Wirklich wertschätzen

Betriebliches Gesundheitsmanagement kann dazu beitragen, den Krankenstand in Unternehmen langfristig zu senken – worauf es dabei ankommt.
Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 05-06/2025
Wie sich die Krankheitsfehltage in ihrem Unternehmen entwickeln, hat Stefanie Abel immer im Blick. „Schließlich müssen wir unsere Kunden, darunter Krankenhäuser, zuverlässig mit sauberer Wäsche versorgen“, sagt die Inhaberin der Abel KG in Anger-Aufham, einem Dienstleister für Wäscherei, Reinigung und textile Systeme. „Wir können uns übermäßige und langwierige Mitarbeiterausfälle nicht leisten.“
Entsprechend vehement steuert der Betrieb gegen. „Schon meine Eltern handelten stets nach dem Grundsatz: Nur gesunde Mitarbeiter können gute Leistung bringen“, sagt die Firmenchefin, die das Unternehmen im vergangenen Jahr übernommen hat. 1998 fanden die erste Arbeitssituationsanalyse und arbeitsplatzbezogene Rückenschulen statt.
Ergonomie schon früh im Blick
In der Folge gestalteten die Abels die Arbeitsplätze gesundheitsfördernd um. Bewegungsanalysen an den einzelnen Stationen zeigen, wo die Beschäftigten hohen Belastungen ausgesetzt sind. Die Firma sucht dann nach Abhilfe. In der Sortierstation zum Beispiel kippen hydraulisch gesteuerte Container die Wäsche direkt in die entsprechenden Säcke. Ergonomische Wäschewagen und elektrisch höhenverstellbare Arbeitstische sorgen zudem für eine optimale Arbeitshöhe.
2018 bildete sich Stefanie Abel, damals bereits in der Geschäftsführung, zur Fachkraft Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) weiter. Seither hat die heutige Firmenchefin alle gesundheitsfördernden Maßnahmen im Betrieb gebündelt und zu einem umfassenden, systematischen BGM ausgebaut.
Mitarbeitende einbinden, Vorschläge umsetzen
„Wir fragen regelmäßig die Bedarfe und Wünsche sowie mögliche Lösungsvorschläge der Belegschaft in den einzelnen Abteilungen im Rahmen von Mitarbeiterworkshops ab, beteiligen also unsere Kolleginnen und Kollegen am BGM-Prozess“, sagt die 31-Jährige. Um den Wärmeunterschieden je nach Jahreszeit gerecht zu werden, brachte das Unternehmen auf Wunsch der Mitarbeitenden zum Beispiel an bestimmten Stellen Schnelllauftore sowie UV-Schutzfolie an und verteilte Fleecejacken.
Stichworte: Was bedeuten BGM und BGF?
- Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) umfasst die ganzheitliche, strategische Steuerung aller gesundheitsbezogenen Maßnahmen im Unternehmen.
- Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) meint konkrete, meist freiwillige Maßnahmen von Firmen, Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu fördern.
Der Einsatz des Unternehmens zahlt sich aus: Die Krankheitsquote liegt seit Jahren unter dem Branchenschnitt. Zuletzt betrug der Krankenstand 3,4 Prozent. Dabei verrichten die meisten der rund 230 Beschäftigten vorwiegend körperliche Arbeit, der Altersdurchschnitt ist mit 44 Jahren eher hoch.
Krankheitsquote in Deutschland bleibt hoch
Vor der Herausforderung, die Zahl der Fehltage im Betrieb wirksam zu verringern, stehen derzeit wohl viele Unternehmen. Laut DAK-Gesundheitsreport 2025 stagnierte die Krankheitsquote mit 5,4 Prozent in Deutschland 2024 auf hohem Niveau. Im Schnitt fehlte jeder Mitarbeitende fast 20 Tage im Jahr wegen Krankheit. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist für Unternehmen eine Möglichkeit, hier aktiv gegenzusteuern.
„Die Prävention zu stärken, Arbeitsbedingungen ergonomisch zu gestalten, psychische Gesundheit zu fördern, flexiblere Arbeitsmodelle anzubieten, wo es geht – das ist eine Art, Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden zu zeigen“, bestätigt Damaris Schmidt, Referentin Gesundheitswirtschaft bei der IHK für München und Oberbayern. Genauso wichtig sei es, das Vertrauen der Angestellten zu stärken und deren Bindung ans Unternehmen zu fördern: „Gute Führung heißt auch, Misstrauenskultur zu vermeiden, zu motivieren, transparent zu agieren und das Teamgefühl zu stärken.“
„Bettkantenentscheidung“ beeinflussbar
Wenn Arbeitsklima und Führungskultur stimmen, fällt auch die morgendliche Entscheidung an der Bettkante – „Soll ich arbeiten gehen, obgleich ich mich nicht zu 100 Prozent fit fühle?“ – eher zugunsten der Arbeit aus. „Und damit auch zugunsten der Kolleginnen und Kollegen, die im Krankheitsfall einspringen oder mehr Aufgaben übernehmen müssen“, betont die IHK-Expertin.
Das Verhalten der Führungskraft und eine Arbeitssituation, die zu den Bedürfnissen und Wünschen der Beschäftigten passt, beeinflussen die emotionale Bindung ans Unternehmen positiv. Das zeigt eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Fehlzeiten-Report 2024. Demnach sind emotional stärker an ihren Arbeitgeber gebundene Mitarbeitende seltener krankgeschrieben.
Erste Vollzeitkraft für BGM
Der Hamburger Intralogistik-Konzern Jungheinrich AG setzt an seinem oberbayerischen Standort Moosburg daher auf ein strategisches BGM mit Führungskräften als Schlüsselpersonen. Das Unternehmen beschäftigt dort in 2 Werken rund 1.250 Angestellte. Unter ihnen ist auch Katharina Feil, Human-Resources-Expertin und studierte Sportwissenschaftlerin sowie seit vergangenem Jahr die konzernweit erste Vollzeitkraft für betriebliches Gesundheitsmanagement.
„Um BGM nachhaltig zu etablieren, Formate anbieten zu können, die unsere Beschäftigten annehmen, brauche ich unbedingt den kontinuierlichen Austausch mit unseren Führungskräften“, sagt Feil. Dementsprechend sitzen zahlreiche Vertreter aus den Leitungsebenen in den Arbeitskreisen „Gesundheit“ der beiden Produktionsstätten. Darüber hinaus fungieren sämtliche Führungskräfte als Motivatoren und Übersetzer.
Feil: „Sie informieren die Belegschaft über unsere BGM-Aktionen – vor allem die Mitarbeitenden, die keinen direkten Zugriff auf PCs haben – und das ist hier in Moosburg als Produktionsstandort ein großer Anteil.“
Persönlicher Kontakt zahlt sich aus
Zudem ist die BGM-Expertin häufig in den Werken unterwegs und sucht den Kontakt zu den Mitarbeitenden, um Ideen an der Basis aufzugreifen. Die persönlichen Begegnungen motivieren viele Beschäftigte offensichtlich dazu, sich einzubringen, beobachtet sie. „Mittlerweile sprechen mich immer mehr Kollegen an: Frau Feil, ich hätte da einen Vorschlag …“
Da die Entwicklungsstufen im BGM und die Arbeitsbedingungen in den beiden Werken unterschiedlich sind, priorisieren die beiden Arbeitskreise die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auch gemäß den Bedürfnissen der jeweiligen Beschäftigten. Strukturiert und finalisiert wird das für den gesamten Standort ausgearbeitete Jahresprogramm vom Lenkungsausschuss. Er ist mit den wesentlichen Entscheidungsträgern, unter anderem dem Geschäftsleiter von Jungheinrich Moosburg, Markus Roy, besetzt und tagt einmal im Quartal.
Lokales Fitnessstudio plus Plattform für psychische Gesundheit
Das Angebot am Doppelstandort Moosburg ist umfassend: etwa gesundes Essen und eine Ernährungsampel in der Kantine, eine Mental-Health-Plattform, auf der man individuelle Beratungen buchen kann, Ergonomieschulungen, eine Kooperation mit lokalen Fitnessstudios und Aktionen zu einzelnen Gesundheitsbereichen.
„Es hat sich bewährt, dass wir weniger Themen anbieten und diese intensiver behandeln, etwa Experten dazu einladen“, sagt BGM-Fachfrau Feil. 2024 zum Beispiel lag ein Schwerpunkt auf der Stärkung des Immunsystems. Im Jahr davor war der ehemalige Skispringer und Vierschanzentournee-Gewinner Sven Hannawald zu Gast und referierte zum Thema Burn-out. Auch neue Formate wie Kurzvorträge in einzelnen Abteilungen oder Tipps vom Physiotherapeuten direkt am Arbeitsplatz kommen gut bei den Beschäftigten an.
Bonusheft in Planung
Das Engagement scheint sich auszuzahlen: Eigenen Angaben zufolge konnte das Unternehmen den Krankenstand unter anderem wegen des BGM von 2017 bis 2024 senken – auf 6,0 Prozent in Moosburg und 6,3 in Degernpoint. Weitere Maßnahmen wie ein Bonusheft und zusätzliche Vorsorgeangebote sind in Planung.
Nächstes Ziel: „Goldstandard“
Auch bei Unternehmerin Abel gilt weiterhin der Grundsatz: „Besser geht immer.“ Kürzlich wurde das BGM des Betriebs erneut durch eine externe Gesundheitsexpertin auf Stärken und Verbesserungspotenziale hin überprüft, BGM-rezertifiziert und als einziges Unternehmen in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein mit dem Silberstandard „Gesundes Unternehmen“ der AOK Bayern geehrt. Abel: „Nun blicken wir voller Tatendrang auf die kommende Zertifizierungsrunde – mit einer klaren Vision: Als Nächstes wollen wir den Gold-Standard erreichen.“
Stichwort: Netzwerk-Gesundheitsförderung
Kleine und mittlere Betriebe (KMU) haben oft nicht genügend Ressourcen, um die betriebliche Gesundheitsförderung dauerhaft und effizient einzuführen. Deshalb haben die Städte Bad Birnbach, Bad Gögging, Bad Griesbach und Bad Füssing ein vom Freistaat Bayern unterstütztes BGF-Netzwerk für KMU initiiert.
Der Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU München begleitet das Projekt wissenschaftlich. Ziel ist es, ein Netzwerk aus den vier Kurorten und den beteiligten Betrieben aufzubauen, um für eine gesunde Arbeitsumgebung und effektive Präventionsmöglichkeiten zu sorgen.
„Die Orte bieten unterschiedliche Präventionsschwerpunkte an – Stress, Herz/Kreislauf, Bewegung/Ernährung, Bewegungsapparat – und begleiten mit unseren Gesundheitsmanagerinnen Betriebe bei der Einführung von BGF“, erläutert Viktor Gröll, Leiter der Kurverwaltung Bad Birnbach. „Wir wollen das Projekt verstetigen und ein BGF-Label einführen. Ich bin mir aber sicher, dass wir interessierten KMU generell auch schon während der Projektphase gute Einblicke und Hilfestellung bei der Einführung geben können.“