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Intelligenter Alarmgeber

Thorsten Jochim ©
Schneelast überwachen – roofguards-Geschäftsführer Tom Roßhuber mit der Schneelastwaage

Digitale Lösungen helfen bei Alltagsproblemen. Manchmal entstehen sogar neue Geschäftszweige, zeigen die ‎Schneelastwächter der roofguards GmbH.

Eva Müller-Tauber, Ausgabe 11/20

Den 2. Januar 2006 wird Tom Roßhuber stets als besonderes Datum in Erinnerung behalten – als trauriges Ereignis, das für ihn beruflich einen Wendepunkt bedeutete. Roßhuber arbeitete damals in seinem Büro in Neuötting, als er von dem Unglück erfuhr: Nur rund 70 Kilometer entfernt war in Bad Reichenhall das Dach der Eishalle eingestürzt, es hatte der enormen Schneelast nicht standgehalten. 15 Menschen starben, 34 wurden zum Teil schwer verletzt, darunter viele Kinder und Jugendliche.

»Solch ein tragisches Unglück in unmittelbarer Nähe, ich war erschüttert«, erzählt der gebürtige Altöttinger, selbst zweifacher Vater. Der damals 38-Jährige war als Geschäftsführer der Freudlsperger Beton und Kieswerke GmbH für den Hallen- und Gewerbebau zuständig.

Nach dem ersten Schock stellte er entscheidende Fragen: Besteht ein solches Risiko auch in meinem Bereich? Das konnte er nach seiner Analyse so gut wie ausschließen. Hätte sich der Halleneinsturz durch ein effektives Frühwarnsystem verhindern lassen? An diesem Punkt begann Roßhuber, sich intensiv mit der Schneelastmessung an Gebäuden zu beschäftigen.

Schnee-Gewicht nicht direkt ermittelbar

Als Diplom-Geograf hatte er sich auch mit Klimatologie und angewandter Meteorologie befasst und wusste: »Allein optisch lässt sich nicht erkennen, ob die Schneelastgrenze erreicht ist. Denn es liegen immer verschiedene Schneeschichten übereinander, und je nach Aggregatzustand gibt es enorme Gewichtsunterschiede.« So wiegen zehn Zentimeter frisch gefallener Pulverschnee etwa zehn Kilogramm pro Quadratmeter. »Nasser Schnee wiederum kann bis zu 40 Kilogramm pro Quadratmeter schwer sein, eine zehn Zentimeter dicke Eisschicht bis zu 90 Kilogramm pro Quadratmeter«, erklärt Roßhuber. Der Schnee muss also gewogen werden, um die tatsächliche Last zu ermitteln.

Prototyp eines digitalen Wiegesystems

Zu seiner Überraschung stellte Roßhuber damals fest, dass dies nur händisch möglich war: »Es musste jemand aufs Dach steigen, ein Stück Schnee ausstechen und dieses wiegen.« Mithilfe einer Umrechnungstabelle wurde dann die Masse des ausgestochenen Schnees auf dem Dach annähernd bestimmt. Roßhuber, der sich selbst als Perfektionisten und neugierigen Tüftler beschreibt, konnte es nicht glauben. Sein Ehrgeiz war geweckt: Er recherchierte, überzeugte den Unternehmensinhaber und setzte sich mit firmeninternen Experten zusammen, um einen ersten einfachen Prototyp eines digitalen Wiegesystems zu bauen.

Die Feldversuche zur Entwicklung eines marktreifen Messsystems sollten unter möglichst realistischen Bedingungen stattfinden. Daher testete die Firma ihre Prototypen über mehrere Jahre hinweg erst auf einer schneesicheren Almhütte in Tirol, schließlich sogar auf der höchstgelegenen Umweltforschungsstation Deutschlands, dem Schneefernerhaus auf der Zugspitze. Nach und nach wurden Design und Aufbau des Messsystems optimiert. »Auch das Feedback unserer Kunden floss hier mit ein«, erklärt Roßhuber. Gewinne wurden in die Weiterentwicklung des Schneelastmonitoringsystems investiert. 2011 schließlich gründete das Unternehmen eine eigene Tochterfirma, um das Produkt zu vertreiben und weiter zu optimieren: die roofguards GmbH.

Patentiertes, wartungsfreies System

»Die größte Herausforderung war es, ein einfaches System mit Gewichtsanzeige vor Ort zu digitalisieren, zu automatisieren und in ein modernes, cloudbasiertes Internet-of-things-Monitoringsystem zu verwandeln«, so Roßhuber. Das scheint mittlerweile gelungen zu sein. Der patentierte Schneelastwächter ist ein wartungsfreies System, das sich dank eines selbsttragenden Fußsystems flexibel auf dem Dach positionieren lässt. »Zum Betrieb braucht es nur eine Standard-230-Volt-Stromanbindung sowie eine SIM-Karte«, erklärt Roßhuber.

Der dreieckige Wägekorb enthält drei Wägezellen. Diese wiegen die Schneelast separat, »sodass selbst beim Ausfall einer Zelle zuverlässig Daten gesendet würden«. Das System bildet aus den Messwerten das arithmetische Mittel. Alle 20 Minuten wird das Gewicht des im Wägekorb befindlichen Schnees per Funk über das GSM-Mobilfunknetz an ein cloudbasiertes Datenportal übermittelt.

Alarm per Mail, SMS oder RSS-Feed

Die dauernde Datenübertragung sei wichtig, da bei extremen Wetterlagen die Schneemenge innerhalb von ein bis zwei Stunden rasant zunehmen könne, so Roßhuber. »Sobald einer der Warnwerte überschritten wird, die wir zuvor individuell mit jedem Kunden festgelegt haben, erhält dieser eine Meldung per E-Mail oder optional per SMS oder RSS-Feed.« Auch Strom- oder Netzausfälle werden automatisiert via E-Mail oder SMS mitgeteilt.

Ihre Daten können die Kunden vom Schreibtisch oder auch von unterwegs via Tablet oder Smartphone einsehen. Sie werden gespeichert und als Kurvendiagramm dargestellt. »So lässt sich die Schneeentwicklung auf dem Dach genau verfolgen und mit Blick auf weitere Wetterprognosen einschätzen, ob und, wenn ja, wann es notwendig ist, das Dach zu räumen«, so Roßhuber. Denn geräumt werden sollte nur bei Bedarf – rechtzeitig und geplant. Schließlich kann das Freischaufeln einer großen Gewerbehalle schon mal eine sechsstellige Summe kosten.

Auch bei Starkregen Kontrolle online

Seit 2018 ist Roßhuber alleiniger geschäftsführender Gesellschafter der mittlerweile nach Meisham/Eggstätt umgesiedelten roofguards GmbH. »Ich hatte schon zuvor viel Herzblut, Zeit und auch Geld in dieses Projekt investiert. Deshalb war es ein logischer Schritt, die Firma aus dem Mutterunternehmen herauszukaufen.« Von der Zukunftsfähigkeit seines Produkts ist der Firmenchef überzeugt: »Auch wenn es keine schneesicheren Winter mehr gibt: Wegen des Klimawandels nehmen außergewöhnliche Starkniederschlagereignisse immer mehr zu. Und plötzlicher Schneefall in Verbindung mit Regen ist ein Sicherheitsproblem bei Flachbauten.«

Zudem seien die Firmen mehr denn je gefordert, Risikomanagement zu betreiben. Da sei ein System wie seines gefragt, das sich über ein Onlineportal komplett bedienen, steuern und verwalten lässt, von Oktober bis April im Einsatz ist, auf hohe, geprüfte Qualitätsstandards setzt und neben den Anschaffungskosten nur geringe jährliche Kosten nach sich zieht.

Empfehlungsmarketing für die Schneewaage

Der Erfolg scheint Roßhuber recht zu geben. »Anfangs haben wir unsere Schneewaage bei Behörden und Betrieben in der Region offensiv beworben«, sagt der Unternehmer. Mittlerweile laufe jedoch fast alles über Empfehlungsmarketing. »Es kommen Kunden aus ganz Deutschland auf uns zu, innovative, zukunftsorientierte Firmen, die sich eigenständig mit dem Thema Gebäude- und Risikomanagement beschäftigen, und Städte, die öffentliche Gebäude wie Schulen und Turnhallen absichern wollen.« Andere würden von Versicherern oder Statikern auf das Schneelastproblem aufmerksam gemacht.

Erweiterung um KI-Komponente

Der Unternehmer entwickelt seine digitale Schneewaage laufend weiter. Gerade ist er dabei, diese um eine Künstliche-Intelligenz-Komponente zu erweitern. Das System soll aktuelle Wetterdaten einbeziehen und den Tag errechnen können, an dem eventuell der Grenzwert der Schneelast erreicht ist. Roßhuber: »Der Kunde hat dann noch mehr Zeit zu reagieren, bevor es vielleicht zu spät ist.«

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