Klimaschutz | Unternehmen
Problemlöser Orcan Energy: Strom aus heißer Luft

Beim Betrieb von Motoren und bei vielen Prozessen in der Produktion entsteht Abwärme. Das Unternehmen Orcan Energy hat eine Technologie entwickelt, um sie effizient zu nutzen.
Von Natascha Plankermann, IHK-Magazin 07-08/2025
Die 3 Doktoranden der Technischen Universität München hatten genaue Vorstellungen von ihrem zukünftigen Unternehmen: Sie wollten sich mit einem Produkt selbstständig machen, das direkt eingesetzt werden kann und nachhaltig mit Energie zu tun hat.
Einer der 3 Gründer, Andreas Schuster, forschte am Lehrstuhl für Energiesysteme an sogenannten ORC-Systemen. Die Abkürzung steht für Organic Rankine Cycle. Das bedeutet, dass eine organische Flüssigkeit in einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert. „Durch heiße Abluft verdampft sie früher als Wasser, nämlich schon bei 80 Grad. Der Dampf, der sich dadurch entwickelt, treibt einen Generator an: Strom entsteht. Danach wird der Dampf wieder verflüssigt und der Kreislauf beginnt von Neuem“, erklärt Schuster, heute Chief Technology Officer, kurz das Prinzip, auf dem die Idee des Unternehmens basiert.
Universelles Dampfkraftwerk im Miniformat
„Wir beschlossen, den kleinsten ORC der Welt zu bauen“, ergänzt der Mitgründer und heutige Vorstandschef Andreas Sichert. Der ORC besteht aus verschiedenen, standardisierten Komponenten. Die Teile stammen zum Beispiel aus Wärmepumpen oder aus der Solarthermie. „Wir haben sie umgewidmet, wie beim Lego-Baukastensystem neu zusammengesetzt und in einem Container untergebracht“, erklärt Sichert. „So kann unser Mini-Dampfkraftwerk überall dort eingesetzt werden, wo Abwärme entsteht – selbst bei Schiffsmotoren. An Bord wird die Energie recycelt und dadurch unterwegs weniger Treibstoff verbraucht.“
Orcan Energy AG, das gemeinsame Unternehmen, trägt das Kürzel ORC im Namen. Und seit der Gründung 2008 bringt die maßgeschneiderte Weiterentwicklung des simplen Prinzips Erfolg: Mehr als 80 Mitarbeitende hat die aufstrebende Firma inzwischen. Auch der 3. Mitgründer, Richard Aumann, ist noch an Bord und heute Produkt-Architekt.
Zahlreiche Kunden nutzen die Idee, um selbst erzeugte Wärme wieder gewinnbringend einzusetzen und dadurch auch ihre CO2-Emissionen herunterzuschrauben – „umweltfreundlich und wirtschaftlich zugleich“, betont Sichert.
CO2-neutraler Eigenstrom für autarkere Industrie
Ein Beispiel für den Einsatz ist der Parketthersteller HARO. An seinem Standort Stephanskirchen kann er die Abwärme im Winter zwar teilweise auch zum Heizen nutzen. Aber vor allem im Sommer entstehen große Überkapazitäten, aus denen die Module von Orcan Energy CO2-neutralen Strom erzeugen. Der fließt direkt wieder in die Produktion von Bodenbelägen. „Auf diese Weise kann produzierendes Gewerbe autarker werden“, sagt Sichert.
Weitere Beispiele sind Biogasanlagen, bei denen die Wärme aus den laufenden Motoren wieder zu Strom wird – „die Energieform, die immer nutzbar ist“, so der Vorstandschef. „Damit haben wir inzwischen international erreicht, dass viele Biogasanlagen effizienter laufen.“
Absicherung gegen Nachahmer
Mittlerweile haben die Energiepioniere schon 242 Patente angemeldet, unter anderem in China und in den USA. Schon früh begannen sie, sich abzusichern, damit ihre Erfindungen nicht nachgeahmt werden. Denn es galt, zahlreiche technische Hürden zu nehmen, um die Kraftwerkstechnologie derart zu verkleinern.
Beim Einstieg beriet Norbert Ammann, Referatsleiter Umwelt, Energie, Klima bei der IHK für München und Oberbayern, das Start-up. Heute zeigt er sich beeindruckt: „Es gibt wenige, die ihre Entwicklungen so nachhaltig in die Tat umgesetzt haben. Die Unternehmer haben es geschafft, ein bekanntes Verfahren aus der Thermodynamik in einen industrietauglichen Prozess zu überführen, und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag für die künftige Energieversorgung.“
Denn der Bedarf ist riesig: So verbrauchen zum Beispiel Rechenzentren wegen des zunehmenden Einsatzes von KI immer mehr Strom. Nach einer Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) werden sie bis 2030 mehr als doppelt so viel Strom „fressen“ wie zurzeit.
Abfallprodukt in Wettbewerbsvorteil ummünzen
Bei neuen Kunden untersuchen die technischen Teams von Orcan Energy vor Ort, wie die bisherigen Prozesse geändert werden können und wie sich die Abwärme sinnvoll einsetzen lässt. „Es geht darum, ein Bewusstsein bei unseren Kunden dafür zu schaffen, wie man sich auf diese Weise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann“, sagt Sichert. „Das ist wie Umparken im Kopf.“
Derzeit erschließt das Unternehmen weitere Märkte, nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und Südostasien. Sichert: „Abwärme ist eben kein deutsches, sondern ein internationales Thema.“
Ausgezeichnet, aber noch kein grünes Label
Orcan Energy erhielt für seine umweltfreundliche und wirtschaftliche Energienutzungsidee bereits den Technologietransferpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und den Efficiency Award in der Kategorie „Energiewende 2.0“ der Deutschen Energie-Agentur (dena). Den gab es für ein Projekt mit der Adolf Gottfried Tonwerke GmbH, bei dem erstmals große Mengen von Abwärme, die beim Brennen von Ton zu Schamotte anfallen, nutzbar gemacht wurden.
„Dennoch ist der Strom aus Abwärme vom Gesetzgeber bisher noch nicht als grünes Produkt anerkannt, im Gegensatz etwa zu Strom aus Abfall oder Gasen wie Grubengas oder Deponiegas“, sagt Vorstandschef Sichert. „Wir brauchen das richtige Label für unser Erzeugnis – das fehlt uns auch in Europa, um besser und schneller zu werden.“
„Schlafenden Riesen der Energiewende“ wecken
Immerhin verzeichnet der sogenannte Abwärmeatlas, ein Forschungsprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums, wo die ungenutzte Wärmeenergie der deutschen Industrie schlummert. Und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ist sich sicher: „Konkret können Unternehmen bis zu 40 Prozent ihres Energieverbrauchs durch clevere Nutzung ihrer Abwärme einsparen. Abwärmenutzung ist der schlafende Riese der Energiewende: ein noch nicht gehobener Schatz.“
Serie „Die Problemlöser": Clevere Ideen für große Herausforderungen
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