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Wandel im Wüstenstaat

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Saudi-Arabien gilt als anspruchsvoller Markt – Hauptstadt Riad

Jenseits sprudelnder Ölquellen: Saudi-Arabien investiert Milliarden in den industriellen Umbau und fördert die Privatwirtschaft – auch für bayerische Unternehmen interessant.

Mechthilde Gruber, Ausgabe 11/20

Die immensen Vorräte an Öl und Gas haben den Wüstenstaat zu einem sagenhaft reichen Land gemacht. Doch auch für Saudi-Arabien scheinen die goldenen Zeiten vorbei zu sein. »Der Verfall des Ölpreises hat, verstärkt durch die Coronakrise, die arabischen Golfstaaten in große wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht«, sagt Christian Neugebauer, Referent für Nahost, Nordafrika und die Türkei bei der IHK für München und Oberbayern. »Das wirkt sich derzeit auch dämpfend auf die bayerischen Exporte in die Region aus.« Dennoch bietet Saudi-Arabien – das größte Land und mit 34 Millionen Einwohnern auch der größte Markt in der Golfregion – bayerischen Unternehmen sehr viele Chancen. Selbst in der Krise.

Billionenstarke US-Dollar-Investments

Denn das einst sehr verschlossene Königreich öffnet sich. Zwar noch sehr weit von rechtsstaatlichen Standards der EU entfernt, treibt Kronprinz Mohammed bin Salman mit der Reformagenda Vision 2030 seit vier Jahren doch einen umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel voran. Die Diversifizierung der Wirtschaft soll die langfristige Unabhängigkeit von Öl- und Gaseinnahmen sichern. Dafür will der saudische Staat über seinen Staatsfonds PIF in 14 Jahren rund eine Billion US-Dollar investieren. Ein ähnlich hoher Betrag soll von privaten Investoren hinzukommen.

»Privatwirtschaftliche Investitionen für Reformagenda«

Die Saudis nehmen zahlreiche Großprojekte für den Aufbau neuer Industriesektoren in Angriff, auch wenn diese wegen sinkender Staatseinnahmen nun etwas kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. »Saudi-Arabien braucht privatwirtschaftliche Investitionen auch aus dem Ausland, um die Reformagenda zum Erfolg führen zu können«, sagt Nahostexperte Neugebauer.
Über 25 Milliarden Dollar (umgerechnet 23 Milliarden Euro) Sondermittel für das Reformprogramm brachte beispielsweise die Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Aramco. 1,5 Prozent des Konzerns wurden im Dezember 2019 dafür an der saudischen Börse verkauft.

Neue Freiheiten
Auch die soziale Transformation in Saudi-Arabien bringt international Aufmerksamkeit. Die Bevölkerung im bisher erzkonservativen Staat genießt neue Freiheiten. Kinos eröffnen, und der große Erfolg von Festivals und Konzerten in Riad und Dschidda zeigt, wie hungrig das Land nach Entertainment ist. »Die Unterhaltungsbranche entwickelt sich hier gerade, das fängt bei null an«, sagt Dalia Samra-Rohte, Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Saudi-Arabien. Ob als Aussteller oder als Investor – für deutsche Unternehmen gebe es viele Möglichkeiten, sich zu engagieren.

Tourismussektor plus Instrastruktur

Eine Schlüsselrolle im Rahmen der sozialen und wirtschaftlichen Öffnung des Landes spiele der Tourismussektor und die damit verbundene Infrastruktur, betont die Expertin der deutschen Auslandshandelskammer (AHK). Seit Kurzem gibt es ein 90-Tage-Visum, nicht nur für Pilger und Geschäftsleute, sondern auch für Individualreisende. Große Tourismusprojekte sollen Arbeitsplätze schaffen und Devisen ins Land bringen. Milliarden US-Dollar werden dafür an Saudi-Arabiens Westküste entlang des Roten Meeres investiert. Größtes Vorhaben ist das »Red Sea Project«: An bisher unberührten Stränden entstehen Luxushotels und die notwendige Infrastruktur.

Bayerische Weltmarktführer im Gesundheitswesen gefragt

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Vision 2030 ist der Gesundheitssektor. Krankenhäuser und Gesundheitszentren werden privatisiert und modernisiert, Kapazitäten ausgebaut. In den nächsten drei Jahren sind dafür Investitionen in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar (2,9 Milliarden Euro) vorgesehen. »Bei Medizintechnik besteht großer Bedarf«, sagt Samra-Rohte. Bayerische Weltmarktführer sind als Anbieter gefragt. Wenn es um die Gesundheit geht, legen Saudis besonderen Wert auf Qualität und innovative Produkte.

Umwälzungen im Energiesektor

Trotz anhaltender Krise auf dem Ölmarkt erweitert das Land seine petrochemische Industrie. Neben der Öl- und Gasproduktion soll die Erdölverarbeitung im eigenen Land zu einem wichtigen Industriezweig werden. Milliarden fließen in Raffinerien und Chemieprojekte – interessant für viele mittelständische Firmen aus Bayern, die Produkte für den petrochemischen Sektor anbieten. Gleichzeitig fördert Saudi-Arabien erneuerbare Energien. Bis 2023 sollen sie 9,5 Gigawatt Strom liefern. Solar- und Windkraftanlagen sind in Planung und werden errichtet. Wasserstoff als Energieträger wird entschieden gefördert. »Spezialisierte Unternehmen aus Bayern können sich hier einen Liefermarkt aufbauen«, sagt die AHK-Expertin.

Für die Realisierung der Reformagenda ist der Golfstaat auf das Engagement ausländischer Unternehmen angewiesen. Er arbeitet deshalb daran, bessere Investitionsbedingungen gerade auch für Mittelständler zu schaffen, so Samra-Rohte. Denn derzeit empfinden viele ausländische Lieferanten und Investoren den Trend zur Lokalisierung als Hindernis. In bestimmten Branchen wird von ausländischen Unternehmen nicht nur erwartet, präsent zu sein, sondern auch Wertschöpfung vor Ort aufzubauen. Ein weiterer Hemmschuh für Investoren ist die strenge Saudisierungspolitik, die die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte erschweren kann.

Saudi-Arabien zählt zu den anspruchsvolleren Auslandsmärkten. Das große Geschäftspotenzial sei es aber wert, sich den Herausforderungen zu stellen, betont IHK-Experte Neugebauer: »In Saudi-Arabien ist viel Geld zu verdienen. « Das Königreich hat riesige finanzielle Ressourcen, sie sind wesentlich größer als die der Vereinigten Arabischen Emirate. Mit der wachsenden Mittelschicht wird das Land im Vergleich zu den anderen Golfstaaten auch binnenwirtschaftlich zunehmend interessanter.

»Saudi-Arabien ist schnell ein wichtiger Markt geworden«
»In Saudi-Arabien ändert sich gerade das Ernährungsverhalten hin zu natürlichen Produkten, regional und bio. Innovative Konzepte werden dafür gesucht. Mit unserem Nischenprodukt passen wir in diese Marktlücke perfekt hinein«, sagt Amelie Sperber. Zusammen mit ihrem Mann führt die 37-Jährige das junge Münchner Unternehmen supernutural GmbH, das Maschinen für Nusscreme herstellt. Die Kunden sind Supermärkte, Feinkostläden, Hotels und Gastronomie in mittlerweile 20 Ländern der Welt. »Unser Erfolgsgeheimnis liegt in der absoluten Reinheit des Produkts«, betont die Geschäftsführerin. Aus den supernutural-Maschinen können Endverbraucher frische Nusscreme ganz ohne Zusätze zapfen.
Saudi-Arabien ist für das Münchner Start-up schnell ein wichtiger Markt geworden. Der erste saudische Kunde, ein Inhaber eines Biosupermarkts, suchte auf der Nürnberger Biofach-Messe den Kontakt und bestellte drei Nussmaschinen. Das zweite Geschäft war dann schon umfangreicher: Einer der größten Supermarktkonzerne Saudi-Arabiens stattete seine Filialen mit supernutural aus. Doch es gibt Hürden zu überwinden. Die Bürokratie beim Export in den Golfstaat sei eine Herausforderung, betont Sperber. Was sich beim ersten Kunden mit Unterstützung der IHK noch relativ einfach lösen ließ, entpuppte sich bei der Lieferung an den saudischen Supermarktkonzern als äußerst komplex.
Gemeinsam mit der Außenwirtschaftsberatung der IHK und mit praxisorientierter Begleitung durch die AHK-Außenstelle in Dschidda konnte der vergleichbar hohe Aufwand gestemmt werden. »Durch digitale Videokonferenzen konnten alle Punkte direkt mit der AHK geklärt werden – ein absoluter Mehrwert in Zeiten von Corona«, so Sperber. Ebenso angetan ist sie von der Zusammenarbeit mit den saudischen Kunden, die langfristig angelegt ist: »Unsere Partner sind sehr westlich orientiert, kulturelle Unterschiede sind bei den Geschäften kein großes Thema. Ich werde als Frau und Chefin problemlos akzeptiert. «
Supernutural sieht im Golfstaat noch viel Potenzial und will seinen Kundenstamm weiter ausbauen. Eine geplante Delegationsreise musste wegen der Pandemie verschoben werden. Dennoch ergäben sich auch jetzt immer wieder neue Kontakte, so Sperber: »Die Saudis kommen auf uns zu. Unser Produkt – made in Germany – hat dort einen unglaublich hohen Stellenwert. «
 

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