Freier Handel

Auslandsgeschäft: Neue Wege finden

Kristallturm® ©
Hindernisparcours, wie hier am Hafen Shanghai (Anlage im Bild vorne): Die Firma KristallTurm® errichtet in aller Welt Hochseilgärten. Und hat dabei immer neue Hürden zu überwinden

Während der Coronakrise sind für viele Unternehmen Absatzmärkte weggebrochen oder Lieferketten gerissen. Das bringt die Geschäfte ins Stocken. Was Firmen jetzt tun können. 

Sabine Hölper, Ausgabe 10/20

Der Hersteller von Hochseilgärten KristallTurm® ist auf der ganzen Welt aktiv. Von Amerika bis Australien stellt das Unternehmen mit Sitz in Lenggries Kletterparcours auf. Noch verzeichnet Inhaber und Geschäftsführer Heinz Tretter keine Umsatzeinbrüche. Da es sich aber um ein klassisches Projektgeschäft handelt, mit mehreren Jahren zwischen Anbahnung des Geschäfts und Fertigstellung der Anlage, »könnte es uns zeitversetzt treffen«, sagt Tretter. »Die Gefahr der Pleite existiert.« Schließlich musste das Unternehmen in den letzten Monaten bereits fünf Messen ausfallen lassen. Das sind wichtige Plattformen zur Kundengewinnung.

Risiko Kundenbonität

Die Coronakrise hat inzwischen mannigfaltige Auswirkungen auf die Wirtschaft. Zum Teil sind Lieferketten gerissen, sodass die Produktion stoppt oder Produkte nicht verkauft werden können. Die meisten Branchen kämpfen allerdings noch mehr damit, dass internationale Absatzmärkte weggebrochen sind, vor allem jene außerhalb Europas. Und die stehen immerhin für knapp 40 Prozent des Umsatzes der bayerischen Wirtschaft. Selbst wenn Nachfrage besteht: »Die Bonität vieler Kunden hat sich verschlechtert«, weiß Gabriele Vetter, Referatsleiterin im Bereich Außenwirtschaft bei der IHK für München und Oberbayern. Das birgt Risiken.

Ausbleibende Schlusszahlung, fehlende Ressourcen

Ein noch größeres Problem stellen die Reisebeschränkungen in die Drittstaaten dar. »Das liegt am hohen Dienstleistungsanteil der bayerischen Wirtschaft«, sagt Vetter. Die Firmen müssten dringend ihre Fachleute in die Länder schicken, um dort beispielsweise Anlagen aufzubauen. »Das funktioniert aber kaum.« Nur vereinzelt wurden etwa von den Außenhandelskammern Sonderflüge organisiert. Auch KristallTurm®-Chef Tretter kämpft mit den Restriktionen. »Kürzlich mussten wir eine Truppe von mehreren Monteuren aus Malaysia zurückholen – und das drei Tage vor Beendigung der Baustelle«, erzählt er. Das ist ärgerlich. Denn somit erhält das Unternehmen die Schlusszahlung nicht. Außerdem seien wichtige Werkzeuge noch nicht wieder in Bayern.

Rekordauftrag mit Hindernissen

Nach China wiederum kamen die Angestellten wochenlang nicht hinein. Dort soll der größte je geplante Hochseilgarten entstehen. »Die Container mit dem Material sind auf dem Weg«, sagt Tretter. Aber seine Leute konnten nicht einreisen. Jetzt wurde ein Kompromiss gefunden: Zwei Supervisoren dürfen ins Land, müssen zwei Wochen lang in Quarantäne, danach können sie ihre rund sechswöchige Arbeit aufnehmen – allerdings mit chinesischen Monteuren. Etwa acht firmeneigene Fachkräfte sitzen derweil in Bayern – ohne Arbeit. Sie anderswo einzusetzen, ist kaum möglich. Denn ob zum Beispiel die Anlagen in Australien wie geplant im Herbst aufgestellt werden können, ist noch immer nicht klar. Die Situation ist schwierig.

Jetzt Internationalisierungsstrategie überdenken

Aber umso mehr gilt es jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Weichen neu zu stellen. »Die Firmen müssen die Zeit nutzen, um sich strukturell gut aufzustellen und ihre Internationalisierungsstrategie zu überdenken«, sagt Alexander Lau, IHK-Referatsleiter Europa und EU-Politik. Sie müssten möglicherweise neue Märkte finden. Auch das ist nicht leicht. Keiner weiß, in welchem Erdteil eventuell die nächste Coronawelle heranrollt. Fest steht, dass aktuell eher Europa in den Fokus gerückt werden sollte. »Der EU-Binnenmarkt hat sich weitestgehend wieder normalisiert«, so Lau. Firmen, die neue Märkte erschließen wollen, können diverse Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen wie etwa das Förderprogramm »Go International« der bayerischen IHKs und Handwerkskammern.

Engagement brachte Erfolg, in China »angekommen«

Es bezuschusst Mittelständler mit bis zu 50 Prozent ihrer Aufwendungen für Maßnahmen zur Erschließung eines neuen Ziellands. Dazu zählen etwa die Markteinstiegsberatung, die Geschäftspartnersuche oder die Übersetzung von Publikationen in die erforderliche Sprache. Auch die Zertifizierung von Produkten wird gefördert. Davon hat der Hersteller von hochwertigen Haushaltsgeräten ritterwerk mit Sitz in Gröbenzell vor einigen Jahren profitiert, als er in den chinesischen Markt einstieg. »Mit Toastern und Wasserkochern haben wir begonnen«, sagt ritterwerk-Prokurist und -Exportleiter Klaus Rehm (54). Beide Produkte für den ausländischen Markt zertifizieren zu lassen, kostete rund 30.000 Euro. Die Hälfte wurde dem Mittelständler erstattet. »Das macht den Unterschied«, sagt Rehm. Und: Das Engagement brachte den erhofften Erfolg. Das Unternehmen ist in China angekommen. Zwar stecke das Geschäft dort noch in den Kinderschuhen, so Rehm. Aber der entscheidende Anfang ist gemacht. Die Go-International-Förderung würde er immer wieder beantragen, sofern »man ganz neu in einen Markt eintreten möchte und dort noch keine Kontakte hat«.

Go International ist nicht die einzige Möglichkeit, um neue Absatzmärkte zu erschließen oder bei der Neugestaltung von vorhandenen Märkten Hilfen zu bekommen. Die Außenhandelskammern stehen Firmen beratend zur Seite. Außerdem unterstützt das EU-Beratungsnetzwerk »Enterprise Europe Network« bei der Suche nach internationalen Kooperationspartnern oder beschafft Marktinformationen. Auch beim Umgang mit EU-Fördermitteln ist das Beratungsnetzwerk ein kompetenter Ansprechpartner.

Dringend: Umsetzung der Industrie- und KMU-Strategie der EU

Eigeninitiative ist gerade in diesen Zeiten wichtig. Allerdings betont IHK-Experte Lau, dass die Politik dazu beitragen muss, die Rahmenbedingungen zu verbessern, um das Exportgeschäft der bayerischen Unternehmen zu stärken. Die IHK fordert daher, dringend den EU-Binnenmarkt zu vollenden. »Die Industrie- und KMU-Strategie der EU für den Binnenmarkt muss umgesetzt werden«, so Lau. »Es gilt, grenzüberschreitende Dienstleistungen und Arbeitnehmerentsendung zu erleichtern.« Des Weiteren müssten die Unternehmen darin unterstützt werden, »auf Augenhöhe mit China und den USA verhandeln zu können«. KristallTurm®-Chef Tretter stimmt dem zu: Die Politik sei angesichts der Coronakrise mehr denn je gefordert, schnelle und unkomplizierte Lösungen anzubieten.

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