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Verkaufen auf allen Kanälen

Motel a Miio ©
Generieren mit Social-Media-Aktivitäten rund 25 bis 30 Prozent der Besuche im Webshop – Anna von Hellberg (r.) und Laura Castien, Gründerinnen der Motel a Miio GmbH

Social-Media-Plattformen eignen sich auch für mittelständische Händler als Vertriebsweg. Verkäuferisches Geschick ist dabei wichtiger als Technikwissen.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 03/21

In rund 900 Posts auf Instagram hat Katja Keussen (50) bereits Outfits und Accessoires aus dem Sortiment ihres Ladengeschäfts Zusann am Wiener Platz in München präsentiert. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nutzt sie die Social-Media-Plattform mit beeindruckender Intensität: »Wir posten etwa jeden Tag eine Story – nur an Weihnachten und Neujahr haben wir eine Pause gemacht«, sagt die Inhaberin der Zusann OHG.

Man merkt es den Fotos und vor allem den kurzen Videos an, dass es Keussen Spaß macht, vor der Kamera zu stehen. Sie wirkt authentisch, ihre Begeisterung für jedes einzelne Produkt ist ansteckend. Auf ihrem Instagram-Kanal wechseln die Formate, kleine Pannen und Versprecher zeigt Keussen in der Rubrik »Making-of«. Der Aufwand, der dahintersteckt, darf allerdings nicht unterschätzt werden: »Bevor wir fotografieren oder filmen, sind wir zu zweit jeden Tag rund zwei Stunden damit beschäftigt, die Ware herauszusuchen, den passenden Hintergrund auszuwählen und alles gut auszuleuchten«, berichtet die Unternehmerin. »Und dann muss schließlich auch noch der Text geschrieben werden.«

Instagram zur Kundenbindung auch ohne Onlineshop

Die Mühe lohnt sich: Über Instagram bringt sich das alteingesessene Münchner Mode- und Dessoushaus bei seinen Kundinnen immer wieder in Erinnerung und erzielt auch im Lockdown Umsätze. »Die Kundinnen bestellen die Produkte, die ihnen gefallen, über Instagram-Nachrichten, E-Mail und Telefon«, sagt Keussen.

In den ersten Wochen des Lockdowns wurden die Bestellungen persönlich ausgeliefert, jetzt können sie auch an der Ladentür abgeholt werden. Die Bezahlung erfolgt kontaktlos per Girocard oder Kreditkarte. Auch wenn sich Keussen über die gute Resonanz auf ihre Instagram-Aktivitäten und die dadurch erreichten Verkäufe freut – derzeit erwirtschaftet sie lediglich ein Viertel des regulären Umsatzes. »Das ist natürlich besser als nichts«, sagt die Unternehmerin. »Aber unsere Fixkosten sind dadurch längst nicht gedeckt.«

»Social Commerce« auch als Schaufenster

Mit dem Thema Onlineshop beschäftigt sich Keussen ebenfalls schon seit dem ersten Lockdown, hat sich aber vorerst dagegen entschieden. »In diesen unsicheren Zeiten habe ich andere Prioritäten gesetzt. Zudem muss ein Onlineshop ja auch mit Inhalten gefüllt werden, was einen erheblichen Aufwand mit sich bringt«, sagt die Unternehmerin. Stattdessen verstärkte sie ihre Präsenz auf Instagram – und beweist, dass diese Social-Media-Plattform auch ohne Onlineshop durchaus als Verkaufskanal funktioniert. »Social Commerce« nennen Experten diese neue Variante des Handels, bei der Produkte auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram sowie dem chinesischen Videokanal TikTok präsentiert werden.

Gute Beratung, übertragen in den digitalen Raum

Mittlerweile bieten diese Plattformen auch die Möglichkeit zur Anbindung eines Onlineshops, sodass die gezeigten Produkte blitzschnell bestellt werden können. In Lockdown-Zeiten nutzen stationäre Händler die Kanäle außerdem als digitales Schaufenster. Viele Unternehmen beraten Kunden inzwischen aber auch telefonisch, sie schicken Interessenten auf Wunsch Fotos und Videos der betreffenden Produkte. Das fällt dann wohl nicht mehr in die Rubrik »Social Commerce«, hilft aber gerade dem Mittelstand dabei, die aktuell harten Zeiten zu überleben.

»Einzelhändler setzen auf neue und kreative Formen, um ihre Kunden zu binden und weiterhin Umsätze zu generieren«, sagt Carla Kirmis, Referentin Handel und E-Commerce bei der IHK für München und Oberbayern. »Dabei kann das große Plus des stationären Einzelhandels, nämlich die gute Beratung, durchaus in den digitalen Raum übertragen werden.«

Kontakt zu Kunden aufrecht erhalten

Dies bestätigt Frank Rehme (60), Geschäftsführer des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Handel. »Die letzten zwölf Monate haben deutlich gezeigt, wie wichtig es für jedes Handelsunternehmen ist, online präsent zu sein«, sagt er. Eine gute Website sowie ein professionelles Profil bei Google My Business bilden für ihn die Basis, gefolgt von Aktivitäten auf Social Media. »Wer mit seinen Kunden schon vor Corona über Facebook oder Instagram vernetzt war, dem fiel es deutlich leichter, auch während des Lockdowns den Kontakt aufrechtzuerhalten«, betont Rehme. Von regelmäßigen Posts bis hin zum Verkauf über diese Plattformen sei es lediglich ein kleiner Schritt.

Fast wie Teleshopping, nur mit Interaktion

Die Königsdisziplin des Social Commerce bildet das sogenannte Livestream-Teleshopping. »Das ist im chinesischen E-Commerce seit einiger Zeit ein riesiges Phänomen und gewinnt auch bei uns an Relevanz«, sagt Handelsexperte Rehme.

Seit etwa anderthalb Jahren preisen chinesische Händler ihre Waren in kurzen Clips auf Plattformen wie WeChat an, häufig mit dem eigenen Smartphone aufgenommen und live gestreamt. Das Ganze ist durchaus vergleichbar mit dem bei uns schon länger bekannten Teleshopping, bei dem Moderatoren in Fernsehsendern Produkte vorstellen und die Zuschauer zum Kauf animieren. »Der große Unterschied ist jedoch die Interaktion mit den Zuschauern, die im Lifestream-Shopping möglich ist«, so Rehme.

Fragen sofort im Chat beantwortet

Im Chat können etwaige Fragen sofort beantwortet werden. Solche innovativen Beratungs- und Verkaufsformate sind dabei nicht nur etwas für große Unternehmen. »Social Commerce inklusive Lifestream-Shopping ist durchaus auch für mittelständische Einzelhändler geeignet – und zwar nicht nur zu Lockdown-Zeiten«, betont der Handelsexperte. Die Technik sei kein Grund, sich abschrecken zu lassen, findet er. Sie lasse sich auch ohne großes Spezialwissen bewältigen.

Onlineshop ist angebunden

Diese Erfahrung hat auch Anna von Hellberg, Co-Gründerin und Geschäftsführerin der Motel a Miio GmbH aus München, gemacht. In mittlerweile 14 Ladengeschäften sowie im Onlineshop verkauft das rasant wachsende Unternehmen handgemachte Keramik aus Portugal. »Die Anbindung unseres Onlineshops an Instagram war kein großes Ding«, sagt von Hellberg.

Allerdings verfügt die 39-Jährige auch über eine gewisse Kompetenz in Sachen Social Media. Instagram und Facebook waren von Anfang an Teil der Kommunikationsstrategie. Motel a Miio startete im November 2016 mit einem Pop-up-Sale im Münchner Glockenbachviertel, den das Unternehmen über diese Kanäle beworben hatte. Seither hat es rund 163.000 Abonnenten auf Instagram gewonnen, auf Facebook sind es mehr als 30.000 Fans. Darüber hinaus wird auch die Pinnwand-Plattform Pinterest regelmäßig bespielt. Anfang 2019 startete der Insta-Shop »motelamiio«.

Social Media als Inspiration

»Wir generieren mit unseren Social-Media-Aktivitäten rund 25 bis 30 Prozent der Besuche im Webshop«, sagt von Hellberg. Allerdings dürfe auch die Wirkung von Instagram als Inspirationstool nicht unterschätzt werden. »Wir stellen fest, dass viele Kunden unsere Produkte via Instagram auf ihrem Handy sehen und sie dann zu Hause auf ihrem Desktop in unserem Onlineshop auswählen und bestellen.«

Der Shop im Internet kann rund 60 Prozent der Umsatzverluste auffangen, die durch den Lockdown der 14 Läden entstehen. »Die Laufkundschaft und die Spontankäufe, die sich durch den Blick ins Schaufenster ergeben, fehlen uns«, so von Hellberg.

Run auf die Innenstädte erwartet, doch online bleibt entscheidend

Und nach dem Lockdown? Wird alles wieder so sein wie vor der Pandemie, wenn alle Geschäfte wieder geöffnet sind? »Es wird zwar zunächst einen Run auf die Innenstädte und Einkaufsmeilen geben«, prognostiziert Handelsexperte Rehme. »Doch die Onlineumsätze werden mittel- und langfristig hoch bleiben. Schließlich haben viele Verbraucher in den Lockdown-Monaten ihr Einkaufsverhalten komplett verändert und nicht nur Onlineshops, sondern auch die Vorteile des E-Commerce kennen und schätzen gelernt.« Daher empfiehlt der Experte allen Handelsunternehmen, ihre Onlinepräsenz zu stärken und auszuweiten. Rehme ist überzeugt: »Wer sich dem nach wie vor verschließt, wird die nächsten Jahre nicht überleben.«

IHK-Service: 7 Tipps für den Start zum Einstieg in den Verkauf über Instagram & Co.

Frank Rehme, Geschäftsführer des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Handel, gibt folgende
Empfehlungen:

  1. Social Commerce eignet sich vor allem für beratungsintensive Produkte sowie für Artikel, die impulsiv oder zur Selbstbelohnung gekauft werden, wie etwa Fashion oder Technik-Gadgets.
  2. Ein Smartphone jüngeren Datums, dazu vielleicht noch ein externes Mikrofon sowie ein Ringlicht mit Stativ und Halter für das Smartphone: Diese Minimalausstattung genügt, um Verkaufsvideos zu produzieren, die auf Social-Media-Plattformen gepostet werden können.
  3. Für etwas komplexere Videos ist vor allem ein leistungsfähiges Notebook mit entsprechender Software nötig, die zum Beispiel Einblendungen zusätzlicher Informationen oder die Zusammensetzung mehrerer Einzelsequenzen erlaubt.
  4. Die Plattformen lassen sich in der Regel problemlos und ohne großen Aufwand an moderne Onlineshops anbinden.
  5. Wichtiger als die Technik ist der Mensch vor der Kamera, der jedes Produkt erklärt und interessant macht. Hier sind authentische und beratungsstarke Verkäuferpersönlichkeiten gefragt, die sich im Idealfall als Person selbst zur Marke machen.
  6. Kontinuität ist wichtig, ein klares internes Social-Commerce-Konzept, wann und wie welche Produkte vorgestellt werden, daher äußerst empfehlenswert.
  7. Vor der Veröffentlichung des ersten Posts müssen Logistik und interne Prozesse klar definiert sein: Wo und wie kann bestellt werden? Wie kommt die Ware zum Kunden? Wie erfolgt die Bezahlung? Darauf sollte auch bei jedem einzelnen Posting hingewiesen werden.

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