Fit bleiben in der Firma
Mit betrieblichem Gesundheitsmanagement können Unternehmen die Krankenquote senken, den Teamzusammenhalt stärken und sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. So gehen Firmen in der Praxis vor.
Eva Müller-Tauber, Ausgabe 04/20
Donnerstag, 8 Uhr: Für gut zehn Minuten ruht die Arbeit in der Mawa GmbH zu großen Teilen. Rund die Hälfte der 75-köpfigen Belegschaft des Kleiderbügelherstellers aus Pfaffenhofen an der Ilm findet sich in der Produktionshalle zur Morgengymnastik ein. Dort steht Chefin Michaela Schenk, um Übungen aus der Rückenschule zu absolvieren. »Eine wöchentliche Gesundheitsaktion für alle, mit der Firmenchefin als Vorturnerin, das ist ein Event, das viele sich nicht entgehen lassen wollten«, so Schenk im Rückblick. Seit 2018 legt sie in Absprache mit der Belegschaft ein Jahresthema fest, unter dem sie drei bis vier größere Veranstaltungen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) während der Arbeitszeit offeriert: Nach der Rückenschule 2018 folgte gesunde Ernährung. »Einen Monat lang haben wir alle, über mehrere Tage verteilt ,mit einer Ernährungsberaterin zusammen gekocht«, erinnert sich Schenk. Dazu konnten die Mitarbeiter ihren Body-Mass-Index errechnen und sich gesundheitlich beraten lassen. 2020 steht unter dem Motto Stress und Stressmanagement. Schenk ist mit den Ergebnissen bisher zufrieden. Nicht nur, dass die Krankenquote gesunken ist: »Ich habe erreicht, dass BGM bei uns Gesprächsthema ist und bleibt.«
Gesundheit lange erhalten
BGM wird für viele Unternehmen immer wichtiger, denn durch den demografischen Wandel rücken weniger junge Fachkräfte nach und die bereits etablierten Beschäftigten müssen sich auf ein langes Arbeitsleben einstellen. So wird Gesundheit zu einem noch höher geschätzten Gut, das es möglichst lange zu erhalten gilt – aus Sicht der Unternehmen und der Mitarbeiter. Richtig etabliert, kann BGM dazu entscheidend beitragen. Und nicht nur das: »Firmen, die ihrer Belegschaft ein durchdachtes BGM-Konzept bieten, präsentieren sich als attraktive Arbeitgeber«, sagt IHK-Referentin Gabriele Lüke. Nicht alle Unternehmen haben das bereits verinnerlicht, beobachtet Volker Nürnberg (51), Advisory Partner und Leiter des Fachbereichs Gesundheitswirtschaft bei der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Frankfurt. »Seit über 40 Jahren gibt es betriebliches Gesundheitsmanagement, aber ein ganzheitliches, zielgerichtetes BGM verfolgen in Deutschland derzeit weniger als die Hälfte der Firmen, und meist nur die großen.« Man müsse sich »fokussieren und endlich weg vom Gießkannenprinzip«, fordert der BGM-Experte. Jahresthemen festzulegen wie beim Kleiderbügelhersteller Mawa und darunter Angebote zu bündeln, sei eine zielführende Variante, findet Nürnberg – »sofern die Führungsetage die BGM-Initiative mitträgt und die Angebote die Wünsche der Belegschaft widerspiegeln«. Bei Mawa ist das der Fall. Firmenchefin Schenk, die sich vor vier Jahren erstmals mit dem Thema beschäftigte, verfolgt mehrere Ziele. Sie will jedem Mitarbeiter bewusst machen, dass es wichtig ist, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Außerdem soll der Krankenstand weiter sinken und der Teamzusammenhalt wachsen. Bei einer Betriebsversammlung stellte die Firmenchefin ihre Pläne vor und zeigte, was BGM den Mitarbeitern bringt. Eine externe Expertin unterstützt das Unternehmen dabei, BGM systematisch umzusetzen. Sie sammelt Informationen, erfragt bei den Angestellten, welche Angebote sie sich wünschen, und tauscht sich einmal im Monat mit Schenk aus. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: »Wir müssen allen BGM-Aktionen einen thematischen Rahmen geben und sie richtig dosieren, sonst verläuft sich das, oder den Mitarbeitern wird es zu viel«, sagt die Firmenchefin. »Und wir sollten die Themen spielerisch umsetzen, etwas anbieten, das Spaß macht.«
Unterschiedliche Ansprache
Ein wichtiger Faktor für erfolgreiches BGM ist es, Aktionen nach Zielgruppen zu unterscheiden, »etwa nach Alter, Geschlecht oder Berufsgruppen«, rät BGM-Experte Nürnberg. Entsprechend sollten Firmen auch die Hilfsmittel und Kommunikationskanäle wählen. »Bei jüngeren Mitarbeitern beispielsweise müssen digitale Angebote das Portfolio ergänzen.« Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigen die Schön Kliniken mit Hauptsitz in Prien am Chiemsee. »Wir sorgen als Klinikgruppe täglich für die Gesundheit vieler Menschen. Das können wir nur erfolgreich tun, wenn wir unsere eigene Gesundheit, das heißt die unserer Mitarbeiter, fördern und im Blick haben«, sagt CEO Mate Ivančić, Chef von mehr als 10000 Beschäftigten. Daher hat das Unternehmen sein BGM weiter systematisiert. Die Verantwortung dafür liegt heute in jeder Klinik beim jeweiligen Personalleiter, ein Handbuch samt Maßnahmenportfolio gibt den Rahmen vor, damit das Programm an allen 23 Standorten in Deutschland nach denselben Vorgaben umgesetzt wird. »Wir evaluieren alle unsere Maßnahmen, prüfen, welche gut angenommen werden, und passen unsere Angebote entsprechend an«, erklärt Melanie Fuchs (38), Ansprechpartnerin für BGM in der Firmenzentrale in Prien. Die Angebote unterscheiden sich je nach Belegschaft und Standort deutlich. In der Verwaltung in Prien sind die meisten Beschäftigten zwischen 30 und 50 Jahre alt und verrichten sitzende Tätigkeiten. Ihnen ermöglicht das Unternehmen unter anderem verbilligten Zugang zu einem breiten Netzwerk an Fitness- und Wellnesseinrichtungen, die in der Nähe verfügbar sind. In und um den Standort Berchtesgaden dagegen gibt es solche Fitnessangebote nur vereinzelt. » Zudem ist unsereAltersstruktur eine ganz andere, vom 15-jährigen Azubi bis zum 70-jährigen Fahrer ist bei unseren 350 Mitarbeitern alles dabei«, sagt Ferry Uhlig (40), Personalleiter am Standort. »Wir haben auch viele verschiedene Berufsgruppen mit unterschiedlichen physischen und psychischen Anforderungen, etwa Ärzte und Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Psychologen, Mitarbeiter in Service, Technik, Verwaltung – dementsprechend gibt es neben BGM-Aktionen für alle, wie Gesundheitstage oder Bergtouren, viele zielgruppenspezifischen Angebote.« Eine jährliche Kennzahlenanalyse und Mitarbeiterbefragungen zeigen, welche Erkrankungen welche Berufsgruppen besonders betreffen und zu langen Ausfallzeiten führen. Daraus leitet das BGM-Team spezielle Maßnahmen ab, beispielsweise Ergonomie- oder Achtsamkeitstraining. »Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, muss BGM im Unternehmen nachhaltig integriert und akzeptiert sein«, so Uhlig. Das sieht die Zollner Elektronik AG im oberpfälzischen Zandt ähnlich. In dem Familienunternehmen mit bundesweit rund 5000 Beschäftigten kümmert sich ein eigener Bereich mit fünf Mitarbeitern um Gesundheitsmanagement an den neun ostbayerischen Standorten. Das Konzept basiert auf den Säulen gesundheitsorientierte Führung, betriebliches Sozialmanagement, Work-Life-Management sowie betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention (BGF&P). Eine Zielgruppe, für die der Bereich derzeit sein Angebot ausbaut, sind Azubis. »Das sind unsere Fachkräfte von morgen«, sagt Florian Hacker, Sportwissenschaftler und verantwortlich für BGF&P.
Workshops für Azubis
Auszubildende und duale Studenten sollen sich schon früh bewusst werden, wie wichtig es ist, sich ganzheitlich um die Gesundheit zu kümmern. Deshalb setzen sie sich bei Zollner in Workshops mit Themen wie Bewegung, gesunde Ernährung, aber auch Stress und Regeneration sowie betriebliche Wiedereingliederung oder Mobbing auseinander. Wer diese Inhalte bereits in der Ausbildungszeit verinnerlicht, so der Gedanke dahinter, wird sich auch danach daran orientieren und offen für weitere BGM-Angebote sein. »Wir versuchen daher, unsere rund 200 Azubis und 40 dualen Studenten so früh wie möglich dafür zu sensibilisieren«, ergänzt Hackers Kollege Erich Vogl, Betriebswirt und BGM-Manager. So gibt es Angebote in Trendsportarten wie Speedminton, Slackline oder Disc-Golf, »und die Sportgeräte dafür können sich die Azubis und Dualis bei uns ausleihen«. Über Spaß und spielerische Anreize etwa in Teamwettbewerben – Stichwort Gamification – versucht das Unternehmen, jüngere Gesundheitsmuffel aus der Reserve zu locken und langfristig für BGMInhalte zu motivieren. Im Anschluss an mehrwöchige Präventionsprojekte, etwa zu Ergonomie oder Bewegung, werden Multiplikatoren geschult, die dann Ergonomieberatungen oder Kleingruppentrainings durchführen. »Das wollen wir auch bei den Azubis umsetzen«, sagt Hacker. Also nur analoge Angebote? »Natürlich informieren wir ausführlich im Intranet über unsere Themen und die Begleitung läuft beim BGM gerade bei dieser Zielgruppe online – aber nicht nur. Denn die persönliche Betreuung ist auch bei den jungen Leuten sehr wichtig«, weiß Vogl.