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Geflüchtete: Bleiben können, um zu arbeiten

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Mehr Chancen für Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt

Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht ermöglicht es langjährig Geduldeten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Die Wirtschaft begrüßt das Gesetz – und hat einige Kritikpunkte.

Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 03/2023

In Deutschland fehlen mehr und mehr Fachkräfte. Schon jetzt bleiben rund zwei Millionen Arbeitsplätze unbesetzt, schätzt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Nur das Potenzial heimischer Fachkräfte zu entwickeln, reicht als Antwort da nicht aus.

Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, das Anfang Januar 2023 in Kraft getreten ist, soll die Integration von Geflüchteten nun erleichtern: Geduldete, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben, bekommen die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Damit eine schnellere Eingliederung in den Arbeitsmarkt möglich wird, hat der Gesetzgeber wichtige Weichen gestellt. Eine entscheidende ist der schnellere Zugang zu Integrations- und Sprachkursen.

Gesetz bringt Betrieben mehr Planungssicherheit

Das sind gute Nachrichten nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die Arbeitgeber. Das Gesetz gibt ihnen Planungssicherheit. Sie müssen nicht mehr fürchten, dass Auszubildende oder gut eingearbeitete Mitarbeiter plötzlich wieder gehen müssen.

Genau das war bislang oft Realität. „Viele Geflüchtete befinden sich in Kettenduldungen“, sagt Mareike Steveling, Teamleiterin Bildungs- und Integrationsberatung bei der IHK für München und Oberbayern. Das heißt: Sie hangeln sich von Duldung zu Duldung, bekommen aber keine Aufenthaltserlaubnis.

Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“

Dieser Praxis will das Gesetz ein Ende bereiten: Geduldete, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre oder länger in Deutschland lebten, sollen gemeinsam mit ihren Angehörigen eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ bekommen. Innerhalb von 18 Monaten können sie versuchen, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Um dies zu erhalten, müssen sie im Wesentlichen drei Kriterien erfüllen: Sie müssen nachweisen, dass

  • sie überwiegend selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können,
  • sie ausreichende Deutschkenntnisse besitzen und
  • ihre Identität geklärt ist.

Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, soll ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Andernfalls fallen sie in den Status der Duldung zurück. Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben.

Hohe Anforderungen an Identitätsklärung

Grundsätzlich beurteilt die Wirtschaft das Gesetz angesichts des hohen Arbeits- und Fachkräftebedarfs in den Unternehmen positiv. „Es bringt Erleichterungen und Perspektiven für die rechtssichere Einstellung von geduldeten Menschen und kann zur Aktivierung des Arbeitskräftepotenzials von Geflüchteten, die sich schon länger in Deutschland aufhalten, beitragen“, sagt IHK-Expertin Steveling. Doch völlig zufrieden ist sie mit der Neuordnung nicht. Heikel sei der Punkt Identitätsklärung: „Das ist häufig der Knackpunkt.“

Auch die DIHK bemängelt in einem Positionspapier, dass die Anforderungen an die Identitätsklärung hoch sind und „dazu führen könnten, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht bei der Gruppe der Geduldeten mit ungeklärter Identität seine Wirkung nicht wie geplant entfalten kann“.

Verzögerung bei Beschäftigungsverhältnissen

Das ist umso ärgerlicher, als es für die betroffenen Personen trotz ihrer Mitwirkung zum Teil schwierig ist, an die benötigten Unterlagen aus ihren Herkunftsländern zu kommen. Entsprechend kommt es zu Verzögerungen bei der Erteilung von Beschäftigungsverhältnissen. Hier sollten weitere Erleichterungen vorgenommen werden, fordert die DIHK. Insbesondere sollten vonseiten der Ausländerbehörden klare Kriterien genannt werden, wie die Betroffenen bei der Klärung der Identität mitwirken können.

Viele Hürden und Informationsdefizite speziell in Bayerrn

Monika Hermann-Sanou (63) ist Beraterin in Flüchtlingsfragen für die Georg Jos. Kaes GmbH, die in Bayern diverse V-Märkte betreibt, und Sprecherin der in München ansässigen Unternehmer-Initiative Bayern. Das Netzwerk setzt sich seit mehreren Jahren für ein Bleiberecht durch Arbeit ein und positioniert sich klar zum Chancen-Aufenthaltsrecht. Hermann-Sanou kritisiert, dass das Gesetz trotz der Chancen, „Mitarbeiter zu finden oder verloren gegangene wiederzufinden“, vor allem in Bayern noch zu viele Hürden beinhalte. „Vor allem für Eritreer ist es schwer, einen Pass zu beantragen.“ Sie müssten dafür unter anderem viel Geld ins Heimatland transferieren – und erst einmal überhaupt einen Termin bei der Botschaft erhalten. Das sei schon schwer genug.

Hanna Löhner, Referentin der Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH, bemängelt unter anderem, dass in Bayern wenig Aufklärungsarbeit geleistet werde. Zum Beispiel darüber, dass sich die Geflüchteten proaktiv bei der Ausländerbehörde melden müssen, um ihren Status zu ändern.
Sie rät Firmen mit betroffenen Mitarbeitern oder Bewerbern: Die Unternehmen sollten ihre Angestellten und Kandidaten zum einen animieren, sich bei der Ausländerbehörde um eine Aufenthaltserlaubnis zu kümmern. Denn ohne eigene Mitwirkung passiert nichts. Diverse Organisationen bieten entsprechende Musterschreiben. Zum anderen sollten die Unternehmen erwägen, einen Fachanwalt einzuschalten. Der koste zwar, so Löhner, würde den Prozess aber beschleunigen und die Erfolgschancen erhöhen.

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