Die Richtung stimmt
Für seine feinen Handschuhe ist Roeckl weithin bekannt. Doch Firmenchefin Annette Roeckl will das Unternehmen unabhängiger vom witterungsbedingten Saisongeschäft machen.
HARRIET AUSTEN, Ausgabe 10/2022
Jede Präsentation einer neuen Kollektion erwartet Annette Roeckl mit Freude und Spannung; jedes Mal findet sie attraktive neue Lieblingsstücke und Must-haves, »obwohl ich wirklich von allen unseren Accessoires eine äußerst reiche Auswahl besitze«, sagt die Chefin der Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG lachend. Das Momentum des Habenwollens hat die 55-Jährige zum Gradmesser für die Kollektionen gemacht: »Wenn ich einmal keine Leidenschaft für das eine oder andere Produkt entwickle, ist höchste Gefahr im Verzug.«
Transformation zur Accessoires-Marke
Die Unternehmerin ist Markenbotschafterin und, wie sie sagt, typische Zielkundin. Aus dem Hause Roeckl kommen nicht nur feine Lederhandschuhe, sondern mittlerweile auch Taschen, Gürtel, Geldbörsen sowie Seidentücher, Strickaccessoires und Hüte. Die Transformation vom Handschuhhersteller zur Accessoires-Marke soll die Firma unabhängiger vom Winter- und Saisongeschäft machen.
Als Jugendliche konnte sich Roeckl nicht vorstellen, in das 1839 gegründete Familienunternehmen einzusteigen. Sie fand Handschuhe eher altmodisch und wollte sich nicht durch ihren Familiennamen definiert sehen. Als ihr Sohn auf die Welt kam, absolvierte die alleinerziehende Mutter aus praktischen Erwägungen ihre Ausbildung zur Handelsfachwirtin im elterlichen Betrieb. »Dadurch ist mir die Firma vertraut geworden und ich habe viele Zusammenhänge verstanden«, sagt sie heute.
Schwere der Tradition gewichen
Doch der entscheidende Impuls, sich für die Nachfolge zu entscheiden, kam, als sie ihre erkrankte Mutter vertreten sollte. Die Tochter sprang sofort ein und entwarf nicht nur das Werbekonzept für die neue Saison, sondern schaute sich auch gründlich im Firmenarchiv um. »Eine Schlüsselzeit« nennt sie diese Monate, in denen es ihr »wie Schuppen von den Augen gefallen« sei: Tradition, Handschuhe und Familienunternehmen sah sie nun in einem neuen Licht. Die Schwere der Tradition war gewichen. Sie war vollends überzeugt, »dass das Lebenswerk der fünf Generationen es wert ist, mit Leidenschaft und Freude in die Zukunft geführt zu werden«.
Danach ging alles recht schnell: Seminare, Trainings, 1999 Mitgesellschafterin und Leiterin eines Profitcenters, 2003 schließlich die Übernahme der Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG.
Schwierige Neuausrichtung
Ihr Vater hatte 2003 mit der Generationenübergabe eine Realteilung der Firma vorgenommen: Annette Roeckl übernahm die Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG, ihr Bruder Stefan die Roeckl Sporthandschuhe GmbH & Co. KG. Das stellte für die neue Geschäftsführerin eine existenzielle Veränderung und eine riesige Herausforderung dar. Das alte Roeckl-Erfolgsmodell, das ausschließlich auf Handschuhen basierte, gab es nicht mehr. Das Sortiment war durch den Wegfall der Sporthandschuhe nicht mehr rund.
60 Prozent Einbruch durch Krim-Sanktionen
»Ein neues Geschäftskonzept für die Sparte der Mode musste her«, erinnert sich Roeckl. Sie beschloss, ein eigenes Accessoires-Sortiment unter der Marke ROECKL aufzubauen, um zu diversifizieren. Das funktionierte zwar langsamer als gedacht, aber die ersten zehn Jahre liefen gut, der Umsatz verdoppelte sich – bis drei warme Winter in Folge dem Handschuhgeschäft als Herzstück schwere Verluste einbrachten. Dazu kam ein Einbruch des starken Russland-Geschäfts um 60 Prozent aufgrund der Krim-Sanktionen 2014.
2017 sah sich Annette Roeckl gezwungen, Insolvenz in Eigenverwaltung anzumelden. Schnell erkannte sie, »dass das Familienunternehmen dadurch keine Chance mehr haben würde«. Also wechselte sie die Berater, legte ein überzeugendes Sanierungskonzept vor und gewann das Vertrauen ihrer Familie, aus der sich ein Mitglied als stiller Gesellschafter am Unternehmen beteiligte.
Mit frischem Kapital ausgestattet, zog Roeckl den Insolvenzantrag zurück. Für die Sanierung musste die Geschäftsführerin drastische Einschnitte vornehmen, Arbeitsabläufe verbessern und gleichzeitig das Accessoires-Geschäft ausbauen, um saisonunabhängiger zu werden. Dessen Umsatzanteil liegt jetzt bei rund 45 Prozent und soll perspektivisch circa 70 Prozent betragen.
Schwarze Zahlen nach der Krise
»Nach einem tiefen Tal ist man nicht gleich bärenstark«, räumt Roeckl ein, ist aber froh, dass ihr Unternehmen wieder schwarze Zahlen schreibt. Die Richtung stimme, sagt sie zufrieden. Sie setzt auf Qualität, Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit – ein Produktversprechen, das sich über Generationen bewährt hat. Selbst die Verluste aus der Pandemie konnten sie nicht mehr aus der Bahn werfen, »die Firma und ich waren krisenerprobt und haben an Stärke gewonnen«.
Zur Person: Annette Roeckl
Annette Roeckl, Jahrgang 1967, absolvierte ihre Ausbildung zur Handelsfachwirtin im elterlichen Unternehmen, das 2003 im Zuge der Generationenübergabe vom Vater aufgespalten wurde: Sie übernahm die Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG in sechster Generation, während Bruder Stefan die Roeckl Sporthandschuhe führt. Ihre Firma verfügt heute über 14 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und zwei Produktionsbetriebe für Handschuhe und Taschen in Rumänien. Annette Roeckl ist Mutter eines 33-jährigen Sohnes.