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„Sofern wir die Lieferkette kennen, sind unsere Prognosen extrem sicher.“ Markus Felgenhauer, Geschäftsführer QYOBO

Das Münchner Unternehmen QYOBO wertet Millionen von pharmazeutischen Daten aus. Damit kann es Lieferengpässe bei Wirkstoffen und Medikamenten vorhersagen.

Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 07-08/2024

Alltag in der Apotheke: Der Fiebersaft ist aus, das Antibiotikum leider gerade nicht verfügbar. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet Hunderte von Arzneien auf, die nicht lieferbar sind. Das mag nur ärgerlich sein, wenn es um eine lindernde Salbe gegen Rückenschmerzen geht. Sind aber Krebsmedikamente nicht erhältlich, wird es lebensbedrohlich.

Markus Felgenhauer (34) trägt dazu bei, diesen Missstand zu beheben. Mit dem Münchner Unternehmen QYOBO GmbH verfolgen er und sein Team weltweit Arzneimittellieferketten und analysieren, wo Lieferengpässe von Wirkstoffen und Medikamenten bestehen oder auftreten könnten. Das ist sowohl für Behörden wie das BfArM als auch für Unternehmen der Pharmabranche interessant – und somit am Ende auch für die Patienten.

Vorhandene Daten verknüpfen

Der promovierte Physiker Felgenhauer war jahrelang als Consultant bei der Unternehmensberatung McKinsey beschäftigt. Ihm fiel auf, dass es in der Branche „viele Daten gibt, die Ausbeute aber dürftig ist“. Seine Idee: Man müsste die Daten verknüpfen, um so wertvolle Informationen über Preise, Verfügbarkeiten und Störungen zu erhalten.

Also fragte er im Freundeskreis herum, wer „Lust auf ein solches Wagnis hat“. Mit dem promovierten Physiker Eric Parzinger und dem Elektro- und Informationstechniker Julian Ruß fand er 2 Mitstreiter – und gründete QYOBO. Der Firmenname hat im Übrigen keine tiefere Bedeutung, ein Passwortgenerator schlug ihn vor.

75 Millionen Rohdaten, 200 Datenbanken, 30 Sprachen

Mitten in der Münchner City, am Marienplatz, residiert das Start-up. Hier sitzen 20 Mitarbeitende und blicken auf Monitore mit farbigen Balkendiagrammen. Sie programmieren Algorithmen, die Beipackzettel, Handelsstatistiken, Marktzulassungen, Daten vom Zoll oder staatlichen Aufsichtsbehörden sowie aktuelle Branchenmeldungen durchkämmen und alles von Relevanz abspeichern. So kommen mehr als 75 Millionen Rohdaten in gut 200 Datenbanken und in 30 verschiedenen Sprachen zusammen, die ein Algorithmus strukturiert und zusammenfasst.

Alle 2 Stunden wird die QYOBO-Plattform auf den aktuellen Stand gebracht. Sie liefert wertvolle Informationen über mehr als 2 Millionen Medikamente und 30.000 Firmen. So entsteht eine bis dahin ungekannte Transparenz auf dem Markt für pharmazeutische Wirkstoffe und Chemikalien. Sie zeigt, in welcher Qualität und zu welchem Preis Produkte geliefert werden können – oder eben auch nicht.

Umplanen bei Lieferproblemen

Anfangs konzentrierte sich das 2019 – vor der Pandemie – gegründete Unternehmen vor allem auf die Frage, welche Produkte wo zum besten Preis und von den besten Lieferanten vorhanden sind. Mittlerweile geht es mehr und mehr darum herauszufinden, wann und wo Lieferengpässe bestehen oder auftreten könnten. Für die Hersteller sind das wichtige Informationen. Schließlich können sie nur dann wirtschaftlich produzieren, wenn ihre Werke ausgelastet sind. Eine Voraussetzung dafür ist die lückenlose Belieferung mit allen benötigten Stoffen.

Erfahren Produzenten frühzeitig von Lieferschwierigkeiten, können sie ausweichen. Umgekehrt kann ein Wettbewerber Kapital aus diesen Informationen schlagen: Wenn er sicher weiß, dass ein Konkurrent nicht wie gewohnt produzieren kann, die Nachfrage aber konstant ist, kann er die eigene Produktion hochfahren.

Detaillierter Einblick verbessert Prognose

Mit solchen Szenarien beschäftigt sich die Pharmabranche seit Jahren. „Mal zerlegt ein Tornado ein Werk, mal ein Erdbeben oder eine Explosion“, sagt Felgenhauer. Es gibt Unfälle und andere Zwischenfälle, Verunreinigungen, Sanktionen. Hinzu kommen geopolitische Risiken wie der Krieg in der Ukraine oder der Gaza-Konflikt. Auch behördliche Kontrolleure können ein Werk lahmlegen, etwa wenn es Hygienevorgaben oder andere Standards nicht erfüllt. Jede Erschütterung kann zu massiven Lieferengpässen und damit zu Produktionsausfällen führen.

QYOBO prognostiziert solche Unterbrechungen mit sehr hoher Genauigkeit. „Sofern wir die Lieferkette kennen, sind unsere Prognosen extrem sicher“, verspricht Felgenhauer. Dass es den Experten in seltenen Fällen nicht gelingt, die künftige Entwicklung vorherzusagen, liegt unter anderem an diffusen Deklarationen in den Beipackzetteln. Dort werden zum Beispiel Firmen als finale Hersteller einer Arznei genannt, die nur die Charge freigeben oder die rechtliche Verantwortung tragen, nicht aber das Medikament produzieren. Das ist erlaubt, erschwert die Arbeit der Münchner jedoch. Eine weitere Herausforderung ist, dass Substanzen in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Namen haben. Auch Firmennamen variieren von Land zu Land.

Auf dem Prüfstand: KI-basierte Software und Algorithmen

Doch Hürden sind dazu da, gemeistert zu werden. Das Team entwickelt die KI-basierte Software und die Algorithmen stets weiter. Damit verfügt es über einen riesigen Vorsprung vor den Arzneimittelfirmen selbst, die Voraussagen in diesem Umfang in der Regel nicht treffen können. „Zwar versuchen sich manche Unternehmen an Inhouse-Lösungen“, sagt Felgenhauer. „Aber deren Fokus liegt ja nicht darauf, eine Software zu bauen, sondern darauf, Medikamente herauszubringen.“ Für die Pharmafirmen ist es viel einfacher, alle wichtigen Informationen auf der QYOBO-Plattform abzurufen.

Teilweise gibt das Start-up auch Empfehlungen, etwa zu alternativen Lieferanten in der Region oder in einem anderen Land. „Wir verhelfen unseren Kunden zu mehr Planungssicherheit“, fasst Felgenhauer zusammen. „Sobald wir einen Engpass voraussagen, können die Firmen gegensteuern.“ Dafür zahlen sie.

Von Beginn an profitabel

Mehr als 2 Dutzend namhafte Kunden in 15 Ländern – von Deutschland über China bis nach Brasilien – konnte QYOBO bislang gewinnen. Der Umsatz ist laut eigenen Angaben 7-stellig.
Finanziert haben die Gründer ihr Unternehmen mit Ersparnissen, außerdem erhielten sie ein EXIST-Gründerstipendium. Risikokapital dagegen nahmen sie nicht in Anspruch. Das Start-up war von Anfang an profitabel. „Wir hatten schon zu Beginn zwei große Unternehmen als Auftraggeber“, sagt der Geschäftsführer. Diese hatten offenbar früh erkannt, dass die Oberbayern mit ihrer Software ein drängendes Problem der Branche beheben.

Strukturelles Dilemma beschert volle Auftragsbücher

Zum Leidwesen von Unternehmen und Patienten wird dieses Problem auch in Zukunft bestehen bleiben, glaubt Felgenhauer. Die aktuell angestrebten politischen Lösungen wie etwa die von der Europäischen Union im Januar 2024 ins Leben gerufene „Allianz für kritische Medikamente“ reichten nicht aus, um das strukturelle Dilemma in den Griff zu bekommen. Für QYOBO gibt es folglich noch viel zu tun.

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