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 05-06/2024

Seit 16 Jahren ist die Schreiner Group in China aktiv, seit 8 Jahren mit einem eigenen Produktionsstandort. Ende 2022 hat das Unternehmen mit Hauptsitz in Oberschleißheim seinen Produktionsstandort in Shanghai vergrößert. Seither arbeiten 40 Menschen im Betrieb, die Ausweitung ist in Planung. „Wenn ich mir unsere primären Segmente Mobility und Healthcare anschaue, dann bietet der chinesische Markt ein erhebliches Potenzial, der Inlandsmarkt ist einfach enorm“, sagt Thomas Köberlein (61), Managing Director der Schreiner Group in China. „Wir haben das Geschäftsniveau der Vor-Corona-Ära deutlich überschritten und sind weiterhin auf einem sehr guten Weg.“

Redet man über Geschäfte in China, wird häufig in vor und seit Corona unterteilt. Vor Ausbruch der Pandemie galt das Reich der Mitte als extrem interessanter und chancenreicher Investitionsstandort. Mit Beginn der Coronapandemie Ende 2019 wandelte sich dies. China schottete sich mehr und mehr ab.

Die chinesische Doppelstrategie

Als Lehre aus dem Handelskonflikt mit den USA hat Peking 2020 die Strategie der „Dual Circulation“ auf den Weg gebracht, was so viel wie „zwei Kreisläufe“ bedeutet: Der Binnenkonsum soll angekurbelt und die Exportabhängigkeit Chinas reduziert werden. Gemeint ist damit zwar vor allem die Abhängigkeit von den USA. Doch auch deutschen Firmen bläst seither ein frischerer Wind ins Gesicht. Wer in China aktiv ist, spürt es.

Fragt man deutsche Unternehmen nach ihrer Einschätzung bezüglich des Standorts, so wie es die Auslandshandelskammer (AHK) Greater China in regelmäßigen Abständen macht, liegen auf Platz 1 der Herausforderungen allerdings nicht die geopolitischen Spannungen. „Sie rangieren auf Platz 3 oder 4“, sagt Maximilian Butek (40), Delegierter der Deutschen Wirtschaft der AHK Greater China in Shanghai. Vor allem beunruhige die Unternehmen die wachsende Konkurrenz durch lokale Betriebe. Dadurch würden ungleiche Wettbewerbsbedingungen stärker zum Tragen kommen als in der Vergangenheit.

Von der spekulativen zur qualitativen Wirtschaft

„Der Wettbewerb hat in den vergangenen 5 Jahren stark zugenommen“, sagt der AHK-Experte. Hinzu kamen eine „zurückgehende lokale Nachfrage und eine schwächelnde Wirtschaft“. Vor allem der Bausektor ist fast zum Erliegen gekommen. „Von heute auf morgen ist der Immobilienmarkt um 50 Prozent eingebrochen“, sagt Butek. „Und es sieht so aus, als würde die Parteiführung kein Konjunkturprogramm auflegen wollen.“

Digitalisierung und grüne Energien

Stattdessen möchte sie weg von der spekulativen hin zur qualitativen Wirtschaft, also hin zu grünen Energien, E-Mobilität, KI, Digitalisierung. „Ob das den Immobiliensektor kompensieren kann, wissen wir jetzt noch nicht, sondern erst in einigen Jahren“, meint Butek.
Hinzu kommen seit Jahren Lieferengpässe.

Und auch die im Juli 2023 beschlossene China-Strategie der Bundesregierung wird in Teilen als problematisch angesehen – vor allem, weil sie kaum konkrete Maßnahmen enthält. „Das verunsichert die Firmen“, weiß der AHK-Chef. Das Gleiche gilt für die von der EU angekündigten Subventionsüberprüfungen im Automobilsektor.

Gleichung mit vielen Unbekannten

Wie also gehen bayerische Unternehmen am besten mit den herausfordernden wirtschaftlichen Entwicklungen in China um? Gewisse Risiken sind schwer einzuschätzen und noch schwieriger zu managen. Wird Trump zum neuen US-Präsidenten gewählt und wenn ja, welche Handelspolitik verfolgt er dann? Wird China Taiwan den Krieg erklären? Niemand weiß es heute. Und keiner weiß genau, was danach geschieht.

Andere Probleme dagegen lassen sich in den Griff bekommen. Drohen Lieferengpässe, können Unternehmen größere Lager einrichten. Bei Sanktionen, etwa aus den USA, suchen sie sich weitere Lieferanten, zum Beispiel in Vietnam oder Mexiko.

Zum Markteinstieg nach Hongkong

Auch Hongkong als „Tor zu China“ kann weiterhin ein mögliches Szenario sein, vor allem für Unternehmen, die ihre Produkte in China vermarkten wollen. „Sie können, quasi als Test, die Produkte zunächst in Hongkong anbieten, um dann in einem weiteren Schritt das chinesische Festland zu erschließen“, sagt Hannes Aurbach, Asienexperte bei der IHK für München und Oberbayern. „Denn die in Hongkong geltenden Einfuhrvoraussetzungen sind wesentlich unkomplizierter für ausländische Unternehmen.“

Für die oberbayerische Schreiner Group lautet die Strategie: local for local. „Wir setzen mit dieser Leitlinie auf eine lokale Produktion mit lokalen Mitarbeitern, um den Bedürfnissen der lokalen Kunden optimal gerecht zu werden und eine Präsenz zu demonstrieren, die nicht auf den Export ausgerichtet ist“, sagt Köberlein. „Somit könnte die Dual-Circulation-Politik, die ja darauf abzielt, die Binnennachfrage zu stärken und die Abhängigkeit von externen Märkten zu verringern, neue Chancen für unser Unternehmen schaffen.“

Technologischer Innovationshub

Nicht nur Köberlein ist von der Attraktivität des Wirtschaftsraums Greater China überzeugt. Auch andere Experten sehen weiterhin viele Chancen für bayerische Firmen. Denn selbst wenn sich China gewandelt hat – es hat sich nicht um 180 Grad gedreht. Noch immer ist die chinesische Innovationskraft enorm.

„China ist ein technologischer Innovationshub“, sagt Aurbach. Hinzu kommt, dass die Konjunktur kurz- bis mittelfristig wieder Fahrt aufnehmen dürfte. 64 Prozent der 566 befragten AHK-Mitgliedsunternehmen in China gehen von einer Erholung in 1 bis 3 Jahren aus.

Tipp: Vertrieb vor Ort aufbauen

Ein Grund für die positive Einschätzung liegt darin, dass die chinesischen Privathaushalte 51 Billionen Renminbi (ca. 6,5 Billionen Euro) auf ihren Konten horten. „Sobald die Bevölkerung wieder Vertrauen hat, gibt sie das Geld auch aus“, sagt Butek. Mittelständlern, die in China sind und von dort aus für den globalen Markt produzieren, rät er daher, „jetzt auch einen Vertrieb in China aufzubauen“. Am besten gelingt das mithilfe von Partnern vor Ort. Allerdings gilt auch hier, wie grundsätzlich, Vorsicht walten zu lassen. Schließlich ist ein Markteintritt kostenintensiv und komplex. Dann aber kann sich eine Investition allemal lohnen.

IHK-Veranstaltungstipp Greater China Day 2024 am 27. Juni

China ist ein Hightech- und Innovationshub mit enormem Potenzial. Die geopolitische Situation birgt allerdings auch Risiken. Der Greater China Day 2024 als Highlight-Veranstaltung der IHK und AHK Greater China in Deutschland bietet die ideale Plattform, um sich über die aktuellen Entwicklungen in Greater China zu informieren. Hochrangige Unternehmensvertreter und China-Experten diskutieren dort neueste Entwicklungen und beleuchten die wichtigsten Zukunftsbranchen. AHK-Experten beantworten zudem individuelle Fragen von Unternehmen in Einzelberatungen.
Termin: 27. Juni 2024, 9–18 Uhr
Ort: IHK für München und Oberbayern, Max-Joseph-Straße 2, 80333 München
Weitere Infos und Anmeldung hier auf der IHK-Website zum Greater China Day 2024

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