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Wasser zu Waldfrucht

air up GmbH ©
Führungsteam – Simon Nüesch, Fabian Schlang, Lena Jüngst, Jannis Koppitz, Christian Hauth und Tim Jäger (v.l.)

Das junge Münchner Unternehmen air up hat ein neuartiges Trinksystem auf den Markt gebracht. Nach den jüngsten Finanzierungsrunden will es nun in die USA expandieren. Beim Marketing setzt das Start-up auf Influencer.

SABINE HÖLPER, Ausgabe 04/2022

Die air up GmbH verleiht Wasser Geschmack, ohne auch nur einen einzigen Zusatz hineinzukippen. Das Gründerteam um Lena Jüngst hat ein Trinksystem entwickelt, das den Geschmack rein über den Geruchssinn transportiert. In der Flasche selbst ist pures Wasser. Ein sogenannter Pod, aufgesetzt auf ein Mundstück am Flaschenhals, sorgt für die Entfaltung der Aromen im Mund.

»Wir simulieren Geschmack über den Duft«

Der Mensch überlistet sich sozusagen selbst. Er täuscht seine Sinne, wenn er Wasser trinkt, aber Orangensaft oder Cola schmeckt. Gründerin Jüngst formuliert es etwas anders. »Wir simulieren Geschmack über den Duft«, sagt die 29-Jährige.

Jeden Monat eine weitere Sorte

Ihr erst Anfang 2019 gegründetes Unternehmen verwandelt Wasser zwar nicht in Wein, aber doch in mittlerweile mehr als 20 verschiedene Geschmackssorten, von Himbeer-Zitrone über Kirsche bis hin zu Kaffee. Jeden Monat bringt das Münchner Start-up eine weitere Sorte heraus wie etwa kürzlich einen Mix aus Vanille und Orange – jene Geschmackskombi, mit der die Gründer ihre ersten Tests durchführten.

Die Firma ist bereits rentabel, beschäftigt mehr als 170 Mitarbeiter und verkauft ihr Produkt in acht europäische Länder. Der schwedische Markt kam kürzlich hinzu.

Von der Abschlussarbeit zur Firmengründung

Angefangen hat alles 2016, als Jüngst an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd Produktdesign studierte und einen Vortrag darüber hörte, wie man die Sinneswahrnehmung beeinflussen kann. Sie fand das Thema so spannend, dass sie gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Tim Jäger ihre Bachelorarbeit darüber schrieb. Bei der Recherche stießen beide auf eine Studie, die darlegte, wie sich ein wahrgenommener Duft während des Trinkens im Mund mit der Flüssigkeit verbindet – und somit einen Geschmack erzeugt. Die beiden überprüften diese unglaublich klingende These und stellten fest: Es stimmt tatsächlich.

Tests mit Strohhalmen und Wattepads

Im Supermarkt kaufte das Duo günstige Flaschen, zudem Aromen und Wattepads. Die wichtigste Anschaffung aber waren kleine Raumbedufter. Die beiden Studierenden gingen pragmatisch vor: Sie steckten einen Strohhalm in den Bedufter, einen anderen in den Mund, und nutzten mit den Aromen beträufelte Wattepads. So konnten sie das Wasser trinken und dabei die Aromen riechen. Obwohl es nur eine Behelfskonstruktion war, spürten sie tatsächlich einen Effekt: Sie hatten den Eindruck, ein Getränk aus Orange und Vanille zu sich zu nehmen, dabei war es nur reines Wasser.

Jüngst und Jäger war klar, dass sie einer großen Sache auf der Spur waren. Sie könnten eines der größten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit lösen: Fettleibigkeit, Diabetes und weitere Erkrankungen, die auch auf zu süße und ungesunde Getränke zurückzuführen sind.

Air-up-Flasche reduziert Abfall

Außerdem könnten sie helfen, die Umwelt zu schonen: Softdrinks werden häufig in Plastikflaschen oder Dosen verkauft. Eine wiederverwendbare Flasche, die im besten Fall jahrelang hält, würde somit auch zur Abfallreduktion beitragen. Also entwarfen die beiden einen Prototyp der air-up-Flasche.

Nerv getroffen

»Wir haben einen Nerv getroffen«, glaubt Jüngst. Bereits in der Hochschule fand die Entwicklung großen Anklang. Ein Freund, der eine Masterarbeit zum Thema schrieb, war ebenfalls überzeugt. Zu dritt gingen sie daher weiter: Sie suchten zwei weitere Mitstreiter und bewarben sich beim Existenzgründerprogramm der TU München. Sie gründeten eine erste Firma, erarbeiteten einen Businessplan, bekamen die Förderung, entwickelten ihr Produkt weiter.

Als die beiden renommierten Investoren Frank Thelen und Ralf Dümmel einstiegen, ging alles Schlag auf Schlag. »Die erste Finanzierungsrunde war der entscheidende Meilenstein«, sagt Jüngst. Mit dem Kapital konnte das Start-up die ersten 80.000 Starter-Sets, bestehend aus einer Trinkflasche und mehreren Pods, produzieren.

Mehr als eine Million Flaschen verkauft

Mittlerweile hat das Unternehmen weit mehr als eine Million Flaschen verkauft. Über 20 Duft-Pods stehen zur Verfügung. Besonders beliebt sind laut Jüngst Pfirsich und Waldfrucht. In Österreich geht Holunder besonders gut.

Zielgruppe von 12 bis 25 Jahren

Jede Flasche fasst 650 Milliliter, ein Pod kann rund 25-mal verwendet werden, bevor er sein Aroma verliert. Das Starter-Set kostet zwischen knapp 35 und 40 Euro, ein Dreierpäckchen Pods ist für rund sechs bis neun Euro zu haben. Kunden können die Produkte über die Firmenwebseite bestellen oder im Einzelhandel etwa bei Rossmann und der Drogerie Müller kaufen. Zur Zielgruppe zählen vor allem junge Leute zwischen 18 und 25, aber auch Kinder und deren Eltern.

Wie ist das gelungen? Schließlich ist das Produkt erklärungsbedürftig und kein hundertprozentiger Ersatz für Fruchtsaft. Die Autorin hat es selbst getestet: Man muss schon Fantasie oder guten Willen besitzen, um zum Beispiel Cola zu schmecken und nicht bloß Cola-Aromen wahrzunehmen – was ein Unterschied ist.

Zum Erfolg mit Influencer-Marketing

Jüngst führt den Erfolg unter anderem auf Influencer-Marketing zurück. Die Influencer hätten die Innovation mit Interesse aufgenommen und in ihren Social-Media-Kanälen verbreitet. Laut Jüngst hätten sie die Handhabung und das Prinzip von air up gut erklärt und damit Vertrauen geschaffen.

USA-Markt als Ziel

Außerdem spielt dem Unternehmen der Zeitgeist in die Hände: Gesunde Ernährung und umweltbewusstes Verhalten sind Top-Themen. Das gilt für alle Industrienationen. Kein Wunder, dass die Münchner nun weiter expandieren wollen. Aktuell bereiten sie den Eintritt in die USA vor. Das sei eine andere Hausnummer als Europa, so Jüngst. »Die Regularien sind andere, der Markt ist komplexer.« In spätestens zwei Jahren soll es so weit sein.

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