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Am Boden bleiben

Reiser Simulation and Training GmbH ©
Simulation – Piloten sollen die richtige Verhaltensweise in Stresssituationen lernen

Die Reiser Simulation and Training GmbH am Starnberger See produziert Simulatoren und Trainingsgeräte für die Luftfahrtindustrie: Das Hightech-Unternehmen agiert global und zeigt, wie ein oberbayerischer Mittelstandsbetrieb sich auf den Weltmärkten behauptet.

Klaus Mergel, Ausgabe 07/2021

Eben noch sorgte der Autopilot für einen entspannten Reiseflug über die Fjorde, nun ist es mit der Ruhe vorbei. Ein Triebwerk ist ausgefallen – der Helikopter sinkt. Eine Stimme aus dem Off weist auf Englisch darauf hin – ziemlich energisch. Jetzt ist Handeln gefragt: Der Pilot übernimmt die »Controls«, also die Steuerorgane. So kann er verhindern, dass der Hubschrauber weiter sinkt und den Felsen zu nahe kommt.

Stresssituationen bewusst erleben

Ein Adrenalinschub mit Sinn. »Das sind Stresssituationen, die ein Pilot in der Ausbildung bewusst erlebt, um die richtigen Verhaltensweisen zu lernen«, erklärt Björn Kanstorf, Head of Sales und Marketing bei der Reiser Simulation and Training GmbH. Wäre das ein echtes Fluggerät, wäre ein Absturz nicht ausgeschlossen. Doch hier handelt es sich um einen Simulator eines Helikopters vom Typ AIRBUS H145. Zum Glück!

Der Mittelständler Reiser in Berg ist Experte für Hubschrauber-Simulatoren und Trainingsgeräte. Auf der Ostseite des Starnberger Sees entstehen Übungsgeräte, die heute essenziell in der Ausbildung von Piloten und Wartungspersonal in der Luftfahrt sind. Egal, ob Luftrettung oder Charterer: Piloten in unseren Breiten haben mit hoher Sicherheit auf einem Reiser-Simulator trainiert

Firmenrundgang: alle Schilder auf Englisch

Beim Rundgang durch das Unternehmen fällt auf: Beschriftungen und Firmenpublikationen sind durchgehend auf Englisch – Reiser agiert international. »Wir sind ein mittelständisches Unternehmen. Dennoch bewegen wir uns auf einem Markt von Konzernen und Global Playern«, sagt Roman Sperl, einer der beiden Geschäftsführer. »Das ist manchmal ein Spagat.« Dazu zählten etwa juristisch hochkomplexe Verträge, mit denen man leben müsse. Andererseits könne man oft viel schneller agieren als mancher Kunde. Warum? »Unser Unternehmen ist geprägt von dem Mut, an Problemstellungen heranzugehen«, antwortet Sperl.

Mut, an Problemstellungen heranzugehen

Was das konkret heißt, zeigte sich zum Beispiel am Anfang der noch jungen Firmengeschichte. Unternehmensgründer Wolfgang Reiser, zuvor bei der Bundeswehr in der Luftfahrzeugwartung tätig, hatte sich 1988 selbstständig gemacht. Er stellte Kabelbäume und Komponenten für Zulieferbetriebe der Bundeswehr her, als ein Kunde fragte, ob Reiser ihm nicht ein Cockpit eines BO-105-Hubschraubers nachbauen könne. Reiser machte sich an die Arbeit – und erschloss so ein neues Geschäftsfeld für das Unternehmen. Gründer Wolfgang Reiser hat sich im Januar 2020 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, Sohn Florian Reiser bestimmt inzwischen gemeinsam mit Geschäftsführer Sperl die »Flugbahn«.

»Wir sind in der Region verwurzelt, das ist die gelebte Kultur eines Familienunternehmens«, sagt Sperl. Und Reiser bietet den Menschen in der Region Starnberg und München anspruchsvolle Arbeits- und Ausbildungsplätze: etwa in den Bereichen Software, Mechatronik und Elektronik. Heute zählt das Unternehmen 180 Mitarbeiter plus zahlreiche externe Unterstützer. 1990 zog das Unternehmen nach Höhenrain um, 2013 kam der zweite Standort im nahen Mörlbach hinzu.

Aufwendige Entwicklungsarbeit

Dort, in einem schwarz gestrichenen Raum, sechs Meter hoch, steht der eingangs erwähnte Simulator. Die Software für einen neuen Simulator befindet sich derzeit noch im Feintuning. Softwareentwickler Matthias Koegst behebt noch einen Fehler. Er wechselt ständig zwischen Tastatur und Steuerknüppel, tippt, schreibt, testet. Ganz klar: In dem Produkt steckt aufwendige Entwicklungsarbeit.

Der Simulator als die günstigere Alternative

Der Preis für einen H145-Full-Flight-Simulator liegt im Millionenbereich. »Man muss auch mehr als einen Simulator verkaufen, um die Entwicklung zu erwirtschaften«, erläutert Kanstorf. Zum Vergleich: Ein echter Helikopter kostet je nach Typ acht bis zehn Millionen Euro, eine Flugstunde zusätzlich mehrere tausend Euro. Für Trainings ist oft eine reale Flugstunde zu wertvoll und damit der Simulator die günstigere Alternative.

Die Hubschrauberstunden bei der ADAC-Luftrettung wären für den Rettungseinsatz zu kostbar für Ausbildungsflüge. Daher trainieren zahlreiche Piloten im ADAC-Trainingszentrum in Bonn-Hangelar – wo ein Simulator von Reiser steht. In der Produktionshalle ist gerade ein Transporthubschrauber in Arbeit. Das bedeutet: der Nachbau einer »Luftfahrzeugzelle«, wie es im Fachjargon heißt. Die rund sechs Meter langen Rotorblätter liegen aufgebockt daneben. Alles wirkt irritierend echt. Dennoch: Diese Rotoren werden sich nie drehen. »Hier sieht es ein bisschen aus wie bei einem Luftfahrtunternehmen. Aber hier geht nichts in die Luft«, sagt Kanstorf.

Kopie des Originals

Beim Rundgang fällt die große Bandbreite an Produkten auf: Triebwerke auf Montageständern, Cockpits vom Eurofighter und von Hubschraubern. »Alles, was Sie hier sehen, entspricht dem Original in der Bedienung für Piloten oder Techniker. Dahinter verbirgt sich jedoch etwas anderes«, so beschreibt es Andrea Ehrl, zuständig für Marketing und Kommunikation.

Das bedeutet: Jede Schraube, jede Mutter und jeder Schlauch befindet sich exakt an der gleichen Stelle wie beim Original. Alle Teile sind identisch in Gestalt, Größe, Schwerpunkt, Beweglichkeit und Demontierbarkeit, haben jedoch keine Funktion wie Schmierung oder Hydraulikdruck. Die Trainingsgeräte dienten später, so Ehrl, dem Wartungspersonal, um Zerlegen, Fehlerbehebung und Zusammenbau eines bestimmten Modells zu lernen.

Eigene Fertigung macht unabhängig

»Da manche Hersteller Originalteile nicht zur Verfügung stellen oder diese schlicht zu teuer wären, bilden wir sie originalgetreu nach«, erklärt Kanstorf. Dazu werden diese vermessen, gescannt und dann in verschiedenen Fertigungsverfahren nachgebildet – zum Teil per 3-D-Drucker. Und nicht selten im eigenen Haus: Diese Fertigungstiefe macht Reiser enorm unabhängig.

Realitätsgetreue Szenarien

Am Ende wird der fertige Helikopter-Simulator in einem sogenannten Dom auf elektromechanischen Aktuatoren stehen und sich je nach Flugbewegung in sechs Richtungen im Raum bewegen. Als kompakten Cockpit-Avionik-Trainer gibt es eine Variante, die nur auf Bildschirmen ohne Flugbewegung basiert. Reiser hat weitere Systeme entwickelt, um die G-Kräfte zu simulieren, die während des Fluges auf den Piloten einwirken. Auch der unterschiedliche Druck der Atemluftmaske kann realitätsgetreu nachgebildet werden.

Allerdings gilt: Einen Simulator verkauft man nicht jede Woche. Daher bietet die Firma ihre Expertise auch beim Aufbau und der Optimierung von Trainingslösungen an. In Stavanger richtete das Unternehmen 2018 gemeinsam mit der norwegischen Luftambulanz ein Trainingszentrum mit einem H145-Full-Flight-Simulator ein: ein Service, den inzwischen europäische Luftretter zur Ausbildung ihrer Piloten nutzen.

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